Eine halbe Million Menschen quält sich mit schlimmen Clusterkopfschmerzen. Etlichen kann mittlerweile durch schnell wirksame Therapien geholfen werden. In aussichtslosen Fällen ist ein implantierbarer Neurostimulator möglicherweise die letzte Rettung.
Beim Clusterkopfschmerz häufen sich zig Schmerzattacken hintereinander, Patienten berichten von unvorstellbarer Qual – als würde ein Messer ins Auge gestoßen. Betroffen ist meist eine Seite des Kopfes, bei 78 Prozent immer die gleiche. Hier schwillt das Gesicht an, die Nase ist verstopft, das Auge tränt und die Beschwerden strahlen in weite Bereiche aus. Nach einer viertel Stunde bis drei Stunden ist der Spuk von selbst vorbei, und Laien führen dies auf die zahlreichen Analgetika zurück, die sie in dieser Zeit wahllos eingenommen haben. Das Schlimme daran: Die Leidgeprüften wissen, dass ihre Pein früher oder später wieder kommen wird, und sie schränken ihr Leben immer mehr ein.
Facharzt? Fehlanzeige!
Meist haben Clusterkopfschmerz-Patienten eine lange Odyssee hinter sich, bis die richtige Diagnose gestellt wird – 62 Prozent von ihnen sind mit der Behandlung unzufrieden, wie eine Umfrage der European Headache Alliance nun an den Tag brachte. Die Gründe: Vor allem wird eine ineffiziente Arzneimitteltherapie bemängelt. Viele kritisieren auch die schwere Erreichbarkeit von Kopfschmerz-Spezialisten. Zudem ließe sich die Versorgungssituation deutlich verbessern, lediglich 16 Prozent erhalten eine wirksame Prophylaxe, nur 37 Prozent setzen Triptane im akuten Fall ein und 30 Prozent behelfen sich – in der Regel erfolglos – mit Schmerzmitteln, die ohne Rezept in Apotheken erhältlich sind.
Das ließe sich durch eine integrierte Versorgung optimieren: Neurologen, Psychologen und Physiotherapeuten können gemeinsam vielen Patienten helfen und Mehrfachuntersuchungen sowie sinnlose Medikationen vermeiden, Einsparung inklusive. „Wir machen das seit fünf Jahren“, berichtet Professor Dr. Hans-Christoph Diener vom Westdeutschen Kopfschmerzzentrum der Uni Essen. Bei rund 60 Prozent der Behandelten konnten die Schmerzen deutlich reduziert werden, und die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage sank um 50 Prozent. Dabei ist neben der Prophylaxe eine rasch wirksame Akuttherapie gefragt.
Keine heiße Luft
Bewährt hat sich hier die Gabe von reinem Sauerstoff, und zwar mit hoher Evidenz. Eine Placebo-kontrollierte Studie mit 76 Erwachsenen konnte den Nutzen anschaulich zeigen, 78 Prozent der Verum-Gruppe war 15 Minuten nach der Therapie beschwerdefrei. In der Placebogruppe, sie atmete normale Luft ein, hatten nur 20 Prozent der Probanden keine Pein. Bei der Luftinhalation musste zudem die Hälfte der Patienten auf Medikamente zurück greifen, unter Sauerstoff waren es nur 25 Prozent. Neurologen sehen den Vorteil vor allem darin, dass die Sauerstofftherapie keine Nebenwirkungen hat und damit auch für Herz-Kreislauf-Patienten infrage kommt. Eine Kombination mit Arzneimitteln wäre ebenfalls denkbar. Wichtigste Voraussetzung: Patienten sollten über eine Hochkonzentrationsmaske Sauerstoff mit einer Flussrate von mindestens sieben Litern pro Minute bekommen. Schlägt das Gas nicht an, hatten mehrere Forschergruppen dennoch Erfolg, indem sie den Durchsatz auf bis zu 15 Liter pro Minute erhöhten. Jetzt gingen niederländische Kollegen der Frage nach, ob ein in älteren Arbeiten bei immerhin 25 Prozent der Fälle beschriebener Rebound-Effekt wirklich Relevanz hat: das schnellere Auftreten einer neuen Schmerzattacke nach der Sauerstoffgabe. Ihre Entwarnung: Die Arbeitsgruppe fand nach eingehender Analyse der medizinischen Literatur lediglich acht passende Fallbeschreibungen. Damit kann bedenkenlos zum hilfreichen Gas gegriffen werden.
Schaltet den Schmerz ab – aber bitte schnell
Als erste Wahl haben sich neben Sauerstoff vor allem Triptane bewährt, wobei zur Beschleunigung des Wirkeintritts subkutane oder intranasale Applikationen zu bevorzugen sind. Wenig bringen Tabletten – die Wirkung tritt nach bis zu 60 Minuten ein, also möglicherweise zum biologischen Ende des Schmerzschubs. Nasensprays sind mit 15 bis 25 Minuten etwas schneller, und subkutane Injektionen helfen bereits nach rund zehn Minuten.
Für nasales Zolmitriptan belegte eine aktuelle Metaanalyse mit 121 Patienten eindrucksvoll den Effekt: Innerhalb von 30 Minuten kam es mit zehn Milligramm des Pharmakons bei 63 Prozent der Behandelten zu einer deutlichen Besserung der Symptome. Verabreichten Kollegen nur fünf Milligramm, lag der Erfolg immer noch bei 48 Prozent. Bei der Placebo-Gruppe notierten nur 30 Prozent eine scheinbare Wirkung. Und Sumatriptan, der alt bekannte Klassiker, kann seit kurzer Zeit auch mit einem nadelfreien Pen-System injiziert werden. Gut für Laien: Der Arzneistoff wandert auf Knopfdruck mit 180 Sachen in das Unterhaut-Fettgewebe, klassische Injektionen empfanden viele Cluster-Geplagte auf Dauer als extrem belastend. Eine randomisierte, palcebokontrollierte Studie, an der 39 Patienten teilnahmen, zeigte bereits nach maximal 15 Minuten den Nutzen, und zwar bei 74 Prozent der Clusterkopfschmerz-Fälle im Vergleich zu 26 Prozent ohne Pharmakon. Komplett schmerzfrei waren in der Verum-Gruppe 46 Prozent, unter Placebo hingegen nur zehn Prozent. Schlagen Triptane nicht an, so bleibt immer noch lokal verabreichtes Lidocain als Reserve. Fünf Studien, die allerdings hohen Anforderungen nicht genügen, demonstrieren den Wert des Arzneistoffs.
Lange Zeit Ruhe?
Dennoch wird das Ziel einer guten Patientenversorgung immer sein, weitere Schmerzen im Vorfeld zu verhindern. Nach den Leitlinien ist Verapamil Mittel der Wahl – bei guter Datenlage: Im Rahmen einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie profitierten 80 Prozent der Cluster-Geplagten von der Substanz. Vor allem höhere Dosierungen erfordern jedoch eine engmaschige kardiologische Kontrolle. Und Kortikoide können die Zeit bis zum Wirkeintritt des Präparats überbrücken. Versagen diese Strategien, bleiben als zweite Wahl immer noch Lithiumsalze. Die Nachteile liegen auf der Hand: Zuerst müssen Kollegen den richtigen Spiegel des Salzes im Blut einstellen, mehrere Laboruntersuchungen inklusive.
Und dann zeigen viele Patienten eine ganze Palette von Nebenwirkungen, was wiederum die Therapietreue nachweislich sinken lässt. Gamma-Hydroxybuttersäure hingegen scheint Schweizer Neurologen zufolge einen Effekt bei chronischen Formen des Clusterkopfschmerzes zu haben, die Beschwerden beginnen meist nachts. Kollegen behandelten vier Patienten in einer offenen Studie mit dem Wirkstoff, um deren Schlaf-Wach-Rhythmus wieder zu normalisieren. Effekte zeigten sich bei allen Probanden hinsichtlich der nächtlichen Schmerzattacken (bis zu 90 Prozent weniger) und deren Stärke (um mindestens 50 Prozent verringert). Und kroatische Forscher setzten versuchsweise den Wirkstoff Gabapentin bei 14 Patienten ein. Innerhalb von ein bis zwei Wochen sank daraufhin die Zahl der Attacken von 378 auf 210. Zudem waren die Schmerzen deutlich milder als üblich – ein Ansatzpunkt für weitere Arbeiten.
Knopf im Kopf
Auch die Technik macht Fortschritte: Neurologen haben jetzt einen implantierbaren Neurostimulator entwickelt. Das Gerät, kaum größer als eine dickere Kapsel, wird in das Zahnfleisch implantiert, sichtbare Narben bleiben keine. Dann verbindet man eine kleine Elektrode mit dem Meckel-Ganglion, einem Nervenstrang hinter dem Wangenknochen. Diese Struktur ist Forschern bereits hinlänglich bekannt, Lidocain-Injektionen zeigten in manchen Fällen von Clusterkopfschmerz gerade hier deutliche Effekte.
Jetzt liegen erste Ergebnisse der multizentrischen Pathway-CH-1-Studie mit sieben Kopfschmerzzentren vor. Momentan bezogen die Ärzte 22 Personen ein, insgesamt sollen es 40 werden. Die Reize des Neurostimulators linderten während der Einstellungsphase bei 66 Prozent innerhalb von 15 Minuten den Clusterkopfschmerz. Zudem sank die Häufigkeit entsprechender Ereignisse bei 70 Prozent der Patienten um mindestens die Hälfte. Als Vergleich zogen die Wissenschaftler einen Vier-Wochen-Zeitraum vor der Implantation heran.
„Die Ergebnisse sind sehr ermutigend“, sagt Professor Dr. Jean Schoenen von der Universität Liegé, Belgien. Vorteile sieht er vor allem bei Patienten, die aufgrund bestehender Vorerkrankungen, etwa im kardiovaskulären oder zerebrovaskulären Bereich, nicht zu Triptanen greifen können. Zudem hofft er, mit dem Neurostimulator Patienten helfen zu können, bei denen alle klassischen Therapien versagen. Weiter geht es mit einer randomisierte Phase, bei der verschiedene Stimulationsdosen inklusive Placebo zum Einsatz kommen sollen.