Mittlerweile sind 20 Jahre ins Land gegangen, seit Freddie Mercury an den Folgen der Immunschwächekrankheit AIDS gestorben ist. Heilen lässt es sich noch nicht, aber die Medizin hat Teilsiege errungen: Es gibt einige neue Ansätze aus der Forschung.
Infizieren sich Patienten etwa durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder Blut mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV), hat das fatale Folgen: Der Eindringling greift Zellen des Immunsystems an, und über kurz oder lang kommt es zu gefährlichen Infektionen bzw. Tumoren. Anfangs bleiben jedoch rund 30 Prozent aller Patienten mit neu erworbener HIV-Infektion komplett beschwerdefrei. Routineuntersuchungen beim Hausarzt decken das Virus dann mehr oder minder zufällig auf: Geschwollene Lymphknoten, Hautreaktionen oder Verdauungsstörungen geben erste Hinweise.
HAART und cART
Ist die Diagnose durch spezielle Laboruntersuchungen wie ELISA- oder Western-Blot-Test abgesichert, wird spezifisch behandelt. Je nach Viruslast, Schädigung des Immunsystems oder Krankheitsbild setzen Kollegen dann früher oder später mehrere Wirkstoffe ein. Diese „Highly Active Anti-Retroviral Therapy“ (HAART), heute oft als „combined Anti-Retroviral Therapy“ (cART) bezeichnet, verbessert die Lebensqualität und erhöht auch die Lebenserwartung der Patienten. Als Pharmaka kommen unter anderem nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer sowie Proteasehemmstoffe plus Booster in Frage. Speziell Dreifachkombis wie Trizivir® (Abacavir, Lamivudin, Zidovudin) oder Atripla® (Efavirenz, Emtricitabin, Tenofovir) verringern die Zahl der täglich einzunehmenden Tabletten und erhöhen damit auch die Therapietreue: Je weniger geschluckt werden muss, desto besser machen Patienten auch mit. Und bei guter Compliance gelingt es oft, den Ausbruch des eigentlichen Krankheitsbildes AIDS über lange Zeit hinaus zu zögern.
Europa handelt – Deutschland spart
Doch mit dem Rezeptblock allein ist es nicht getan. Brüssel hat jetzt auf die europaweit steigende Patientinnen-Anzahl, rund 35 Prozent aller Diagnosen werden mittlerweile bei Frauen gestellt, reagiert und ein spezielles Programm auf den Weg gebracht: SHE – Strong, HIV positive, Empowered Women. Dabei lotsen HIV-positive Frauen, die sich gut mit ihrer Erkrankung auskennen, andere Patientinnen, die erst kürzlich die niederschmetternde Diagnose erhalten haben. Ein selbstbewusster Umgang mit der Krankheit fördere laut SHE-Chefin Silvia Petretti nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Therapietreue: Wer alle Mechanismen der eigenen Erkrankung versteht, erkennt die Notwendigkeit einer konsequenten Behandlung ohne „Arzneimittelferien“.
In Deutschland hingegen bleibt die Zahl an Neuinfektionen auf einem konstanten Niveau von insgesamt 3.000 pro Jahr, speziell bei Frauen sank die Rate sogar leicht. Angesichts der erfreulichen Entwicklung witterten Politiker Morgenluft und kürzten umgehend einige Etats. So stehen mit dem kommenden Haushalt nur noch knapp 500.000 Euro statt bislang 2,4 Millionen Euro für Präventionskampagnen zur Verfügung. Und den ähnlichen Posten zu Aufklärungsmaßnahmen will der Staat von 13,2 auf zwölf Millionen Euro eindampfen. Tino Henn von der Deutschen AIDS-Hilfe bezeichnete entsprechende Planungen als „kurzsichtig“, auch unter ökonomischen Aspekten: „Für die Einsparungen von heute zahlen wir später bei der Versorgung der Kranken einen hohen Preis.“
„Machs mit“ macht Sinn
Dennoch leidet das Budget der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nicht – für 2012 sind rund 18 Millionen Euro veranschlagt. Sicher keine schlechte Investition, können die Mitarbeiter der Institution doch auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken. So zeigt die aktuelle Repräsentativerhebung „AIDS im öffentlichen Bewusstsein“, dass sich heute 87 Prozent der 16- bis 44-Jährigen bei neuen Partnerschaften erst einmal mit einem Kondom schützen, Mitte der 1990er Jahre lag der Wert noch bei mageren 65 Prozent. Auch bei Personen mit wechselnden Sexualkontakten steht das Verhüterli hoch im Kurs – hier griffen 86 Prozent der zwischen 16- und 65-Jährigen zum Gummi, im Vergleichszeitraum Ende der 1980er Jahre waren es gerade einmal 46 Prozent. Ein gutes Ergebnis: „Unsere Studie zeigt, dass es in Deutschland keine wachsende Nachlässigkeit beim Schutz vor HIV/AIDS gibt“, so die BZgA-Direktorin Professor Dr. Elisabeth Pott.
Schutz aus der Pillenpackung
Eine ganz andere Strategie verfolgt die Präexpositionsprophylaxe (PrEP), sollte ein Partner HIV-positiv sein, der andere aber nicht: Durch eine vorbeugende antiretrovirale Therapie lässt sich das Risiko für den jeweils HIV-Negativen stark verringern. Nachdem die iPrEX-Studie bereits vor einiger Zeit den Erfolg bei homosexuellen Paaren zeigen konnte, liegen jetzt auch Daten von heterosexuellen Lebensgemeinschaften vor: Im Rahmen der „Partners PrEP“-Studie mit rund 4.800 Pärchen verabreichten Kollegen der jeweils HIV-negativen Person täglich Tenofovir, Tenofovir plus Emtricitabin oder Placebo. Nach drei Jahren dann die Erfolgsmeldung: Unter Tenofovir infizierten sich 18 Probanden neu, unter der Kombination waren es lediglich 13. Die Gruppe ohne Wirkstoff hatte 47 positive Patienten zusätzlich zu verzeichnen. Ähnliche Resultate erhielten Kollegen auch bei der TDF2-Studie.
Doch wie sieht es bei der infizierten Person aus? Hier brachte die HPTN 052-Studie Klarheit. Zum Design: Ein Teil der HIV-Positiven wurde sofort behandelt, ein anderer erst bei CD4-Zellzahlen, also speziellen Lymphozyten-Titern unter 250 pro Mikroliter. Nach 1,7 Jahren konnte man in der ersten Gruppe bei nur vier ursprünglich negativen Partnern der Erkrankten HIV nachweisen, während es in der zweiten 35 Personen waren. Doch der Schutz hat Grenzen: Professor Mike Cohen von der University of North Carolina, USA, wies darauf hin, dass sich Menschen unter der strengen Behandlung ihrer Lebensgefährten in den ersten Monaten leicht anstecken könnten – die Viruslast sei dann noch nicht weit genug abgesunken.
Auf das Thema Präexpositionsprophylaxe hat jetzt auch die Weltgesundheitsorganisation reagiert und eine bereits überarbeitete Leitlinie zur Therapie erst einmal nicht veröffentlicht. Vielmehr wolle man, so der WHO-Direktor für HIV/AIDS, Dr. Gottfried Hirnschall, die neuen Daten nun bei der Aktualisierung berücksichtigen. Kritik an der Strategie kam von Dr. Elly Katabira, dem Präsidenten der internationalen Aidsgesellschaft: Einerseits hätten neun Millionen Menschen keinen Zugang zu entsprechenden Medikamenten. Andererseits sei die PrEP nur eine sinnvolle Ergänzung etablierter Präventionsmethoden wie Kondomen.
Antikörper auf dem Vormarsch
Nahezu vollständige Sicherheit bietet eben nur ein umfassender Impfschutz. Noch ist eine Immunisierung wie bei etlichen anderen Viruserkrankungen Zukunftsmusik. Die Spritze gegen HIV könnte weltweit, so Experten, Millionen Menschen helfen. Und zwar dort, wo aufgrund fehlender Strukturen oder schwacher Kaufkraft eine Arzneimitteltherapie nach europäischem Standard nicht möglich ist.
Ein Schritt in diese Richtung gelang kürzlich Forschern um Laura Walker vom Scripps Research Institute, La Jolla, Kalifornien. Die Arbeitsgruppe fand im Blut von HIV-resistenten Patienten 17 Antikörper, die sich als aktiv gegen 162 Varianten dieses Virus erwiesen. Aufgrund von dessen Variabilität müsse ein Impfstoff den Körper aktivieren, möglichst viele verschiedene Antikörper zu produzieren, so Walker. „Dass große Mengen von potenten und unterschiedlichen Antikörpern aus mehreren Personen isoliert werden konnten, gibt Grund zu neuem Optimismus, dass ein Antikörper-basierter Impfstoff möglich ist.“