Ein Problem vieler Augenärzte: Die Auswertung von Netzhaut-Scans ist aufwändig und kostet viel Zeit. Eine neu entwickelte künstliche Intelligenz soll visusbedrohende Augenkrankheiten genauso gut erkennen können wie ein Arzt – und das in Sekundenschnelle.
Das Londoner Moorfields Eye Hospital testet die künstliche Intelligenz der Firma DeepMind für die Analyse von Retina-Scans. Die Auswertung dieser Scans, die mithilfe optischer Kohärenztomografie erstellt werden, raubt Zeit. Das neue System soll fähig sein, über 50 visusbedrohende Augenerkrankungen in Sekundenschnelle zu erkennen. Dabei liegt es in über 94 Prozent der Fälle richtig und schneidet damit so gut ab wie eine fachärztliche Auswertung, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Artikel. Das System arbeitet in zwei Schritten: Zunächst kreiert ein neuronales Netzwerk eine Gewebekarte der Retina-Scans. Anschließend analysieren mehrere Netzwerke die Karte und geben Empfehlungen ab. Die Netzwerke wurden mithilfe von 14.884 Scans von 7.621 Patienen trainiert und sind in der Lage, Augenerkrankungen anhand von zehn Merkmalen zu identifizieren.
DeepMind äußerte, dass diagnostische Ergebnisse mit der Hilfe der KI deutlich schneller mit Patienten besprochen werden können, wodurch auch Therapien frühzeitiger realisiert werden könnten. „Die Anzahl der Augenscans, die wir durchführen, wächst in einer deutlich schnelleren Geschwindigkeit, als menschliche Experten sie interpretieren können. Es besteht das Risiko, dass dies Verzögerungen in der Diagnose und Behandlung visusbedrohender Erkrankungen verursacht, was für Patienten verheerend sein kann“, sagte Dr. Pearse Keane, Augenarzt am kooperierenden Krankenhaus. „Die KI-Technologie, die wir entwickeln, ist so gestaltet, dass sie Patienten priorisiert, die dringend von einem Arzt oder Augenarzt untersucht und behandelt werden müssen. Falls wir Augenerkrankungen früh diagnostizieren und behandeln können, gibt uns das die beste Chance, das Sehvermögen von Personen zu retten“, so Keane. Das System soll zudem fähig sein, zukünftig auf andere Scanverfahren angewendet zu werden, heißt es in dem Artikel. So soll die Anzahl an Patienten erhöht werden, die von der Technologie profitiert, auch damit die KI weiterlernen kann, falls die optische Kohärenztomographie ersetzt oder weiterentwickelt wird. Im nächsten Schritt soll sie in klinischen Studien getestet werden, bevor sie dann in den kooperierenden Krankenhäusern zum Einsatz kommen kann. Bis dahin können allerdings noch Jahre vergehen. Ersetzen soll die KI den Augenarzt nicht, ihm aber Hilfestellung bieten.
Das Machine-Learning-System wurde in Zusammenarbeit mit dem Moorfields Eye Hospital NHS Foundation Trust entwickelt. DeepMind wurde 2014 von Google aufgekauft und gehört seitdem zur Alphabet Gruppe. Einem Firmenstatement von Deep Mind zufolge ist es ausgeschlossen, dass Patientendaten des UK National Health Service (NHS) jemals mit Google Accounts oder Services verbunden und somit für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Vorgehensweisen aus dem letzten Jahr machten Datenschutzbeauftragte allerdings skeptisch: Das Londoner Royal Free Hospital hatte 1,6 Millionen Patientendaten mit DeepMind geteilt, um die Entwicklung einer App voranzutreiben, und damit die Datenschutzgesetze verletzt. Nach Angaben des Moorfields Eye Hospital werden die bei DeepMind gespeicherten Informationen nach Beendigung des Forschungsprojekts anonymisiert und zerstört. Das überzeugt Kritiker bislang nicht: Lord Mitchell, Mitglied des House of Lords, warnte bereits Anfang des Jahres vor einem „ungleichen Wettbewerb“ und äußerte in einem Brief an die Financial Times „[...] dass es einen Preis zu zahlen gebe“. Da der NHS Patientendaten besitze, die bis 1984 zurückreichen, wäre das Interesse der Firmen groß. „Der NHS mangelt es, wie wir wissen, an Geld, während die Big Tech [Firmen] hunderte Milliarden Dollar in der Bank haben“, so Lord Mitchell. Es bleibt also abzuwarten, ob DeepMind sein Wort hält.