Als ein paar Medizinstudenten Anfang 2011 beschlossen, Befunde und Arztbriefe für Patienten in eine verständliche Sprache zu übertragen, war das ein Versuchsballon. Mittlerweile segelt das Portal an seinen Kapazitätsgrenzen und hält über 200 Mediziner auf Trab.
Ohne Warten geht gar nichts im Gesundheitswesen. Wer die Webseite des im Januar 2011 gestarteten Serviceportals Washabich.de besucht, der findet dort nicht ständig, aber immer mal wieder, einen rot umrandeten Kasten: „Zur Zeit ausgelastet – Wartezimmer aktiv“ steht dort. Johannes Bittner, der das Portal zusammen mit einer weiteren Medizinstudentin, Anja Kersten, und dem Informatiker Ansgar Jonietz gegründet hat, nimmt es im Gespräch mit DocCheck mit Humor: „Wir machen das wie im echten Leben. Nur unterscheiden wir nicht zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten.“
Nur Übersetzung, keine Beratung
Washabich.de ist ein Patientenportal, dem eine genial einfache Idee zugrunde liegt: Ärzte schreiben Arztbriefe und Befunde (oft) in einer Sprache, die für Menschen, die den medizinischen Technolekt nicht drauf haben, mitunter schwer bis gar nicht verständlich ist. Das steht, nebenbei bemerkt, in seltsamem Kontrast zu den oft erstaunlich simplen Sachverhalten. Wie dem auch sei: Patienten, die Arztbriefe und Befunde in der Hand halten und diese gerne etwas besser verstehen würden, können sich an Washabich.de wenden und die entsprechenden Passagen dort eingeben, alternativ einscannen oder abfotografieren und hochladen. Das eingegebene oder hochgeladene Dokument wird dann von den im Washabich.de-Netzwerk zusammengeschlossenen Medizinstudenten in verständliche deutsche Sprache übertragen und zurück gesandt. Einen direkten Kontakt zwischen dem Patienten und dem „Übersetzer“ gibt es dabei nicht: „Wir wollen vermeiden, dass wir in irgendeine Art von Beratungssituation kommen“, so Bittner. Zwar wird der Name des übersetzenden Studenten am Ende angegeben. Dies bietet die Möglichkeit, dem jeweiligen Übersetzer Feedback oder auch eine Spende zukommen zu lassen. Eine direkte Kommunikation findet aber nicht statt. Sofern sie nicht freiwillig spenden, ist der Service für die Patienten kostenlos.
Virtuelles Wartezimmer ist oft aktiv
„Als wir mit dem Portal am 15. Januar 2011 starteten, haben wir nicht geahnt, was das für Wellen schlagen würde“, so Bittner. Aus einer Handvoll Dresdner Medizinstudenten sind mittlerweile über 220 ehrenamtliche Helfer geworden, die längst nicht mehr nur von der Medizinischen Fakultät Dresden, sondern von dreißig Fakultäten aus dem ganzen Bundesgebiet kommen. Meist handelt es sich um Studenten in höheren klinischen Semestern. Intensiv Werbung gemacht haben die Dresdner für das Portal nicht: „Wir haben in einigen Patientenforen über das Angebot informiert, und danach dauerte es nur zwei Stunden, bis der erste Befund einging“, so Bittner. Der Rest war ein Selbstläufer: BILD, Süddeutsche, RTL und andere haben schon angeklopft. Das ließ die Zahl der Anfragen steigen und steigen. Mit der aktuellen Besetzung können derzeit etwa 150 Befunde oder Arztbriefe pro Woche abgearbeitet werden. Gehen mehr Anfragen ein, kommt das virtuelle Wartezimmer zu seinem Recht, wo der Patient seine eMail-Adresse eingibt und dann kontaktiert wird, sobald ein „Übersetzungs-Slot“ frei geworden ist. Das Spektrum der eingeschickten Dokumente ist breit. Bevorzugt werden Übersetzungen von radiologischen Befunden und MRT-Befunden angefragt. Manch einer schickt auch komplette Entlassungsbriefe. Gelegentlich schickt Washabich.de eine Nachfrage an den Patienten, um zu klären, ob wirklich ein komplettes Dokument nicht verstanden wird oder ob es nur um einzelne Passagen geht.
Transparenz sorgt für Effizienz und Qualität
Dass ein Portal, das in diesem Umfang Dienstleistungen anbietet, nicht mehr ohne Weiteres nebenher betrieben werden kann, leuchtet ein. Die Studenten selbst sind dabei nicht das Problem: „Viele sagen uns, dass der Lerneffekt durch die Übersetzungen enorm hoch sei. Und manche nutzen die Übersetzungen explizit auch als Teil ihrer Vorbereitung fürs Staatsexamen“, betont Bittner. Schwieriger als die Studenten zu motivieren ist es, die Abläufe flüssig und die Qualität möglichst hoch zu halten.
„Es zahlt sich aus, dass wir von Anfang an relativ professionell gearbeitet haben und vor allem einen guten Informatiker haben, der eine leistungsfähige Plattform programmiert hat“, so Bittner. Die Übersetzer arbeiten mit einer Art Redaktionssystem, in das alle Anfragen eingestellt werden. Dort können sich registrierte Übersetzer-Studenten, die Kapazitäten frei haben, frei bedienen. Das Ganze ist sehr transparent: Jeder Übersetzer kann jede Übersetzung einsehen, selbst dann, wenn sie noch nicht fertig ist. Auch eventuelle Spenden von Patienten an einzelne Übersetzer werden transparent gemacht.
Um das Qualitätsniveau zu halten, gibt es ein Team aus approbierten Ärzten, deren Aufgabe vor allem in der Supervision besteht. „Übersetzungsneulinge“ arbeiten ihre Übersetzungen mit einem Supervisor im Detail durch und besprechen sie am Telefon. Die Transparenz des Systems, die es erlaubt, sich an anderen Übersetzungen zu orientieren, tut ihr Übriges. „Es gibt den einen oder anderen, der unsere Übersetzungen kritisch getestet hat. Die Berichte über diese Tests sind sehr positiv gewesen“, betont Bittner. Reklamationen von Ärzten, die sich falsch übersetzt fühlten, habe es bisher nicht gegeben.
Mitmachen gern gesehen
In der näheren Zukunft soll es vor allem darum gehen, stabile Strukturen für das Portal zu schaffen und so die Dauerhaftigkeit der Einrichtung zu gewährleisten. Derzeit gibt es mehrere Partner, die unter anderem den Server und die Telefonkosten sponsorn. In geringem Umfang gehen auch Spenden ein, die zu 80 Prozent an die Übersetzer verteilt werden. „Im Moment sind wir dabei, einen Förderverein zu gründen. Dafür sammeln wir gerade Voranmeldungen“, so Bittner. Neue Studenten oder Ärzte, die sich mit Übersetzungs- oder Supervisionsleistungen an dem Portal beteiligen wollen, sind stets willkommen.