Läufer kennen gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall oder Übelkeit. Sind Läufe sehr lang, kann das schwerwiegendere Folgen haben. Das Leaky-Gut-Syndrom erhöht die Durchlässigkeit der Darmwand: Bakterielle Lipopolysaccharide und Toxine gelangen in die Blutbahn.
Sport fördert die Gesundheit, das ist unumstritten. Vor allem Muskeln und Herz-Kreislauf-System profitieren von regelmäßigem Training. Übertreiben sollte man es dabei allerdings nicht, wie eine aktuelle Metastudie zeigt. So erhöht intensives Training über zwei Stunden vor allem bei Hitze offenbar die Durchlässigkeit der Darmwand und die Anzahl mikroskopischer Verletzungen im Darm.
Ausdauersport-Events wie Marathonläufe erfreuen sich stets steigender Teilnehmerzahlen. Doch viele Läufer haben während oder nach dem Lauf mit gastrointestinalen Beschwerden wie Durchfall oder Übelkeit zu kämpfen. Die Symptomhäufigkeit nimmt zu, je länger der Lauf andauert und je höher die Temperaturen dabei sind.
Als kritische Grenze fanden australische Ernährungswissenschaftler um Ricardo Costa von der Monash University in Melbourne in einer Metastudie folgende Parameter: Wer länger als 2 Stunden mit weniger als 60 % seiner maximalen Sauerstoffaufnahme läuft, schadet seinem Darm massiv – und das unabhängig vom individuellen Fitness-Status. Die lange, hohe Belastung erhöht die Durchlässigkeit der Darmwand, sodass bakterielle Lipopolysaccharide (LPS), Toxine und unverdaute Stoffe in die Blutbahn gelangen können. Dieser Zustand wird als Leaky-Gut oder „durchlässiger Darm“ bezeichnet und kann schwerwiegende Folgen haben. In der Blutbahn angelangt, aktivieren die körperfremden Stoffe das Immunsystem – es kommt zu einer subklinischen Entzündung (silent inflammation), die wiederum mit zahlreichen chronischen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. https://youtu.be/2_E0nPQsWtY
Gastrointestinale Beschwerden durch Extremsport sind das Ergebnis komplexer, multifaktorieller Interaktionen zwischen dem Verdauungstrakt und dem Blutkreislauf, dem Immunsystem und dem enterischen Nervensystem. Grob zusammengefasst können zwei unterschiedliche Wege zu einem extremsportbedingen Leaky-Gut führen: Zum einen der veränderte Blutfluss während des Sports zur Aufrechterhaltung der Muskelleistung. Dabei kann das fehlende Blut im Darmbereich eine viszerale Hypoperfusion auslösen, auf die eine viszerale Ischämie folgt. Diese Prozesse verletzen die Epithelzellen des Darms durch Brüche im Epithel, Zerstörung der Tight Junctions oder der Proteine, die die Tight Junctions regulieren. Zum anderen verändern Stresshormone und die Aktivierung des Sympathikus die Darmmotilität. Bei Extremsportlern äußern sich diese Prozesse in Brechreiz, Aufstoßen und Blähungen. Die Symptome verstärken sich häufig, wenn die Sportler während des Trainings essen oder trinken. Zwei verschiedene Wege können bei Extremsportlern zu einem Leaky-Gut führen. Quelle: Costa, RJS. Et al. Aliment Pharmacol Ther. 2017 Jun 7.
Als Maß für ein verletztes Darmepithel zogen die Wissenschaftler in ihrer Metaanalyse die Blutkonzentration des fettbindenden Proteins I-FABP (intestinal fatty-acid binding protein) heran. Das kleine cytosolische Protein wird freigesetzt, sobald reife Enterozyten verletzt oder zerstört sind. Seine Konzentration im Blut korreliert mit der trainingsassoziierten viszeralen Hypoperfusion und der daraus resultierenden Ischämie. Auch der Austausch verschiedener Zucker, sowie die Konzentration von Lipopolysacchariden im Blut können als Maß für die Durchlässigkeit des Darms und die Ausprägung eines Leaky-Guts herangezogen werden. Bei diesen Parametern variierten die Versuchsdurchführungen der jeweiligen Studien jedoch so stark, dass ein direkter Vergleich nicht möglich war.
Wenn Endotoxine oder andere giftige Stoffe die durchlässige Darmwand passiert haben, gelangen sie rasch in den Blutstrom und werden im gesamten Körper verteilt. Das Immunsystem versucht die Eindringlinge durch Entzündungsreaktionen und Antikörper zu bekämpfen. Das kann weitreichende Folgen haben. Das Leaky-Gut-Syndrom wurde in wissenschaftlichen Studien bereits mit zahlreichen chronischen Erkrankungen assoziiert. Dazu gehören beispielswiese Rheuma, Psoriasis, Neurodermitis, Reizdarm, dem chronischen Müdigkeitssyndrom, Diabetes, Zöliakie, Multipler Sklerose, Herzkrankheiten, Migräne, Autismus und Parkinson in Verbindung gebracht. Wie lange das durch Extremsport ausgelöste Leaky-Gut-Syndrom anhält, ist noch nicht genau geklärt. Erste Studien ermittelten Werte zwischen einem Tag und einer Woche. https://youtu.be/8BhgznFE9Ow
Förderlich sind in solchen extremen Sportsituationen Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren wie beispielsweise Buttersäure bilden. Denn diese kurzkettigen Fettsäuren benötigt der Darm, um seine Epithelzellen zu ernähren und die Tight Junctions funktionsfähig zu halten. Sie helfen außerdem dabei, kleine Verletzungen an den Epithelzellen zu reparieren und könnten daher – aufgenommen über die Nahrung oder als Probiotika - hilfreiche Begleiter für Extremsportler sein. Die Studienlage ist in diesem Bereich jedoch noch so dünn, dass bisher keine klaren Empfehlungen zu Bakterienstämmen und Einnahmedauer gegeben werden können. Die bakterielle Darmbesiedlung des Sportler ist am Ausmaß des Leaky-Gut beteiligt. Quelle: Costa, RJS. Et al. Aliment Pharmacol Ther. 2017 Jun 7. Weitere Maßnahmen, um einem extremsportbedingten Leaky-Gut vorzubeugen, sind laut Angaben der australischen Wissenschaftler:
Die wohl effektivste Methode, Magen-Darm-Probleme während und nach dem Sport zu vermeiden, ist ein moderates Training. Die Metaanalyse der australischen Wissenschaftler zeigte: Nur Extremsportler, die etwa einen Ultramarathon von ca. 90 km oder ein 100 Meilen Radrennen absolviert hatten, hatten Anzeichen für eine Endotoxinämie – stark erhöhte Lipopolysaccharid (LPS)-Konzentrationen im Blut. Teilnehmer, die unter zwei Stunden trainierten, hatten nur geringfügige erhöhte LPS-Werte. Die Werte stiegen bei Trainingseinheiten, die länger als 2 Stunden andauerten (bei 60-70 % der max. O2-Aufnahme) und/oder bei großer Hitze von mehr als 33 Grad Celsius. Wer weniger als 2 Stunden und bei Temperaturen unter 30 Grad trainiert, entlastet seinen Darm – und hat mutmaßlich auch mehr Spaß am Sport. ^ Quelle: Systematic review: exercise-induced gastrointestinal syndrome-implications for health and intestinal disease. R.J.S. Costa et al.; Alimentary Pharmacology and Therapeutics, doi: 10.1111/apt.14157; 2017