Telemedizin ist ja in aller Munde gerade. Aber dass Patienten per Magensensor ihr Essverhalten im Internet überwachen, kann man noch nicht als Mainstream bezeichnen. Beim internationalen Adipositaskongress in Hamburg sorgte eine solche Lösung für Aufsehen.
Die chirurgische Therapie bei Patienten mit extremem Übergewicht gehört zu den umstrittensten Behandlungsansätzen, die die Medizin derzeit zu bieten hat. Mit Magenverkleinerungen, Magenbändern oder heroischen Switch-Operationen kann bei vielen Betroffenen ein teilweise erheblicher Gewichtsverlust erreicht werden. Protagonisten dieser Verfahren tragen Daten zusammen, wonach sich die metabolische Situation dadurch deutlich verbessere und unter anderem die Diabetesprävalenz absinke. Kritiker wiederum warnen vor unklaren Langzeitfolgen und fordern eine bessere Evaluation vor allem der psychischen Folgen solcher Eingriffe.
Ein Metronom für den Magen
Aller Kritik zum Trotz: Die Adipositaschirurgie boomt, und die Zahl der möglichen Eingriffe steigt. Beim 16. Weltkongress der Internationalen Gesellschaft für schwere Adipositas (IFSO) in Hamburg war das gut zu sehen. Eines der Systeme, die dort vorgestellt wurden, ist ein so genannter Magenschrittmacher der neueren Generation. Die Idee des Magenschrittmachers an sich ist nicht neu: Es handelt es sich um einen elektrischen Stimulator, der in einem minimal-invasiven chirurgischen Eingriff implantiert wird. Das Prinzip ist relativ simpel: Das Gerät sendet elektrische Impulse an die Magenwand aus. Durch diese Stimulation entsteht ein Sättigungsgefühl, ohne dass der Magen bis zur Oberkante voll ist.
Etwas vereinfacht gesagt handelt es sich also um eine elektrische Variante des Magenbands: Während das Magenband den Magen mechanisch zusammendrückt, verweist der Magenschrittmacher ihn elektrisch-biochemisch in seine Grenzen. Eines der Probleme der bisher eingesetzten Systeme war, dass sie dem Patienten bestimmte Esszeiten vorgeschrieben haben. Das war schon aus Batteriegründen nötig, denn eine Dauerstimulation hätte das Gerät zu schnell erschöpft. Neuere Geräte fahren deswegen einen anderen Ansatz: Sie kombinieren die Stimulation des Magens mit Sensorfunktionen.
Eine dieser Lösungen ist der Magenschrittmacher abiliti des Unternehmens IntraPace, der für übergewichtige Menschen mit einem BMI ab 35 gedacht ist und der beim IFSO-Kongress in Hamburg vorgestellt wurde. Nach einer erfolgreichen Studie mit 60 Patienten hat dieses System kürzlich in Europa die CE-Zulassung erhalten. Im Gegensatz zu konventionellen Magenschrittmachern zeichnet das System mit Hilfe seiner Sensortechnologie auf, wann und wie viel ein Mensch isst und trinkt. Damit kann die Stimulation gewissermaßen anlassgerechter erfolgen.
Das Innere nach außen kehren
Anfang August wurde jetzt der nächste Schritt gegangen. Das Unternehmen erhielt zusätzlich die CE-Zulassung für ein Ergänzungsgerät zu diesem Magenschrittmacher, nämlich einen connect.abiliti genannten Lesekopf. Der tut, wonach er klingt: Er ermöglicht es den Betroffenen, die Sensordaten des Magenschrittmachers auszulesen und sie in ein Onlineportal zu funken. Die integrierten Sensoren erlauben dabei nicht nur eine Überwachung der Nahrungsaufnahme, sondern außerdem ein Monitoring der körperlichen Aktivität. Es werden also systematisch adipositasrelevante Verhaltensdaten gesammelt und für eine Onlineauswertung zur Verfügung gestellt.
Die gesammelten Daten sind dabei primär den Betroffenen zugänglich, können aber natürlich auch für Ärzte, Betreuer oder andere Bezugspersonen freigeschaltet werden. „Der Patient erhält objektive Echtzeitdaten zu seinen Ess- und Sportgewohnheiten, mit denen er nun erstmals gezielt Entscheidungen treffen und den langen Weg der Gewichtsreduktion mit einer gewissen Befähigung gehen kann“, beschreibt IntraPace-CEO Chuck Brynelsen den Ansatz.
Verhaltenstherapie einmal anders
Wichtig ist auch noch, dass das Portal keine simple Onlineakte ist, die lediglich dazu dient, Daten zu speichern. Es beinhaltet vielmehr eine Reihe von Social Media-Funktionen, ist also explizit als Treffpunkt einer Community von stark übergewichtigen gedacht, die sich – unterstützt vom Magenschrittmacher – an eine Art technisch unterstützte, kollektive Verhaltenstherapie heranwagen wollen. Ob das von den Betroffenen angenommen wird, muss man sehen. Für den einen oder anderen könnte dieser kombinierte Ansatz vielleicht wirklich den Durchbruch bringen.