Heilkräuter bei der Krebsbehandlung? Was soll das denn? Was auf den ersten Blick nach Quacksalberei aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als wissenschaftlich geprüfte Ergänzung zu Methoden der klassischen Onkologie. Zwei Vertreter der „integrativen Onkologie“ haben ihre Methoden nun in einem Buch dokumentiert.
„Über lange Zeit hinweg gab es zwischen moderner Hochleistungsmedizin und Naturheilkunde einen Grabenkrieg. Übrig geblieben ist dabei der Patient.“ Gustav Dobos ist ein Vorreiter in Deutschland. Sein Ziel ist es nicht, mit „alternativen“ Heilmethoden die althergebrachte Schulmedizin zu revolutionieren, sondern beides zu verbinden. Denn noch immer sind in onkologischen Abteilungen Fragen wie diese an der Tagesordnung: „Was wollen Sie bei einer lebensgefährlichen Krankheit mit Heilkräutern?“
Zwei von Drei greifen insgeheim zur Naturmedizin
Die Heilkräuter-Website des renommierten Memorial Sloan-Kettering-Instituts erfreut sich enormer Beliebtheit. Rund 5.000 mal am Tag suchen Besucher per Mausklick nach natürlichen Wegen zur Besserung ihrer Beschwerden. Nicht nur das Krebszentrum in New York interessiert sich schon seit geraumer Zeit für Methoden, die über die Schulmedizin hinausgehen. An fast allen bekannten Krebszentren der USA wie etwa der Mayo-Klinik in Rochester oder der Johns-Hopkins-Klinik in Baltimore gehört eine Abteilung für „integrative Onkologie“ zur Ausstattung. Rund 130 Millionen Dollar fließen pro Jahr in die Forschung der Komplementärmedizin.
Die Ausgaben spiegeln auch die zunehmende Nachfrage der Krebspatienten wieder. Zwei Drittel greifen zusätzlich zur Chemo- oder Strahlentherapie zur Mitteln der Naturheilkunde. Sehr oft ohne dass der behandelnde Arzt etwas davon erfährt. Wenn die Nebenwirkungen der Therapieangebote aus der modernen Spitzenmedizin unerträglich werden, riskieren sie entweder einen Therapieabbruch oder machen sich selbst auf die Suche nach Mitteln, die ihnen Hoffnung versprechen - im Kampf gegen den Krebs oder zumindest gegen die Schmerzen an Leib und Seele.
Individuelle Therapie dank umfangreicher Datenbank
Unter der Leitung von Gustav Dobos versucht man in den Kliniken Essen-Mitte einen neuen Weg, über den ein kürzlich erschienenes Buch „Gemeinsam gegen Krebs - Naturheilkunde und Onkologie“ berichtet. Seit Anfang letzten Jahres bekommen Patienten in der integrativen Onkologie neben effektiven Krebsmedikamenten wie Antikörper, modernen Zytostatika oder gezielter technikgeführter Bestrahlung auch Ringelblumensalbe gegen Schäden der harten Strahlen auf der Haut, Kältebehandlungen gegen Veränderungen der Nägel oder Akupunktur gegen Muskelschmerzen.
Mitautor Sherko Kümmel, Leiter des Brustzentrums der Kliniken, legt Wert darauf, kein „Alternativer“ zu sein: „Bei uns gibt es keine Misteltherapie für alle Patientinnen“. Stattdessen steht die Verpflichtung für alle Mitarbeiter, sich ständig auf dem Laufenden bei der Behandlung von Mammakarzinomen zu halten. Weil sich das onkologische Wissen bei Brustkrebs etwa alle zwei Jahre verdoppelt, haben die Informatiker in Essen eine spezielle Datenbank entwickelt, auf die alle zugreifen können, die mit der Behandlung eingebunden sind, also auch Physiotherapeuten, Masseure oder Ernährungs-Spezialisten. Leitlinien, Zwischenergebnisse laufender Studien und neueste Veröffentlichungen fließen ebenso wie Fallanalysen bisheriger Behandlungen in den Datenbestand von „SenoExpert“ ein, sodass in den interdisziplinären Fallkonferenzen für jede Patientin eine individuelle Therapieempfehlung entsteht. Wichtigster Punkt ist aber für die Spezialisten die Mitbestimmung der Patientinnen bei der Therapie. Nur wenn sich der Patient gut aufgehoben und nicht übergangen fühlt, schwinden Angst und Stress. Eine positive Einstellung, so zeigen Studien, führt zu signifikant verlängerter Lebenserwartung.
Erdbeben, Stärke 8
„Die Diagnose ,Sie haben Brustkrebs‘ trifft den Patienten erst einmal wie ein Erdbeben der Stärke 8 auf einem Quadratmeter“ berichtet Dobos. Sämtliche Hormone signalisieren höchste Alarmstufe und bereiten den Körper auf Flucht- oder Abwehrreaktionen vor. Entspannungstechniken und Meditation, aber auch kalte Güsse unterstützen die Bemühungen, von diesem Alarmzustand herunterzukommen. Metastudien konnten zeigen, dass etwa Achtsamkeitsmeditation einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Abwehrkräfte leistet. Diese Therapieoption ist inzwischen Teil der Leitlinien für die Brustkrebs-Behandlung geworden. Bewegung und richtige Ernährung sind ebenfalls Teil der Abwehrstrategie gegen den unsichtbaren Feind, der sich im Körper eingenistet hat. Aber Achtung: Grapefruit kann Teile des wichtigen Cytochom P450-Systems hemmen und damit die Toxizität einer Chemotherapie steigern. Johanniskraut hat eher eine gegenteilige Wirkung. Noch eine Reihe weiterer Pflanzeninhaltsstoffe führen Dobos und Kümmel in ihrem Buch auf, die unter Umständen sogar das Tumorwachstum fördern und somit tabu sind. Dagegen, so besagen Untersuchungen, steigern Obst und Gemüse in Kombination mit Sport die Überlebensrate bei Brustkrebs erheblich.
Mind-Body-Medizin
Besonderes Augenmerk legen die Autoren im Buch und in der Praxis in Essen auf die „Mind-Body-Medizin“: Yoga, Meditation und weitere Konzentrations- und Entspannungstechniken helfen mit, den Lebensstil während und nach der Krebsbehandlung langfristig zu verändern. Eine „kognitive Umstrukturierung“ schwächt Gedanken ab, die dem Heilungsprozess entgegenstehen, wie Selbstzweifel und unbegründete Ängste. Sie kann Schmerzen dämpfen und Nebenwirkungen wie etwa Übelkeit lindern. Am wichtigsten ist aber die Erfahrung, dass Patienten selbst ihre Krankheit beeinflussen können und den Ärzten nicht hilflos ausgeliefert sind.
Auf dem Marktplatz der Heilmittel gegen die Qual einer Chemotherapie oder den wuchernden Zellhaufen im Körper tummeln sich auch Scharlatane oder selbst ernannte Gesundheitsapostel: Das Buch warnt vor Haifischknorpelextrakten, Kletten- oder Rhabarberwurzel, oder „Galavit“ aus russischen Quellen. 300 Primärliteraturstellen im Buch belegen dagegen die Wirksamkeit der Strategie, Naturheilkunde und klassische Onkologie zusammenzuführen. Wenn man die hohe Therapieabbruch-Quote aufgrund von Nebenwirkungen bedenkt, sparen die Investitionen in die ergänzenden Mittel der Natur und alten überlieferten Heilmethoden auf Dauer Kosten und erhöhen die Chancen für die Patientinnen.
Die Zahl der Krebskranken wächst. Im Jahr 2020 werden es um die Hälfte mehr sein als heute. Immer öfter sind es alte Menschen mit angegriffener Gesundheit, die eine aggressive Tumortherapie nicht mehr gut vertragen. In Deutschland gibt bisher nur wenige Krebszentren, die eine komplementäre Behandlung zur Schulmedizin anbieten. Wenn aber Patienten von sich aus nach Mitteln suchen, um ihre Chancen zu erhöhen und Beschwerden zu lindern, sollten sich Ärzte davor nicht verschließen. „Die Medizin muss wissenschaftlicher werden - und trotzdem menschlicher“, so schreibt Dobos, „Wille und Wunsch des Patienten sollten von der Medizin nicht länger als Stolperstein der Behandlung verstanden werden, sondern als Ressource“.