Eine implantierbare Kunstlunge ist eine der großen Visionen der Bionik, der Wissenschaft vom künstlichen Menschen. Wissenschaftler aus Cleveland kommen diesem Ziel jetzt einen Schritt näher: Sie haben einer Kunstlunge beigebracht, sich mit Luft zu begnügen.
Künstliche Organe sind so eine Sache. Die Idee ist bestechend, eine kaputte Niere einfach durch eine implantierbare Kunstniere zu ersetzen oder ein kaputtes Herz durch eine implantierbare Pumpe. In der Realität sieht das dann freilich immer etwas komplizierter aus als in der Theorie. Probleme bei der Energieversorgung und eine oft suboptimale Gewebeverträglichkeit der eingesetzten Materialien sind die beiden großen Hemmschuhe, die dem bionischen Menschen entgegen stehen. Die Konsequenz ist, dass es mit der Tragbarkeit der Kunstorgane oft nicht weit her ist. Die Kunstniere ist bekanntlich Realität. Nur joggen gehen kann man mit einer Dialysemaschine nicht. Auch die Anfänge des Kunstherzens waren rollende Monstren. Hier sind die Bemühungen mittlerweile allerdings etwas weiter fortgeschritten.
Diese Lunge lebt von Luft allein
Medizinisch hoch relevant wäre auch eine künstliche Lunge: Mehr als 200 Millionen Menschen leiden weltweit an schweren Lungenerkrankungen. Vielen dieser Menschen kann die Medizin irgendwann außer einer Lungentransplantation nichts mehr anbieten. Ähnlich wie bei der Niere lässt sich auch die Lunge auf unterschiedliche Weise technisch ersetzen: Ein Teilersatz gelingt mittels klassischer Beatmung. Die extrakorporale Membranoxygenierung ist gewissermaßen der komplette Bypass. Beide Methoden sind keine Kunstlungen im engeren Sinne. Echte Kunstlungen versuchen, den physiologischen Gasaustauch der Lunge mechanisch nachzubilden um die Kunstlunge – das ist das große Ziel – eins zu eins in den Thorax einbauen zu können.
Keine der unterschiedlichen Lungenersatzoptionen ist derzeit sonderlich mobil. Eines der größten Probleme bei den künstlichen Lungen ist, dass sie nicht einfach Luft „atmen“, sondern durch Sauerstoffflaschen versorgt werden müssen. Und die muss man erst einmal fortbewegen. Wissenschaftler um Joseph Potkay von der Abteilung für Elektrotechnik und Computerwissenschaften an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, berichten jetzt in der Zeitschrift Lab on a Chip über eine künstliche Lunge, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigt, sondern sich mit der ganz normalen Atemluft begnügt.
Das gelingt deswegen, weil der Gasaustausch bei dem von Potkay entwickelten Lungenersatz wesentlich effektiver abläuft als bei gängigen Ersatzlungen: Tests mit Schweineblut haben ergeben, dass die Sauerstoffaufnahme drei- bis fünfmal höher liegt. Wurde Potkays Kunstlunge mit ganz normaler Atemluft ventiliert, konnte im Blut ein Sauerstoffgehalt erreicht werden, den bisher gängige Kunstlungen nur bei Einsatz von reinem Sauerstoff erreichen. „Basierend auf der derzeitigen Leistungsfähigkeit schätzen wir, dass ein Gerät für den Einsatz beim Menschen eine Größe von sechs mal sechs mal vier Inch haben müsste“, so Potkay. Das wären 15 mal 15 mal 10 Zentimeter, was so gerade in einen großen Thorax hineinpassen würde. „Damit könnte das Gerät an das Herz angeschlossen werden und bräuchte keine eigene Pumpe“, so Potkay.
Silikonkautschuk plus Nanotechnik gleich Lungenbläschen
Dass das gelungen ist, liegt wesentlich an der Fabrikationstechnik. Potkays Kunstlunge besteht komplett aus Silikonkautschuk, der mit Hilfe von mikro- und nanotechnologischen Fertigungsmethoden zu einer Art künstlichem Kapillarsystem geformt wurde. Sowohl die Größe der Kapillaren als auch die Dicke der Membran, die das Luftkompartiment vom Blutkompartiment trennt, ähneln den natürlichen Verhältnissen im menschlichen Körper. Der Durchmesser der kleinsten Silikonkautschuk-„Kapillaren“ beispielsweise liegt bei weniger als einem Viertel des Durchmessers eines Kopfhaars.
Das Ergebnis ist einerseits eine sehr kurze Diffusionsstrecke, andererseits ein enorm großes Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen. Beides sind Eigenschaften, die auch die natürliche Lunge auszeichnen. Um den Gasaustausch selbst müssen sich die Hersteller künstlicher Lungen nicht groß kümmern: Wie beim natürlichen Vorbild folgen Sauerstoff und Kohlendioxid bei entsprechend dünnen Diffusionsmembranen dem jeweiligen Partialdruckgefälle.
Endgültig gelöst ist das Problem der Kunstlunge mit dem von Potkay entwickelten Prototyp freilich noch nicht. Er behauptet das auch nicht und schätzt, dass noch mindestens acht bis zehn Jahre ins Land gehen werden, bis eine auf seiner Technologie basierende Kunstlunge in klinischen Studien am Menschen eingesetzt werden könnte. Der Anschluss des Kapillarsystems an den Blutkreislauf dürfte dabei noch das geringere Problem sein. Hier gibt es mittlerweile einiges an Erfahrungen, nicht zuletzt aus der Kunstherzforschung.
Schwieriger dürfte die mechanische Einpassung der Lunge in den Thorax werden. Eine Kunstlunge, die Luft atmet, ist schön und gut. Aber mobil wird ein solches Konstrukt auch erst dann, wenn es gelingt, es an die Atemmechanik anzuschließen. Nur dann kann die Flasche zu Hause bleiben. Mit Hilfe der Atemmuskulatur müsste die Kunstlunge in der luftdicht verschlossenen Pleurahöhle so stark dehnbar sein, dass ausreichend Sauerstoff durch die Luftröhre eingesogen werden kann. Und danach sollte die Sache dann auch nicht komplett kollabieren, sondern nur so weit, dass das Wiedereröffnen nicht endlos viel Atemarbeit erfordert. Die Biokompatibilität ist natürlich auch noch ein Thema, wenn es dann wirklich einmal in Richtung Thorax geht. Da ist schon noch einiges zu tun auf dem Weg zur komplett bionischen Atmung.