Schwerkranke greifen oft nach jedem „Strohhalm“, der hoffen lässt. Und immer wieder gibt es Menschen, die einen Strohhalm reichen. Ein Beispiel ist eine Operation für Alzheimer-Kranke, für die sich seit Jahren ein US-Chirurg stark macht. Viele Mitstreiter hat er wohl nicht.
Die Operation, um die es geht, ist die so genannte Omentum-Transposition. Dabei wird fettreiches Omentum-Gewebe des Bauchraums über einen subkutanen Kanal im Bauch- und Brustbereich direkt auf das Gehirn von Patienten mit Alzheimer-Demenz gebracht. Der Chirurg, der dieses Verfahren als Therapie-Option propagiert, ist der US-Mediziner Professor Harry S. Goldsmith aus Glenbrook in Nevada. Erst kürzlich, Anfang Juli, hat er im renommierten „Journal of Alzheimer‘s Disease“ ein Plädoyer für das operative Verfahren gehalten. Es sei an der Zeit, die neue Methode bei schwer Alzheimer-Kranken in einer klinischen Studie zu erproben, meint Goldsmith.
Kein besonders taufrisches Verfahren
Neu ist das Verfahren allerdings nicht. Bereits vor 15 Jahren berichtete Goldsmith über einen Alzheimer-Kranken, dem es sogar zweieinhalb Jahre nach der Operation angeblich noch besser gegangen sei als erwartet. 2003 präsentierte er dann in der gleichen Zeitschrift die Ergebnisse von zehn operierten Patienten. Auch von diesen Alzheimer-Kranken hätten sich viele nach dem Eingriff subjektiv wie objektiv gebessert. Über erste eigene Tierexperimente berichtete Goldsmith bereits 1973 in den „Archives of Surgery“, 1985 meldete er dann in der Zeitschrift „Paraplegia“ Erfolge der so genannten Omentum-Transposition bei Katzen mit einer Verletzung des Rückenmarks. Seitdem hat Goldsmith sich immer wieder für das Verfahren stark gemacht, das aus seiner Sicht eine geeignete Therapie-Option für Patienten mit traumatischer Querschnittslähmung und eben auch für Alzheimer-Kranke sei. Seine Argumentation beruht dabei auf wenigen experimentellen Befunden und theoretischen Überlegungen. Sein Hauptargument: Bei der Alzheimer Erkrankung sei eine zerebrale Minderperfusion die Ursache neurodegenerativer Prozesse und nicht, wie überwiegend angenommen, die Folge der Neurodegeneration.
Verminderte Durchblutung soll eine Schlüsselrolle spielen
Hinweise dafür, dass an dieser Durchblutungs-These etwas dran ist, sind nach Aussage des Chirurgen die zunehmenden Befunde, wonach außer Alterungsprozessen Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck, die mit einer zerebralen Minderperfusion einhergehen können, Risikofaktoren der Alzheimer-Erkrankung sind. Die Wirksamkeit der Omentum-Transposition, so Goldsmith, beruhe nun darauf, dass es die Angiogenese und Vaskularisierung fördere, die zerebrale Durchblutung bessere und zudem das Gehirn mit Neurotransmittern und eventuell auch mit Stammzellen versorge. Belegt hätten dies unter anderem eigene Untersuchungen.
Mit seinen Vorstellungen zur Pathogenese der Erkrankung liegt Goldsmith zwar nicht völlig daneben. Es ist allgemein bekannt, dass bei den meisten Patienten mit Alzheimer-Demenz in fMRT- oder PET-Untersuchungen minderdurchblutete Hirnregionen festgestellt werden und dass auch histologische Untersuchungen vaskuläre Schäden zeigen. Bei 60 bis 90 Prozent der Alzheimer-Kranken sei eine zerebrale Ischämie nachweisbar, erklären zum Beispiel die beiden US-Neurologen Henry W. Querfurth und Frank M. LaFerla in einem Aufsatz zur Alzheimer-Pathogenese („New England Journal of Medicine“). Bei rund einem Drittel der Patienten mit einer vaskulären Demenz könnten Alzheimer-typische Befunde erhoben werden.
Operation „entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“
Dass aus diesen bekannten Tatsachen jedoch abgleitet werden könne, eine mögliche Perfusions-Verbesserung durch eine Omentum-Transposition wirke dem kognitiven Abbau bei Alzheimer-Krankheit entgegen und rechtfertige den operativen Eingriff, ist eine Meinung, mit der Goldsmith wohl alleine steht. Sehr kurz ist zum Beispiel die Stellungnahme von Professor Wolfgang H. Oertel, erster Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für Neurologie“, auf die Anfrage von DocCheck zum Stellenwert der Omentum-Transposition bei Alzheimer-Erkrankten: „Die chirurgische Alzheimer-Behandlung“, so Oertel, „entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“.
Negative OP-Resultate bei Rückenmarksverletzungen
Die meisten positiven Berichte zu der Operation stammen ohnehin von Goldsmith selbst, wie das Ergebnis einer Suchmaschinen-Recherche zeigt und auch seine aktuelle Liste der wissenschaftlichen Arbeiten belegt, mit denen er seine These zu stützen versucht. Mangelware sind dagegen Untersuchungen von anderen Wissenschaftlern, die auf einen möglichen Nutzen der Operation für Alzheimer-Kranke hinweisen und es medizinisch wie ethisch berechtigt erscheinen lassen, eine solche traumatisierende Methode bei Schwerkranken zu erproben.
Hinzukommt, dass klinische Studien zur Omentum-Transposition bei Querschnittgelähmten negativ verliefen. Schon 1996 veröffentlichte der Neurochirurg Professor Guy L. Clifton von der Universität von Texas in Galveston die Ergebnisse des Verfahrens bei 160 Patienten mit kompletter oder inkompletter sensibler Querschnittlähmung. Sein Fazit in der Zeitschrift „Spinal Cord“ war eindeutig negativ. Weitere klinische Studien, so Clifton, seien nicht berechtigt. Äußerst zurückhaltend war auch die Schlussfolgerung von britischen Wissenschaftlern, nachdem sie die Methode bei 17 querschnittgelähmten Patienten erprobt hatten.
Allein in der akuten Trauma-Situation könnte die Omentum-Transposition vielleicht einen Stellenwert haben, schreiben sie im „Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry“. Auch der US-Neurowissenschaftler Professor Wise Young vom „W M Keck Center for Collaborative Neuroscience“ an der „Rutgers Universität“ in Piscataway, der eine Webseite für Patienten betreibt, kommt nach einer Analyse der publizierten Studien zu einem klaren Fazit: Es gibt keine Belege für einen Nutzen der Operation bei traumatischer Querschnittlähmung. Ob die insgesamt dürftige Datenlage jedoch verhindern wird, dass die Omentum-Transposition Alzheimer-Kranken (und ihren Angehörigen) als Therapie angeboten wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.