Dass laut britischen Medien die Familie von Amy Winehouse einen abrupten Stopp des Alkoholkonsums als Auslöser des Todes der Sängerin vermutet, mag zunächst überraschen. Aber so abwegig, wie sie auf den ersten Blick möglicherweise erscheint, ist die Vermutung nicht.
Erste Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung des Leichnams der 27-Jährigen liegen bereits vor, die exakte Todesursache wird allerdings erst nach Abschluss der Untersuchungen im Herbst bekannt sein. Die Vermutung der Winehouse-Angehörigen, die junge Frau sei nicht an einer Intoxikation gestorben, sondern an den Folgen eines plötzlichen Alkohol-Entzugs, ist durchaus ernst zunehmen - mehr als eine jener Spekulationen, die in solchen prominenten Fällen fast üblich sind. Denn der plötzliche Entzug einer Droge ist für Suchtkranke, also auch für Alkoholkranke, eine enorme Belastung, die Risiken in sich birgt. Der Alkoholentzug sollte daher stets unter ärztlicher Kontrolle stattfinden, erklärt unter anderen Dr. Harry Haroutunian, ärztlicher Direktor des „Betty Ford Center“ in Rancho Mirage, das auf die Behandlung von Suchtkranken spezialisiert ist.
Besonders gefürchtet: das Delirium tremens
Auf den Alkohol-Entzug reagiert der Organismus kompensatorisch mit der Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern wie Serotonin, Adrenalin und Dopamin; es kommt zu einer verstärkten Sympathikus-Aktivierung. Klinische Symptome des sogenannten „Alkohol-Entzugssyndroms“ können innerhalb weniger Stunden bis Tage nach dem letzten Alkohol-Konsum auftreten. Dazu zählen Symptome wie Schlafstörungen, Tremor, kardiale Palpitationen, Übelkeit und Schwitzen bis hin zu Halluzinationen und Herzrhythmusstörungen. Auch Krampfanfälle treten in der Regel innerhalb von 24 bis 72 Stunden nach dem letzten Drink auf, sind aber sogar noch zehn Tage danach möglich, sagt der Sucht-Experte Professor James C. Garbutt von der Universität von North Carolina. Welche Rolle die endotheliale Dysfunktion spielt, die nach Untersuchungen von Forschern der Universität Jena beim Entzugssyndrom auftritt, ist derzeit noch unbekannt. Besonders gefürchtet ist das Delirium tremens (DT), das meist innerhalb von zwei bis vier Tagen nach dem letzten Alkoholkonsum auftritt.
Zum Vollbild eines Delirium tremens komme es bei rund fünf Prozent der Patienten, die ein Entzugssyndrom entwickeln und nicht behandelt werden, berichten die beiden Professoren Falk Kiefer und Karl F. Mann vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in einer „Übersichtsarbeit“. Die typischen Symptome sind Halluzinationen, meist optische, Verlust der Orientierung, Grand-mal-Anfälle, Störungen des Bewusstseins und psychomotorische Hyperaktivität. Wird behandelt, ist die Prognose mit einer Letalität von zwei Prozent allerdings „relativ günstig“. Dennoch: Erleiden Alkohol-Kranke ein Entzugssyndrom, ist dies nicht nur eine akute Gefahr; es verschlechtert nach einer aktuellen spanischen Untersuchung auch die Langzeit-Überlebensprognose. Hinweise auf ein erhöhtes DT-Risiko sind laut dem Toxikologen Dr. Florian Eyer und seinen Kollegen der TU München ein niedriges Serum-Kalium, eine Thrombozytopenie und vor allem strukturelle Hirnläsionen („Alcohol and Alcoholism“). Besonders gefährdet sind nach aktuellen Daten von Forschern aus Taiwan Alkohol-Kranke mit besonders niedrigen Serum-Konzentrationen des „Brain Derived Neurotrophic Factor“ (BDNF), der bei der Alkoholkrankheit eine wichtige Rolle spielen soll.
Alkohol-Entzug nicht ohne ärztliche Begleitung
Die Behandlung der Patienten setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen; die sogenannte „Entgiftung“ ist dabei neben der Rückfall-Prophylaxe und den wichtigen psychotherapeutischen Interventionen nur ein Element. Wie wird nun „entgiftet“? Die Vorgehensweise ist abhängig von der Schwere der Erkrankung und davon, ob sie ambulant, stationär oder teilstationär erfolgt. Einigkeit besteht unter Sucht-Experten auf jeden Fall darin, dass der Entzug unter ärztlicher „Überwachung“ stattfinden sollte. Nach Angaben von Professor Charles P. O'Brien, leitender Sucht-Forscher am „University of Pennsylvania's Center for Studies in Addiction“, ist der erste Schritt natürlich eine vollständige medizinische Untersuchung. Basistherapeutische Maßnahmen sind zusätzlich zur ärztlich begleiteten Reduktion des Alkohol-Konsums die Gabe von Flüssigkeit, Elektrolyten und B-Vitaminen, vor allem von Thiamin zur Prophylaxe einer Wernicke-Enzephalopathie.
Alpha-2-Agonisten zur Sympathikusdämpfung
Die pharmakologische Behandlung ist laut Kiefer und Mann bei etwa einem Drittel der Patienten erforderlich. Einen wichtigen Stellenwert haben zentral wirksame α2-Agonisten zur Dämpfung der übermäßigen Sympathikusaktivität. Eine auch in den deutschen Leitlinien aufgeführte etablierte Substanz ist das Clonidin. Eine mögliche Option sei auch der hochselektive α2-Agonist Dexmedetomidin, schreibt der Pharmakologe Professor Andrew J. Muzyk von der „University School of Pharmacy and Health Sciences“ in Durham in den „Annals of Pharmacotherapy“. Der Nutzen beim Alkohol-Entzug sei allerdings noch in weiteren Studien zu belegen. Dies gilt auch für das Muskelrelaxans Tizanidin, ebenfalls ein zentral wirksamer α2-Agonist, der möglicherweise nicht allein für die Entzugs-Behandlung, sondern auch für die Rückfall-Prophylaxe geeignet sein könnte, meint der libanesische Psychiater Dr. R. Bou Khalil („Saint Joseph University“ in Beirut) in den „Medical Hypotheses“.
Benzodiazepine: „derzeit noch das Beste“
Längst einen festen Stellenwert haben außer dem bekannten Clomethiazol auch die Benzodiazepine. Nach einer Analyse der „Cochrane Collaboration Group“ vom Juni dieses Jahres schützen sie eindeutig vor Krampfanfällen und sind möglicherweise auch Neuroleptika überlegen. Allerdings gebe es noch zu wenige Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit, um ein definitives Urteil über diese Präparate für die Alkohol-Entzugsbehandlung fällen zu können. Die Benzodiazepine, etwa Lorazepam und Oxazepam, seien derzeit aber noch das Beste, was wir hätten, sagt O'Brien. Auch für Baclofen gibt es laut einer anderen Cochrane-Analyse Hinweise auf einen Wirksamkeit gegen die Entzugssymptome. Die Belege reichten aber noch nicht aus, um den Wirkstoff zur Entzugs-Behandlung zu empfehlen. O‘Brien: „Es wirkt, aber nicht besser als Benzodiazepine. Es gibt vieles, das wirkt, aber die besten Belege gibt es immer noch für die Benzodiazepine.“ Ist eine Pharmakotherapie zur Minderung der Entzugssymptome und zur Anfallsprophylaxe notwendig, liegen laut Kiefer und Mann gute Erfahrungen über eine Kombinationsbehandlung mit dem Neuroleptikum Tiaprid sowie dem Antikonvulsivum Carbamazepin vor. Nach vorläufigen Daten von Dr. Christian A. Müller und seinen Kollegen von der Charité und der Uniklinik Essen könnte bei ambulanten Patienten auch die Kombination von Tiaprid mit Levetiracetam eine wirksame und sichere Option sein. Die Daten müssten aber noch bestätigt werden, schreiben Müller und seine Mitautoren im „Journal of Addiction Medicine“. Ein festen Platz in der medikamentösen Rückfall-Prophylaxe haben seit Jahren der Glutamatmodulator Acamprosat und der Opioidantagonist Naltrexon.
Prophylaxe bleibt die beste Therapie
Die Ergebnisse der stationären Entwöhnungstherapien sind laut Robert-Koch-Institut mit Erfolgsraten von bis über 50 Prozent übrigens „deutlich besser als häufig angenommen wird und liegen zum Teil deutlich über der Mitte der 1970er Jahre publizierten so genannten 1/3-Quote“ (Gesundheitsberichterstattung des Bundes Heft 40). Vergleichsweise effizient seien auch „ambulante Entwöhnungstherapien (Abstinenzrate 46 Prozent nach 19 Monaten bzw. 44 Prozent nach drei Jahren)“. Die beste Therapie ist aber auch bei der Alkoholkrankheit natürlich die Prophylaxe. Und da ist bekanntlich immer etwas zu verbessern. Rund 1,3 Millionen Bundesbürger zwischen 18 und 65 Jahren gelten als alkoholabhängig, teilt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit. Insgesamt trinken knapp zehn Millionen Menschen Alkohol „in gesundheitlich riskanten Mengen“. Trotz Rückgangs sind es noch immer 13 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen, die mindestens einmal wöchentlich zu alkoholischen Getränken greifen. Fast 17 Prozent trinken sich nach eigenen Angaben mindestens einmal im Monat einen Rausch an. Allein in Deutschland sterben täglich rund 200 Menschen an den Folgen ihres AlkoholMissbrauchs.