Nahezu unbemerkt von der Weltöffentlichkeit forscht die Schweiz seit einem Jahrzehnt auf dem Gebiet der Nanotechnologie – die Erfolge sind beachtlich.
Die Ära der „atomaren Zwerge“ begann am 1. Juni 2001, als der Nationale Forschungsschwerpunkt Nanowissenschaften (NFS Nano) ins Leben gerufen wurde. Seitdem vernetzt das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) getragene Förderinstrument die Forschungsinstitutionen der Schweiz im Bereich Nanowissenschaften unter der Leitung der Universität Basel. Soweit die Theorie – doch worauf sollten sich Ärzte mittelfristig einrichten?
Zum einen auf winzige Roboter, die im Körper des Patienten operieren. Was nach Science Fiction klingt, soll demnächst testweise in einer Fliege zum Einsatz kommen - mit Instrumenten, die das Team um Brad Nelson von der ETH Zürich entwickelte. „Die kleinen Helfer könnten Substanzen direkt an den benötigten Ort im Gewebe transportieren oder dereinst sogar minimale, aber hochpräzise und deswegen effiziente chirurgische Eingriffe vornehmen“, beschreibt der SNF die Vision des ETHZ-Professors.
Die Idee als abstruse Vision abzustempeln wäre unangebracht. Denn am Institut für Robotik und Intelligente Systeme entwickeln die Wissenschaftler „verschiedene Fortbewegungsmechanismen, die alle mit externen Magnetfeldern gekoppelt sind, sowohl bezüglich Energie wie Steuerung“. Lediglich einen Drittel Millimeter groß ist einer der Testroboter, oszillierende Magnetfelder versetzen den Winzling in gezielte „Schwimmbewegungen“. Die Verbindung zwischen Nano- und Magnetfeldtechnologie verdeutlicht die Schweizer Offensive: Klein können mittlerweile viele Länder, das Steuern der Nanomaschinen bleibt bislang die wahre Herausforderung. Die Züricher setzen dazu sogenannte resonante Frequenzen ein, die das Gerät in die gewünschte Stellung bringen. „So kann theoretisch ein ganzer Trupp von Minichirurgen von außerhalb zielgenau durch den Körper dirigiert werden“, betont die SNF.
Interessant sei die Technik vor allem deshalb, weil sie das Konzept der minimalinvasiven Chirurgie auf eine neue Ebene bringt. Tatsächlich würde ein kleiner Schnitt genügen, um die Roboter in den Organismus zu schleusen. Gezeigt haben das die Forscher eigenen Angaben zufolge bereits am Beispiel des menschlichen Auges, dass der Roboter bald als kleiner Medikamentenbote bei Retinabehandlungen zum Einsatz kommen dürfte – Gespräche mit Firmen aus dem Feld der Medizinaltechnologie sind bereits im Gange.
So haben Wissenschaftler um Wolfgang Meier vom Departement Chemie der Universität Basel ein intelligentes Nanoträgersystem auf Basis von Peptiden geschaffen. Aufgrund ihres besonderen Aufbaus organisieren sich die Peptide im Wasser selbst zu Hohlkörperstrukturen im Nanometerbereich, mit weitreichenden Folgen. „Das neue Nanoträgersystem kann für den Transport und Schutz unterschiedlicher Gastmoleküle wie Medikamente verwendet werden“, erklären die Forscher, und: „Durch die Verwendung von Peptiden baut sich das Trägersystem nach seinem Einsatz im Körper vollständig ab“.
Während Nanokonstruktionen als Transportmittel für Arzneistoffe kein Novum wären, besticht der Ansatz durch die „Intelligenz“ der molekularen Winzlinge. Denn der Einsatz von Glutaminsäure führt über einen komplizierten Mechanismus dazu, dass das System sensibel pH-Wert-Änderungen reagieren kann. „Dieses Verhalten kann optimiert werden, um eine gezielte Medikamentenfreisetzung zu bewirken“, berichten die Wissenschaftler. Durch die Verwendung von Peptiden sei zudem der vollständige Abbau nach potentieller Medikamentendarreichung gewährleistet, „um Anreicherungen des Trägersystems im Körper zu verhindern“.
Chance, Risiko, Erfolg?
Die Nano-Offensive der Schweizer Medizin setzt auf Pragmatismus. So erörterten Fachleute auf der 1. Swiss NanoConvention vom 18. bis zum 19. Mai 2001 in Baden die Potenziale der neuen Technologie auch aus medizinischer Sicht. Auf der von der Empa, dem Paul Scherrer Institut (PSI) und der ETH Zürich organisierte Konferenz informierten sich 300 Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft über Risiken und Chancen der Technologie.
Dabei ginge es in der Medizin vor allem darum, erkrankte Organe, Gewebe oder Zellen gezielt „aufzuspüren“ und gleichzeitig keine Immunantwort hervorzurufen, referierte Patrik Hunziker vom Universitätsspital Basel, denn: „Dadurch ließe sich die Wirksamkeit von Medikamenten rund 100fach steigern und die Nebenwirkungen drastisch senken“.
Anders als im benachbarten Deutschland, wo Nanotech erst allmählich auch als potenzielles Risiko verstanden wird, geht die Schweizer Forschung von Beginn an sehr differenziert vor. „Kohlenstoffnanoröhrchen beispielsweise würde ich zum jetzigen Zeitpunkt lieber nicht in meinem Körper haben“ betonte Hunziker, denn über deren Auswirkungen auf den menschlichen Organismus sei derzeit schlicht zu wenig bekannt. Tatsächlich zeigen Schweizer Umfragen, dass ein Großteil der Bevölkerung „wenig bis nichts über Nanotechnologie weiss“, wie die Empa schreibt.
Womöglich wird der Schweizer Nanovorstoß in der Medizin gerade deswegen gelingen. Denn Euphorie oder die berühmte rosarote Sicht der Dinge sucht man vergeblich, Aufklärung scheint angesagt. Nicht einmal die Politik gibt sich überschwänglich, wie Thomas Borer, der ehemalige Medienstar und Schweizer Botschafter in Deutschland als CEO der swiss authentication research and development AG zu erklären versuchte: Über die Akzeptanz neuer Technologien entscheide letztlich die Gesellschaft.