Frauen sind anders, Männer auch. Keine neue Erkenntnis? Doch, denn auch im weißen Kittel offenbaren sich Gegensätze: Ärztinnen und Ärzte therapieren durchaus verschieden. Und das je nachdem, ob eine Patientin oder ein Patient vor ihnen steht.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Alles Schnee von gestern, aus der finsteren Zeit des männlichen Chauvinismus? Eine wissenschaftliche Antwort darauf gab die Psychologin Janet S. Hyde von der University of Wisconsin, Madison, USA. Sie nahm 46 Metaanalysen zu geschlechtsspezifischen Unterschieden unter die Lupe, die sie in der Fachliteratur der letzten 20 Jahren fand. Wichtige Parameter waren kognitive Fähigkeiten, die verbale und nonverbale Kommunikation, Selbstbewusstsein, die Bereitschaft zu Aggression, der Führungsstil, das eigene Selbstwertgefühl, motorische Fähigkeiten oder Moralvorstellungen.
Unterschiede fanden die Forscher keine, unter der Voraussetzung, dass Zugang zu gleichwertigen Bildungsangeboten bestand. So einfach ist es aber nicht: „Sie“ und „Er“ unterscheiden sich generell etwa bei der Risikobereitschaft, so eine Erkenntnis des Männergesundheitsberichts. Diese Studie der Stiftung Männergesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e.V. ging Details zu „seinen“ Lebensweisen und „seiner“ Gesundheitsversorgung auf den Grund. Und mit sozialem Stress bzw. beruflicher Überforderung kann „er“ immer noch weitaus schlechter umgehen. Ignorieren lassen sich solche Daten auch für Kolleginnen und Kollegen in Praxis und Klinik nicht.
Sein Rezept – ihr Rezept
Unterschiede hinsichtlich der medizinischen Betreuung hat Professor Dr. Toine Largo-Janssen vom Radboud University Nijmengen Medical Center, Holland, aufgespürt. Das betrifft neben der Kommunikation auch Diagnostik und Therapie – Differenzen fanden sich hinsichtlich der Anwendung zusätzlicher Tests. Vor allem wurden Prostata- oder vaginale Untersuchungen seltener bei Patienten des anderen Geschlechts durchgeführt. Außerdem verschreiben männliche Ärzte häufiger Medikamente. Insbesondere verordnen sie mehr Sedativa gerade an Patientinnen. Damit sei die berufliche Rolle des Arztes nicht geschlechtsneutral, so Lagro-Janssen.
Das gilt auch für Deutschland: In ihrem „Gesundheitsreport 2011“ hat die Techniker Krankenkasse jetzt untersucht, wie viele Rezepte Patientinnen bzw. Patienten verordnet bekommen haben. Die Gesundheitsökonomen werteten dazu Informationen von 3,5 Millionen Versicherten aus – ein repräsentativer Datensatz. Sie fanden, dass Frauen weitaus häufiger mit einem Rezept die Praxis verließen (70 Prozent) als Männer (50 Prozent). Die Herren erhielten dabei häufiger Blutdrucksenker und Antibiotika, Frauen hingegen bekamen öfter Antiinfektiva sowie Antidepressiva. Kollegen sehen hier aber nicht nur medizinische Gründe – vor allem im psychiatrischen Bereich erfolgen Verordnungen offensichtlich nicht immer geschlechtsneutral.
Seine Depression – ihre Depression
Das deckt sich auch mit Erkenntnissen der University of Western Australia: Depressionen bleiben bei männlichen Patienten im Vergleich zu Frauen weitaus häufiger unentdeckt. Die meisten der Befragten (64 Prozent) berichteten, dass eine entsprechende Diagnose bei Männern schwieriger sei als bei Frauen, und zwar 73 Prozent der Hausärztinnen verglichen mit 58 Prozent der Hausärzte. Als Grund gaben die Autoren vor allem Probleme in der Kommunikation an. Ein effizienter Austausch sei eben von entscheidender Bedeutung in der Arzt-Patient-Beziehung. Und Ärztinnen könnten nur unter großen Mühen mit männlichen Patienten Fragen auf emotionaler Ebene erörtern. Erschwerend kommt noch hinzu, dass depressive Symptome vom vermeintlich „starken Geschlecht“ weniger deutlich artikuliert werden. An Fähigkeiten und Erfahrungen der Kolleginnen hingegen läge es nicht, so die Arbeitsgruppe.
Forscher der University of New South Wales, Australien, führen das Phänomen speziell auf Schwierigkeiten bei der Interpretation der Art und Weise, mit der Männer emotionalen Stress ausdrücken, zurück. Dazu gehörten auch Aggression, selbstverletzendes Verhalten oder Drogen-und Alkoholmissbrauch. Die „Maske der Gefühle“ mache es eben schwierig, den Kern der Depression zu identifizieren. Deshalb fordern auch die Autoren des Männergesundheitsberichts, Prävention und medizinische Versorgung müssten besser an den Bedürfnissen der beiden Geschlechter angepasst werden, vor allem bei psychischen Erkrankungen.
Leitlinien – nicht für jedermann
Auch bei chronischen Erkrankungen zeigen sich Unterschiede zwischen Kolleginnen und Kollegen, speziell bei der Umsetzung evidenzbasierter Behandlungsmethoden. Bisher gab es dazu eher spärliche Daten - Grund genug für die Forschergruppe um Maria Pia Fantini von der Uni Bologna zu untersuchen, welchen Einfluss Geschlecht und Alter der Ärzte haben. Deutliche Unterschiede zeigten sich vor allem beim Diabetes-Management: Jüngere Kolleginnen und Kollegen generell und Ärztinnen speziell erreichten weitaus bessere Ergebnisse bei der Behandlung dieser Krankheit, auch hinsichtlich der Therapietreue. Sie orientierten sich dabei stark an Empfehlungen der Leitlinien. Ähnliche Ergebnisse erhielt Fantini für Herzerkrankungen. Bemerkenswert: In beiden Fällen hatte das Geschlecht der Ärzte unter allen erfassten Parametern den stärksten Einfluss. Vor allem Hausärztinnen scheinen besonders aufmerksam auf die Behandlung von Menschen mit chronischen Erkrankungen zu achten. Sie führen weitaus mehr Labortests durch als männliche Kollegen, beraten intensiver und achten auf ein gutes Verhältnis zu chronisch Kranken.
Das deckt sich mit der Patientensicht. In einem relativ simplen Test ließen britische Psychologen über 300 Patienten Bilder von Ärzten bewerten. Besonders gut schnitten – keine Überraschung – junge Mediziner bzw. Frauen ab. Die Probanden beiderlei Geschlechts führten vor allem die persönlichere Art, bessere technische Fähigkeiten, bessere Erklärung medizinischer Termini an. Auch hätten sie eher Vertrauen in Diagnosen und Ratschläge. Ein bemerkenswertes Experiment, lernten die Testpersonen „ihre“ Ärzte nie persönlich kennen, sondern sahen sie nur auf Abbildungen. Diese Resultate sind mittlerweile in der Ausbildung angehender Ärzte angekommen. Simulierte Patientengespräche sollen helfen, angehende Mediziner stärker als bisher im Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht zu trainieren.
Arzneimittelberatung – geschlechtsneutral?
Die Thematik betrifft nicht nur Ärzte. Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer sowie der Landesapothekerkammer Hessen, vermutet, Frauen hätten hier ebenfalls eine gute Intuition und eine hohe Sozialkompetenz: „Ich könnte mir vorstellen, dass daher auch Apothekerinnen besser mit Non-Compliance umgehen können als ihre männlichen Kollegen mit ihrem oft eher autoritären Stil.“ Daten gibt es dazu noch nicht – „Das wäre doch vielleicht mal eine Studie wert“, sagt Fink.