Fälscher haben es bald deutlich schwerer: Zweidimensionale Matrixcodes sollen für mehr Sicherheit in der Vertriebskette sorgen. Doch ist die Initiative „securPharm“ mit Kosten für alle Beteiligten verbunden – die Zeche zahlen Firmen sowie Apotheken. Nur der Großhandel, mögliches Einfallstor für Grauimporte, muss kaum bluten.
Vor einigen Monaten gelangte wieder einmal Grauware auf den heimischen Arzneimittelmarkt: HIV-Medikamente, eigentlich für Südafrika bestimmt, wanderten über Belgien und die Schweiz nach Deutschland. Zwar manipulierten Betrüger nur Beipackzettel und Kartons – generell offenbarten sich aber mögliche Einfallstore für Arzneimittelfälschungen. Jetzt wird aufgerüstet: Verbände der Apothekerschaft, der Arzneimittelhersteller sowie des Großhandels haben „securPharm“ ins Leben gerufen, ein Konsortium, das Vertriebswege sicherer machen will. Beteiligt sind die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels, der Branchenverband Pro Generika sowie der Verband forschender Arzneimittelhersteller. Auf diesen Schultern ruhen auch alle Entwicklungskosten.
Hochspannung am HV-Tisch
Diese Bestrebungen sind Teil eines so genannten Pharmapakets, einer Sammlung von Richtlinien der Europäischen Union für mehr Arzneimittelsicherheit. „Wesentliche Eckpunkte des geplanten Sicherheitssystems sind bereits festgelegt“, sagt Dr. Reinhard Hoferichter, designierter Geschäftsführer der securPharm. Und so sollen alle technischen Komponenten „den neuen Vorgaben der EU für die Fälschungsabwehr entsprechen und – wenn es später flächendeckend eingeführt wird – sicherstellen, dass Patienten dauerhaft eine sichere Quelle für Medikamente behalten“.
In 2013 geht es mit einem Pilotprojekt los, um Hardware und Software unter Praxisbedingungen auf Herz und Nieren zu prüfen. Pharmazeutische Hersteller kündigten bereits jetzt an, Rx-Präparate mit einem speziellen, zweidimensionalen Matrixcode auszustatten, wie er von Flugtickets oder Online-Bahnfahrkarten bekannt ist. Dieser besteht aus der Seriennummer eines jeden Gebindes, einem Unikat, vom Hersteller in eine geschützte Datenbank eingespeist. Beim Abverkauf prüfen dann Apotheker oder PTA mit einem Scanner die Packung vor den Augen der Kunden. Ist alles in Ordnung, taucht die Identifikationsnummer online auf. Das Arzneimittel ist echt bzw. keine Grauware, und der Eintrag verschwindet aus dem Register.
Wurde die Packung hingegen frisiert, sprich der Code bereits gelöscht oder gar nicht in erst am Beginn der Vertriebskette eingegeben, schrillen die Alarmglocken. „Ein Medikament wird also zweimal erfasst: beim Eintritt in und beim Austritt aus der Vertriebskette“, erklärt Hoferichter. Diese eine End-to-End-Kontrolle könne „Fälscher zuverlässig abschrecken“. Datenschutz ist bei allen Prozessen ein wichtiges Thema – Hersteller erfahren nicht, in welcher Apotheke ihr Medikament über den HV-Tisch gewandert ist. Auch werde die Industrie keinen Zugang zu Patientendaten bekommen, betont Hoferichter. Das allein ist nur die halbe Miete – stimmt der Karton, aber nicht der Inhalt. Deshalb planen die Verantwortlichen, zusätzlich Klebesiegel oder Öffnungslaschen mit Perforation einzusetzen.
Europas langer Weg
Offen ist noch, welche Präparate in den Genuss des besonderen Schutzes kommen. Mittelfristig sollen das alle verschreibungspflichtigen Medikamente sein, mit Ausnahme solcher, die selten oder nie als Fälschung auftauchen. OTCs fallen nicht unter die Richtlinie, außer bei bekannt hohem Risiko. In zwei bis drei Jahren folgen dazu genauere technische Details, abgeleitet aus Erfahrungswerten des securPharm-Projekts. Mit der flächendeckenden Einführung hingegen rechnen Experten nicht vor 2016. Bis dahin sind einige Punkte offen: Wie etwa Verblisterer mit dem Thema umgehen müssen, steht nirgends geschrieben.
Denkbar wären hier Modelle von der Kontrolle am Automaten bis hin zum Aufdrucken eines eigenen Codes auf die kleinen Päckchen. Ohne Zusatzkosten oder größeren personellen Aufwand kommt auch hier niemand aus. Doch warum nur rezeptpflichtige Präparate oder OTCs schützen? Längst hat die Industrie einen Mehrwert für sich selbst erkannt: die Absicherung apothekenexklusiver Freiwahlprodukte. Tauchen die Produkte irgendwo im Supermarkt auf, lässt sich das Leck in der Vertriebskette schnell stopfen.
Gretchenfrage Geld
Sicherheit – schön und gut. Viele Firmen kritisieren bereits jetzt die hohen Investitionskosten: „Fertigungsstraßen müssen erneuert werden, wir rechnen mit sechsstelligen Beträgen pro Straße“, so Hoferichter. Auch die Kosten der Datenbank haben pharmazeutische Firmen zu schultern. Für Apotheken setzt Dr. Peter Homann von der ABDA rund 1.500 Euro für Software, Scanner und leistungsfähigen Internetzugang an: „Sehr viel mehr wird es nicht sein“, vor allem, da ohnehin schon vorhandene Geräte neuern Datums ebenfalls die zweidimensionalen Matrixcodes einlesen können. Hofmann wünscht sich dennoch, dass sich Krankenkassen an einem Teil der Ausgaben beteiligen und beispielsweise einen Obolus für den Online-Zugang leisten.
Apotheker wehren sich gegen die zusätzlichen Ausgaben – und gegen den Kundenfrust: Neben der Recherche zu Rabattverträgen folgt bald ein zusätzlicher Arbeitsschritt am Computer, also die Prüfung auf Echtheit. Kollegen schwitzen, Kunden fluchen angesichts der Wartezeit, und für die Beratung bleibt noch weniger Zeit, so die Prognose. Vereinzelt taucht auch Kritik am Großhandel auf, über den Grauimporte oder Fälschungen theoretisch bis in die Apotheke gelangen können – wäre es da nicht sinnvoller, wenn dieser auch die Apothekeninvestitionen übernehmen würde? Allen Unkenrufen zum Trotz hat die Sicherheitstechnik zumindest zwei gute Seiten: Informationen zur Charge im Falle etwaiger Rückrufe sowie das Verfallsdatum sollen mit auf den Matrixcode kommen. Ob sich europaweit diese Technologie wirklich durchsetzen wird, ist eine andere Frage. Sowohl die Sendungsverfolgung der Paketzusteller („Tracking and Tracing“) als auch die Radiowellen-gestützte RFID-Technologie stehen in Konkurrenz zum System des securPharm-Konsortiums, und zwar nicht ohne Grund.
Große Mengen – große Probleme
Mit dem securPharm-Gerät hätten Kollegen mit großer Chargen etlichen Mehraufwand, etwa bei der Belieferung von Arztpraxen, Kliniken oder Altenheimen – muss doch jede Packung einzeln über den Scanner gezogen werden. Im Vorfeld plädierten Entwickler deshalb für RFID-Technologien („radio-frequency identification“), automatische Verfahren, bei denen Mini-Empfänger direkt auf die Schachtel gedruckt werden. Ein spezielles Lesegerät erzeugt mit Radiowellen elektromagnetische Felder – und die ganze Großhandelskiste lässt sich en bloc verbuchen. Doch das Verfahren hätte noch weitere Vorteile: RFID-Chips kann man sich nicht nur auslesen, sondern auf Zwischenstationen wie dem Großhandel auch mit Daten füttern. Und ein versehentlich angebrachter Kugelschreiberstrich macht zwar Strichcodes unbrauchbar, nicht aber die kleinen Datenspeicher.
Fälschung frisch eingeflogen
Ob Chip, Code oder Tracking: Die Systeme an sich sind nach jetzigem Kenntnisstand vergleichsweise weit ausgereift, helfen allerdings wenig, wenn Patienten ihre Augen vor der Realität verschließen: Die ach so günstige Online-Apotheke aus China oder das Arzneimittel-Souvenir aus Indien erfüllen eben keine europäische Standards. Zwar leistet der Zoll hier Schwerstarbeit – die Beamten fingen über drei Millionen gefälschte Medikamente an den Außengrenzen der EU ab. Experten bewerten diese Zahl dennoch nur als Tropfen auf den heißen Stein.