Die Zeiten, in denen telemedizinisches Equipment den Sex-Appeal eines Röhrenfernsehers hatte, scheinen zu Ende zu gehen. Mit Smartphone und Co wird das Selbstmanagement von Vitalparametern zur Trendsportart. Wir haben uns zwei der neuen Angebote mal angesehen.
Schick sind sie verpackt, die Messgeräte für Blutzucker, Blutdruck, Körpertemperatur und Gewicht aus der VitaDock-Reihe, die das Unternehmen Medisana seit Neuestem unter anderem über die Telekom-Shops vertreibt. Nicht eine schnöde Pappschachtel, sondern eine Kartonage, die schon fast an edle Pralinen oder an die Verpackung teurer Uhren erinnert. Die Messgeräte werden spezifisch für die iOS-Plattform vertrieben, richten sich also an Menschen, die ein iPod/iPhone oder iPad ihr Eigen nennen. Was man in den Händen hält, sei die Zukunft der mobilen Gesundheit, so die Eigenwerbung.
Mal sehen. Kiste auf. Eine lange und eine kurze Anleitung. Der erste Satz gefällt mir: „WARNUNG: Bevor sie das Modul das erste Mal benutzen, lesen sie unbedingt die Gebrauchsanweisung gründlich durch.“ Können die Gedanken lesen? Genau das hatte ich nämlich nicht vor. Wer sehen möchte, ob ein elektronisches Gerät wirklich etwas taugt, sollte es anschalten und ohne Anleitung damit herum spielen. Wenn man als durchschnittlich intelligenter Erwachsener nicht klarkommt, dann ist das Gerät für den Patientenalltag sowieso ungeeignet. Also los. Das Fieberthermometer, ThermoDock genannt, sieht irgendwie am einfachsten aus. iPhone an. ThermoDock an die Schnittstelle angestöpselt. Nichts passiert. Vitalwerte auf Knopfdruck. Nur beim Zucker heißt es pieken.
Ok, das war nicht ganz fair. Wer ein iPhone hat, der weiß, dass er erst einmal eine App laden muss. Die heißt VitaDock und ist im App-Store kostenlos erhältlich. Was sagen die Rezensionen? Drei Sterne. Geht so. Wer genauer hinsieht, merkt allerdings, dass die explizit schlechten Noten fast ausnahmslos mit einem technisch offenbar suboptimal umgesetzten Update in Zusammenhang stehen. Die meisten, die keine Update-Probleme hatten, sind ziemlich begeistert. Das macht neugierig. Nachdem die App geladen ist, starten wir nochmal bei null. iPhone einschalten. ThermoDock reinstecken. Auf dem Display erscheint: Das Fieberthermometer. Fünf Zentimeter vor die Stirn halten, ein paar Sekunden auf die Infrarotmessung warten. 36.8 °C. Klingt richtig. Wow.
Derselbe Versuchsaufbau mit dem Blutdruckmessgerät ist ähnlich problemlos. Bei elektronischen Blutdruckmessgeräten gibt es ja immer das Problem, das an irgendeiner Stelle relativ viel Technik untergebracht werden muss, um die Manschette aufzublasen. Das CardioDock von Medisana löst dieses Problem dadurch, dass eine Art Basisstation eingeführt wird, in die das iPhone und die Druckmanschette eingesteckt werden können. Wie üblich bei solchen Konstruktionen für das iPhone gibt es hinten an der Basisstation einen Netzstecker, sodass man damit auch gleich das Telefon aufladen kann. Das ist nicht besonders originell, aber doch sinnvoll und hilfreich im Alltag. Beim Blutzuckermessgerät ist die Sache naturgemäß nicht ganz so einfach, schon deswegen, weil auch das iPhone einen nicht davon erlöst, mit Lanzetten und Teststreifen zu hantieren. Ansonsten funktioniert aber auch das GlucoDock intuitiv. Und die Tatsache, dass die Blutzuckermessung auch hier über ein (erstaunlich kleines) externes „Dock“ zum Anstöpseln umgesetzt wird, ist psychologisch ganz nett, weil der Nutzer dann nicht – wie bei einigen Diabetes-Handys – die „blutigen“ Teststreifen direkt ins Handy schieben muss. Mess-Zylinder für den Oberarm
Wir wechseln den Hersteller. Auch Withings hat eine trendige iPod/iPhone/iPad-Plattform für diverse medizinische Messgeräte im Programm. Uns liegt das Blutdruckmessgerät BP-800 vor, das vom Design her insofern beeindruckt, weil es tatsächlich wie ein Blutdruckmessgerät aussieht und nicht wie eine Basisstation mit angeschlossener Druckmanschette. Natürlich hat auch Withings das Problem, die Mechanik unterbringen zu müssen. Dies geschieht in diesem Fall direkt an der Manschette, wo ein erstaunlich schwerer Metallzylinder das übliche Klettverschlussbrimborium ergänzt. Design-Fans werde diese Lösung rein ästhetisch überzeugender finden, das steht außer Frage. In jedem Fall ist es schon relativ lässig, das iPhone direkt in die Blutdruckmanschette zu stöpseln. Auch was danach kommt ist überzeugend: Wer zum ersten Mal sein Telefon anschließt, der wird prompt daran erinnert, dass erst einmal die passende App zu laden sei. Das ist schon ziemlich anwenderfreundlich, muss man sagen. Im App-Store ist diese App übrigens nicht zu finden, es gibt also auch keine Rezensionen. Ist die Withings-App installiert, dann funktioniert die Messung ähnlich problemlos wie bei Medisana. Alles gut. Gebrauchsanleitung auch hier unnötig.
Härtetest mit Digital Native
Nächste Runde. Belastungstests unter verschärften Alltagsbedingungen. Der siebenjährige Sohn mag die Blutdruckmessung und kommt damit auch ohne Anleitung klar. Die Manschetten sind allerdings etwas breiter als sein Oberarm lang ist. Die Geräte beider Hersteller nehmen es stoisch. In erstaunlicher Übereinstimmung messen sie 88/60 mmHg. Kommt hin, in Anbetracht der Tatsache, dass die Manschetten viel zu groß sind. Erste Belastungsprobe bestanden.
Ans GlucoDock mit seinen Lanzetten lasse ich den Junior nicht ran, aber die Temperaturmessung erregt Aufmerksamkeit. Nach ein paar Messungen an allen möglichen Körperstellen läuft er plötzlich Richtung Küche, öffnet den Kühlschrank und misst die Temperatur auf der Kühlschrankinnenseite. Gute Idee. Könnte glatt von mir sein. Gerätetests sollte man überhaupt immer mit Kindern machen. Ich bin gespannt. Messung fertig. Das iPhone produziert eine Art Pop-up-Meldung: „Das Messergebnis ist zu niedrig. Bitte wiederholen Sie den Messvorgang.“ Das ist in Ordnung. Problem erkannt und vernünftigen Lösungsvorschlag gemacht. Zweite Belastungsprobe bestanden. Blasen, Globen, Schäume
Bleibt die Frage, ob die Apps was taugen. Die Basisfunktionen, die eine App für das Selbstmanagement von Vitalwerten können muss, sind relativ klar: Alarmkorridore definieren, Visualisierungen über der Zeitleiste, Tagebuchfunktionen. Das funktioniert bei beiden Plattformen so weit gut. Die VitaDock App hat hier etwas die Nase vorn. So gibt es mehr Korridorfunktionen und auch eine Art Stimmungsfragebogen. Optisch ist die Aufmachung eher ungewöhnlich: Der Home-Bildschirm der App ist eine Art Galaxie, bei der die einzelnen Messanwendungen sonnenartig als Globen oder Blasen angezeigt werden, planetenartig umringt von den jeweiligen Funktionen. Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig, geht dann aber erstaunlich problemlos und bietet vor allem die Möglichkeit, vergleichsweise viele Inhalte relativ übersichtlich darzustellen. Die Withings-App wirkt demgegenüber insgesamt „iPhone-iger“. Funktionieren tut beides.
Fazit: Beide Vertreter einer neuen Generation der iPhone-basierten Medizintechnik können durchaus überzeugen. Sie liefern jeweils ähnliche bis gleiche Messwerte in gleichen Situationen, was für eine gewisse Messgenauigkeit spricht. Rein optisch liegt Withings etwas vorne. Medisana hingegen sammelt bei den Funktionen Pluspunkte. Im Preis ergibt sich mit je rund 129 Euro für die Blutdruckmodule ein Patt.