Prominente sterben oft so spektakulär, wie sie gelebt haben. Mutmaßungen über etwaige Todesursachen folgen, und schnell geraten Ärzte in die Kritik. Auch in Deutschland sprechen Gerichte den Geschädigten und ihren Hinterbliebenen immer höhere Summen zu.
Mögliche Kunstfehler werden schnell zum Fall für die Justiz: Sängerin Amy Winehouse etwa starb wahrscheinlich an einer Überdosis Chlordiazepoxid (Librium®). Das Präparat hatte sie gegen Entzugserscheinungen verschrieben bekommen – laut englischen Tageszeitungen möglicherweise ohne allzu große Aufklärung durch Arzt bzw. Apotheker. Und Carolin W., besser bekannt als „Sexy Cora“, erlitt bei der sage und schreibe sechsten Brustvergrößerung einen Herzstillstand, sie starb wenige Tage später. Ein Gutachter fand heraus, dass bereits bei der Narkose schwere Fehler passiert waren, die zum Herzstillstand geführt hatten. Doch statt mit einer Herzdruckmassage zu regieren, griffen die Anwesenden zum Defibrillator. Dadurch sei, so das Papier, die Blutversorgung wichtiger Organe mehrfach unterbrochen worden. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Chirurgen und den Anästhesisten wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Mit dieser Behörde haben etliche Kollegen früher oder später zu tun, wie aktuelle Zahlen zeigen.
Risiko Regress
US-Wissenschaftler um Amitabh Chandra von der Harvard University, Cambridge, Massachusetts, gingen dazu abgeschlossenen Haftpflichtfällen von 40.000 Ärzten nach. Das Ergebnis: Je nach Fachgebiet schlagen sich 75 bis 100 Prozent der Kollegen im Laufe ihres Berufslebens zumindest mit einem Regress herum. Jedoch urteilten Gerichte in 78 Prozent aller Prozesse zu Gunsten des Heilberuflers. Auch das Risiko unterschied sich signifikant je nach Fachrichtung – nur drei Prozent der Pädiater und fünf Prozent der Allgemeinmediziner mussten pro Jahr mit Ärger rechnen – weitaus schlechter sieht es bei Allgemeinchirurgen (15 Prozent) und Neuro- bzw. Herzchirurgen (19 Prozent) aus. Die finanziell höchsten Forderungen kamen aber auf Pathologen und Pädiater zu. Laut Chandra habe das vor allem mit der Schwere entsprechender Kunstfehler zu tun: Eine falsche Diagnose oder Therapie kann besonders bei diesen Disziplinen Auswirkungen auf den Rest des Lebens haben.
Generell sind diese Daten auch auf Deutschland übertragbar, wie aus der aktuellen Behandlungsfehler-Statistik der Bundesärztekammer hervorgeht. So sind im letzten Jahr 11.016 Beschwerden von Patienten eingegangen, davon hatten Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen in 7.355 Fällen Sachentscheidungen getroffen. Behandlungs- oder Aufklärungsfehler lagen in 2.199 Fällen vor, und bei 1.821 Patienten hielten die Verantwortlichen eine Entschädigung für gerechtfertigt.
Laut Bundesärztekammer mussten sich vor allem Orthopäden bzw. Unfallchirurgen mit Klagen auseinander setzen (588 Fälle), gefolgt von Hausärzten (331) und Allgemeinchirurgen (244). Wenig betroffen waren hingegen Urologen (91), HNO-Ärzte (88) sowie Dermatologen (77). Natürlich sei jeder Fehler einer zu viel, dennoch gelte es, alle Zahlen in Relation zu 400 Millionen Arzt-Patienten-Kontakten zu sehen. Zudem wäre laut Experten so manche Eingabe im Vorfeld vermeidbar: Sollte es zu Patientenbeschwerden wegen möglicher Behandlungsfehler kommen, raten Juristen immer erst zu einem klärenden Gespräch mit den Betroffenen – und mit einem medizinisch bewanderten Zeugen. In der Vergangenheit hätten sich viele Punkte als reine Kommunikationsschwierigkeiten erwiesen. Soweit muss es aber erst gar nicht kommen: Ein funktionierender Dialog hilft bereits im Vorfeld eines Eingriffs.
Babylonisches Sprachengewirr
Behandlungsfehler haben nämlich nicht immer rein medizinische Ursachen, wie der britische National Health Service jetzt berichtet. Auf dem Inselstaat praktizieren rund 23.000 Kollegen aus allen Herren Länder, und manche sind des Englischen nicht so mächtig, wie es wünschenswert wäre. Teilweise müssen Ärzte gar Kollegen zum Dolmetschen herbei rufen. Jetzt häufen sich die Beschwerden, und das General Medical Council, ein Organ der Selbstverwaltung, greift durch. Die Rede ist von stärkeren Kontrollen und von Sprachtests. Aus Kliniken hierzulande hingegen berichten Kollegen eher von Patienten, die kaum Deutsch verstehen – besonders kritisch vor OPs. Zwar unterschreiben sie recht willig entsprechende Aufklärungsbögen, ob alles verstanden wurde, ist eine andere Frage. Um jedoch spätere Klagen zu vermeiden, raten Juristen, generell Dolmetscher hinzuzuziehen – und sei es eine medizinisch bewanderte Assistenzkraft, die sich in der Muttersprache des Patienten verständigen kann. Ihr Name sollte dann auch in der Patientenakte vermerkt werden – im akuten Fall scheint das übertrieben, doch wer erinnert sich nach Monaten noch an Details?
Opfer in der Klinik
Eine unzureichende Aufklärung kann generell fatale Folgen haben: So hat das Bundessozialgericht in 2010 erstmals einer Patientin Anspruch auf staatliche Zahlungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zugebilligt. Sie war vor einer Fettabsaugung mangelhaft über mögliche Komplikationen wegen bestehender Vorerkrankungen informiert worden – ein „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff“, heißt es in der Urteilsbegründung. Für Ärzte hat das weit reichende Konsequenzen: Sie müssen sich bei Tatbeständen nach dem OEG nicht nur mit Patienten und ihren Rechtsanwälten auseinander setzen, sondern mit mächtigen Versorgungsbehörden, die auch langwierige Prozesse bis zur höchsten Instanz nicht scheuen. Dabei geht es vor allem um das liebe Geld: Die Ämter zahlen Leistungen an Geschädigte – und versuchen im gleichen Atemzug, diese von Kollegen oder deren Versicherungen erstattet zu bekommen. Für Patienten gilt diese Rechtsnorm aber nur bei Behandlungen in Deutschland.
Fremdes Land – fremdes Recht
Kommen Patienten hingegen im Ausland unters Messer bzw. an den Tropf, wendet sich das Blatt. Treten dann Behandlungsfehler auf, sind Schadensersatzansprüche generell dort geltend zu machen, wo auch die Therapie durchgeführt wurde. Im konkreten Fall hatte sich ein Patient mit Hepatitis C in Basel behandeln lassen – und brach die Maßnahmen wegen schwerer Nebenwirkungen ab. Mit dem Hinweis, er sei unzureichend über mögliche Risiken informiert worden, versuchte der vermeintlich Geschädigte, nach deutschem Recht Schadensersatzforderungen zu erwirken – und scheiterte vor dem Bundesgerichtshof. Diese höchstrichterliche Instanz lehnte eine Anwendung heimischer Normen ab. Vor allem Patienten, die Eingriffe beispielsweise in Osteuropa planen – was im zahnmedizinischen Bereich mittlerweile schon recht häufig vorkommt, sollten sich dieses Urteil vor Augen halten.
Die Haftpflicht explodiert
Diese Rechtsprechung hat weitere Folgen: Immer mehr Kollegen stöhnen unter der Last rapide anwachsender Prämien für die Berufshaftpflicht. „Es gibt eine steigende Tendenz, Geschädigten Spitzenwerte von 300.000 Euro und mehr zuzusprechen“, so Vera von Pentz, Richterin am Bundesgerichtshof. Laut AXA lägen Ausschüttungen deshalb bei 200 Prozent, das heißt, für jeden Euro, der eingenommen wurde, mussten zwei Euro ausgegeben werden. Kurzerhand wurden die Beiträge angepasst.
Davon ist vor allem die die Geburtshilfe betroffen – hier explodierten Beiträge auf rund 40.000 Euro pro Jahr statt wie bisher etwa 26.000 Euro. Auch in anderen Fachbereichen verdoppelten sich die Kosten. Kinderärzte müssen jetzt statt 500 Euro etwa 1.200 Euro hinblättern, bei Allgemeinmedizinern ohne chirurgische Eingriffe stieg der Satz von 400 auf 700 Euro. Jetzt drängen Anbieter aus anderen Staaten auf den Markt, mit vermeintlich günstigeren Konditionen.
Besser haben es da schon Ärzte in Frankreich: Bei der „Grande Nation“ sorgt der Staat für eine Basisdeckung bei der Berufshaftpflicht. Weitaus kritischer sind Vorschläge deutscher Assekuranzen zu bewerten, Kollegen mit geringerem Risiko quasi im Umlageverfahren stärker als bisher zur Kasse zu bitten. Auch scheinen Honorarerhöhungen allein für die Berufshaftpflicht zumindest politisch schwer durchsetzbar.