Der Kassenabschlag für 2009 und 2010 wird bei 1,75 Euro festgesetzt, zumindest vorläufig. Das hat die Schiedsstelle aus Vertretern von Apothekern und KVen entschieden. Dennoch sorgt ein gerichtliches Verfahren für große Unsicherheit: Wie hält man es mit der Honorierung pharmazeutischer Leistungen in Zukunft?
Alles begann ganz unspektakulär mit einer Novelle der recht betagten Arzneimittelpreisverordnung. Anno Domini orientierte sich die Vergütung der Apotheken am Preis eines Medikaments. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz kam es zu drastischen Einschnitten, wie ein Rechenbeispiel der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände anhand von Modellzahlen zeigt: Kalkuliert der Hersteller eines Präparats seinen Abgabepreis mit 50,00 Euro, so kommen erst einmal 3,00 Euro (6,0 Prozent) Zuschlag für den Großhandel hinzu. Im gleichen Atemzug verschwinden 0,43 Euro (0,85 Prozent des Herstellerabgabepreises) als Abschlag. Die Apotheke erwirbt damit ein Medikament zum Einkaufspreis von 52,57 Euro.
Soweit – so gut, doch damit ist noch lange nicht Schluss: Hinzu kommen 3,0 Prozent sowie die Pauschale von 8,10 Euro für pharmazeutische Dienstleistungen, was zu einem Netto-Apothekenverkaufspreis von 62,25 Euro führt. Zusammen mit der Umsatzsteuer – immer noch in Höhe von 19 statt den oft geforderten 7,0 Prozent – errechnet sich der Brutto-Apothekenverkaufspreis zu 74,08 Euro. Davon blechen gesetzlich Versicherte 7,41 Euro (10,0 Prozent). Gleichzeitig gehen der für 2011 gültige Apothekenabschlag in Höhe von 2,05 Euro laut § 130 des V. Sozialgesetzbuchs sowie der Herstellerabschlag, also 8,00 Euro (16 Prozent des Herstellerabgabepreises), über den Jordan. Unterm Strich berappten gesetzliche Versicherungen damit 56,62 Euro für ein Präparat, welches der Hersteller mit 50,00 Euro angesetzt hatte – ein Schnäppchen. Das erregt Unmut: Laut ABDA erhalten Apotheken summa summarum „nur einen geringen Anteil als Honorierung ihrer Leistungen“. Dennoch besteht für 2009 und 2010 immer noch ein Hoffnungsschimmer auf niedrigere Abschlagszahlungen als die berühmten 2,05 Euro.
Zankapfel Apothekenabschlag
Bereits für 2009 riet eine Schiedsstelle aus Vertretern der Apothekerschaft, Kollegen der Kassen sowie unabhängigen Gutachtern zu einem Wert von 1,75 Euro. Den Vorsitz dieses heutzutage wohl besser als Troika zu bezeichnenden Gremiums hatte Dr. Rainer Daubenbüchel, ehemals Leiter des Bundesversicherungsamtes. Apothekenvertreter waren generell mit der Höhe des Obolus einverstanden, nicht aber die Kassen. Vor allem monierte der GKV-Spitzenverband vermeintliche Fehler bei der Berechnung der Personalkosten – Teilzeitstellen bzw. die verschiedenen Gehälter der einzelnen Apothekenberufe seien nicht hinreichend berücksichtigt worden, Apotheken hätten Kosten in die Höhe getrieben. Ein Fall für das Sozialgericht, das kurzerhand „eklatante Mängel bei der Berechnung“ zu Protokoll gab, und den Ball zurück an die Schiedsstelle spielte. Damit gab man sich aber nicht zufrieden, und schaltete die Berufungsinstanz am Sozialgericht Berlin-Brandenburg ein.
Mitte September dann eine neue Runde: Für 2010 soll der Apothekenrabatt – oh Wunder – ebenfalls genau 1,75 Euro betragen. Anfangs forderten Kassenvertreter zwar 2,30 Euro, ein Wert, der noch auf Kalkulationen von Ulla Schmidt (SPD) zurückgeht. Dennoch stimmte der GKV-Spitzenverband dem niedrigeren Salär zu, allerdings nicht ohne Hintergedanken: Parallel dazu läuft noch immer das Verfahren gegen den Abschlag für 2009. Egal, wie das Urteil ausfallen mag, bestehen kaum Zweifel, dass sich anschließend Richter am Bundessozialgericht mit der Problematik auseinandersetzen müssen. „Wird der vom GKV-Spitzenverband bereits beklagte Beschluss zum Apothekenabschlag für 2009 von einem Gericht rechtskräftig aufgehoben, wird automatisch auch die Festsetzung für 2010 unwirksam“, sagte ein Sprecher. Grund genug für den Deutschen Apothekerverband (DAV), hier nicht mitzuziehen und die Entscheidung für 2010 abzulehnen. Die Mehrheit der Schlichtungskommission kam allein durch die Unparteiischen und die Vertreter der Krankenkassen zu Stande.
Doch auch die Berechnungen des Gremiums stoßen auf Verwunderung. Noch für 2009 jonglierten Mitarbeiter mit umfangreichem Material, um die Mehrbelastungen der Apotheken zu quantifizieren – und kamen schließlich zu dem Wert in Höhe von 1,75 Euro. Jetzt geht es um den Wert für 2010, und trotz steigender Kosten ist dieser augenscheinlich unverändert.
Malen mit Zahlen?
Daubenbüchel selbst hatte für diesen Zeitraum sogar 1,61 Euro bis 1,65 Euro für möglich gehalten, doch sei das „nicht durchsetzbar gewesen“ – auch nicht bei den neutralen Mitgliedern der Schiedskommission. Der Vorsitzende bemängelte indes, die Datenbasis sei alles andere als fundiert. Doch auch die Apotheken bekommen ihr Fett ab. Es gebe „nach vier Jahren Rabattverträge kostensenkende Synergieeffekte“, so der Vorsitzende, und der Aufwand im HV habe sich verringert. Vertreter der Kassen schlugen in die gleiche Kerbe, sie brachten den angeblich gestiegenen Ertrag aufs Tapet. Apotheker sehen das anders – von der Kontrolle entsprechender Rabattverträge inklusive Lieferengpässen oder Rückfragen in Praxen bis hin zu Reimportquoten könne kaum von schlanken Betriebsabläufen gesprochen werden. Dennoch bleibt statistisch vieles im Vagen – acht Monate nach Start des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) haben die vorgesehenen Betriebsprüfungen in Apotheken, eigentlich als Basis für solide Berechnungen vorgesehen, immer noch nicht angefangen. Es bleibt also bei Schätzungen, und die gehen nicht unbedingt zu Gunsten der Apotheker aus, wie auch deren Standesvertretung moniert.
Mehr Leistung – und mehr Abschlag
Fritz Becker, Vorsitzender des DAV, zeigte sich angesichts der Abschlagssumme enttäuscht. Diese würde „Kostensteigerungen, etwa durch Tariferhöhungen und Inflation, nur unzureichend berücksichtigen.“ Ein Wert in der Größenordnung von 1,61 Euro bis 1,65 Euro, wie anfangs selbst von Daubenbüchel ins Gespräch gebracht, hätte dem weitaus mehr Rechnung getragen. Becker: „In Zeiten der Rabattverträge müssen die Apotheken immer mehr Leistungen einbringen.“ Der Beschluss der Schiedsstelle sei „enttäuschend, weil zusätzlicher Beratungsaufwand und steigende Sachkosten zu einem geringeren Zwangsrabatt hätten führen müssen.“ Gleichzeitig prangerte der DAV-Vorsitzende an, vom Pharmagroßhandel zu leistende Beiträge seien an die Apotheken weitergereicht worden. Auch ist der Inflationsausgleich noch nicht vom Tisch. Eine Büchse der Pandora – sollten Apotheken diesen zugebilligt bekommen, werden auch andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen entsprechende Forderungen stellen.
Justitias Stunde
Momentan bleibt jedoch alles beim Alten. Dementsprechend pessimistisch äußerten sich viele Apotheker: Nach dem Branchendienst „apokix“ blickten im September 27,4 Prozent der Befragten pessimistisch in die Zukunft – kein guter Wert, die Zahlen lagen im Juli noch bei 21,8 Prozent und im August bei 23,2 Prozent. Auch haben die Folgen des Kassenabschlags für 2011, also 2,05 Euro pro Packung, schon im ersten Halbjahr kräftig zu Buche geschlagen: Laut IMS Health flossen rund 619 Millionen Euro an die KVen, das sind knapp 18 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zusammen mit Herstellerrabatten sparten die Versicherer damit etwa 14,75 Milliarden Euro, rund 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, ein. Andererseits berichten pharmazeutische Hersteller von einem Absatzplus in Höhe von knapp zwei Prozent.
Hingegen sind beim Apothekenabschlag für 2009 jetzt die Gerichte an der Reihe. Mit einer Entscheidung ist frühestens Anfang kommenden Jahres zu rechnen. Ein Urteil wird so oder so auf die Abgaben für 2011 und 2012 dennoch keinen Einfluss haben, wurden entsprechende Werte vom Gesetzgeber im AMNOG festgeschrieben. Erst in 2013 steht eine neue Verhandlungsrunde zwischen dem DAV und dem GKV-Spitzenverband an, hoffentlich mit solideren Kenngrößen und unter besseren Vorzeichen.