Nun ist es bewiesen: Trinkwasser, in dem Lithium auf natürliche Weise vorkommt, senkt die Suizidrate. Als Spurenelement scheint das chemische Element eine eigenständige suizidprotektive Wirkung zu haben.
Im Trinkwasser natürlich enthaltenes Lithium hat eine positive Wirkung auf die menschliche Psyche und senkt die Suizidrate deutlich. Davon hat man bereits gehört: Japanische Forscher kamen im Jahr 2009 zu diesem Ergebnis. Ihre Studie sorgte damals weltweit für großes mediales Aufsehen, wurde jedoch wegen methodischer Mängel stark in Zweifel gezogen. Nun konnten Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien die Aussage von damals wissenschaftlich zuverlässig belegen.
Kleines Element mit großer Wirkung
Das chemische Element Lithium ist im therapeutischen Einsatz bei bestimmten psychischen Erkrankungen seit rund 60 Jahren gut untersucht. Es eignet sich als stimmungsstabilisierendes Medikament bei bipolaren Erkrankungen. Lithium festigt die Gemütslage und nimmt so den Krankheitsschüben ihre Spitzen. Es wird bei der manisch-depressiven Erkrankung zur Suizidprävention eingesetzt und stellt auch in der Behandlung therapieresistenter rezidivierender unipolarer Depressionen eine Therapieoption dar. Seit kurzem wird die protektive Wirkung von Lithium im Zusammenhang mit Morbus Alzheimer und anderen neurodegenerativ entzündlichen Erkrankungen erforscht. Lithium hat eine Vielzahl von Wirkungen auf das zentrale Nervensystem: Wie Antikonvulsiva inaktiviert das chemische Element Ionenkanäle und setzt die Erregbarkeit des Gehirns herab. Es greift in Enzymketten ein, hemmt die Inositolmonophosphatase und sorgt so für einen Abfall der Kalziumkonzentration in den Zellen, die bei der manisch-depressiven Erkrankung erhöht ist. Lithium erhöht die Freisetzung der Neurotransmitter GABA (Gamma-Aminobuttersäure) und Serotonin, die beide mit der Stimmungslage in Verbindung gebracht werden. Bis heute ist jedoch noch nicht vollständig geklärt welcher Effekt letztendlich für die Wirksamkeit von Lithium verantwortlich ist.
Messbare Effekte bereits bei natürlichen Mengen
Nestor D. Kapusta, Facharzt für Psychiatrie an der Wiener Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie hat mit seinem Team 6460 Trinkwasserproben aus ganz Österreich genommen und die Lithiumwerte mit den Suizidraten verglichen. Kapusta fand einen signifikanten Zusammenhang: Je höher der Lithiumwert im Trinkwasser, desto niedriger war die Suizidrate. Diese Korrelation bleibt auch dann wesentlich, wenn sozioökonomische Faktoren, welche die Suizidrate beeinflussen, berücksichtigt werden. Lithium im Trinkwasser scheint also neben anderen Ursachen ein möglicher eigenständiger Einflussfaktor in Bezug auf die Suizidrate zu sein. Dass Lithium positiv auf die menschliche Psyche wirkt, ist seit Jahrzehnten bekannt. Bei keiner anderen Substanz ist die Evidenz für suizidprotektive Wirkung so gut belegt wie bei Lithium. „Das Faszinierende und Neue an unseren Ergebnissen ist aber, dass Lithium bereits in natürlichen Mengen als Spurenelement messbare Effekte auf die Gesundheit haben könnte“, so Kapusta. „Die Dosierung in der Therapie ist rund 100 Mal höher als das natürliche Vorkommen im Trinkwasser. Es ist somit noch vollkommen unklar, wie natürliches Lithium eine solch starke physiologische Wirkung entfaltet, obwohl es sozusagen 100-fach schwächer dosiert ist. Wie dieser Mechanismus funktioniert, ist für uns Wissenschaftler eine neue, spannende Frage.“
Kein Konsens für Trinkwasseranreicherung
Gleichzeitig warnen die Studienautoren jedoch vor voreiligen Schlüssen: Für die Suizidprävention das Trinkwasser aktiv mit Lithium anzureichern, ist bei der derzeitigen wissenschaftlichen Datenlage nicht vertretbar. „Es bedarf klinischer Studien und methodisch aufwendiger Kohortenstudien, um eine derartige Empfehlung auszusprechen“, erklärt Kapusta. Höhere Lithiumwerte könnten sich somit zwar positiv auf die Stimmung auswirken, gleichzeitig jedoch andere, negative Effekte haben. Eine aktuelle Arbeit zeigt etwa eine geringfügige Erhöhung der Schilddrüsenwerte bei Menschen, die in Regionen leben in denen Lithium im Trinkwasser zu höheren Blutspiegeln führt. Lithium kann zu einer Struma, Schilddrüsenunter- oder Nebenschilddrüsenüberfunktion und zu Nierenfunktionsstörungen führen. „Für eine effektive Suizidprävention gilt es nach wie vor ein Bündel von Maßnahmen einzusetzen. Für einen Menschen mit Suizidabsichten muss an erster Stelle eine verfügbare Ansprechperson, Arzt oder Psychotherapeut stehen“, so Kapusta.