Die Sequenzierung des menschlichen Genoms ist ein alter Hut. Jetzt geht es uns an die Eingeweide. Wissenschaftler aus Heidelberg haben den Startschuss für ein Projekt gegeben, bei dem jeder, der möchte, seine Darmflora sequenzieren lassen kann.
Die Zahl ist mittlerweile oft gedruckt worden, aber sie bleibt eindrucksvoll: Der menschliche Darm enthält, grob geschätzt natürlich, ungefähr zehn hoch vierzehn Mikroorganismen, die dort fröhlich durcheinander kreuchen und fleuchen. Rein numerisch betrachtet sind das zehnmal so viele Mikroorganismen wie Körperzellen. So gesehen ist der Mensch also eine schlauchartige Bakterienkultur mit einem angeschlossenem Organismus, der letztlich vor allem dazu dient, die Bakterienmassen – zwei Kilogramm pro Mensch – mit ausreichend Nahrung zu versorgen.
Entdeckt: Die Blutgruppe des Darms
So richtig viel weiß man bisher nicht über unsere Mitbewohner im Darm. Sie sind beteiligt am Energiestoffwechsel des menschlichen Körpers, indem sie Polysaccharide in kurzkettige Fettsäuren verwandeln. Sie stellen ein paar Vitamine her und haben diverse immunologische Funktionen. Bekannt ist auch, dass sich die Darmflora von Patienten mit Morbus Crohn deutlich von der bei gesunden Menschen unterscheidet. Wissenschaftler um Peer Bork vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg haben versucht, etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen und es mit ihrer Forschung im April sogar in die Fachzeitschrift Nature geschafft. „Wir haben entdeckt, dass die Zusammensetzung von Mikroben im menschlichen Darm nicht zufällig ist“, so Bork. „Unsere Darmflora kann in drei verschiedene Typen eingeteilt werden – man könnte auch von drei verschiedenen Ökosystemen sprechen.“
Den Analysen lagen Stuhlproben von fast 280 Probanden aus Europa, Amerika und Asien zugrunde. Die unterschiedlichen Enterotypen unterscheiden sich im Wesentlichen durch Art und Anteil der jeweiligen Bakterientypen. Das wiederum führt beispielsweise zu Unterschieden bei der Vitaminsynthese oder auch bei der Hämsynthese. Warum es unterschiedliche Enterotypen gibt, ist unklar. Es scheint allerdings, dass diese Enterotypen relativ konstant sind. Wenn sich das bewahrheitet, hätten sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Blutgruppen, die sich im Leben ja auch nicht ändern. Möglicherweise sei der jeweilige Enterotyp immunologisch determiniert, so Bork. Manche Immunsysteme scheinen die einen Bakterien, manche die anderen besser zu tolerieren.
Essen nach Darmlage
So weit, so spannend. Die Frage lautet jetzt natürlich, welche Konsequenzen der Einzelne aus diesen Erkenntnissen ziehen sollte. Mani Arumugam, Erstautor der genannten Studie, hat kürzlich bei einer Veranstaltung am EMBL darüber zumindest philosophiert. Denkbar sei beispielsweise, dass die unterschiedlichen Enterotypen einen Einfluss darauf haben, wie Medikamente metabolisiert werden, so Arumugam. Anders herum ausgedrückt: Vielleicht richten sich die Konzepte der personalisierten Arzneimitteltherapie künftig nicht nur, wie bisher, nach dem Genotyp von Mensch oder Tumor, sondern auch nach der Zusammensetzung der Baktierenflora.
Was bei Medikamenten recht ist, ist beim Essen nur billig. Wenn die Darmbakterien am Energiemetabolismus beteiligt sind, dann haben sie möglicherweise ein Wörtchen mitzureden bei der Frage, ob ein Mensch zu Fettleibigkeit neigt oder nicht. Vielleicht ließen sich ja Enterotyp-adaptierte Diäten verordnen, die optimal auf die individuelle metabolische Situation im Darm abgestimmt sind.
Facebook für Verdauungsfetischisten
Das alles ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich reine Spekulation. Was gebraucht wird, sind Datensätze, die den individuellen Enterotyp mit Real-Life-Daten korrelieren. Um hier voran zu kommen, haben die EMBL-Wissenschaftler jetzt den Startschuss für ein in dieser Art bisher einmaliges Projekt gegeben, my.microbes genannt. Es handelt sich um eine Mischung aus Genomprojekt und sozialem Netzwerk. Die Teilnehmer – angestrebt werden zunächst 5000 aus aller Welt, die jeweils mindestens 1451 Euro zu den Kosten beitragen müssen – senden eine Stuhlprobe beziehungsweise mehrere Stuhlproben in bestimmten Zeitabständen an das Referenzlabor. Dort wird die DNA der Darmflora extrahiert und sequenziert.
Zusätzlich füllen die Teilnehmer einen Fragebogen aus, der eine Reihe von persönlichen Daten erhebt. Diese Daten werden anonymisiert und sollen keine Identifizierung der Person erlauben. Zu den Fragen, die die Wissenschaftler in erster Linie klären wollen, gehört der Einfluss von Diät und gastrointestinalen Erkrankungen auf die Darmflora. Auch geographische und ethnische Unterschiede sollen evaluiert werden, außerdem mögliche Änderungen des individuellen Enterotyps im Laufe der Zeit und in Abhängigkeit von den sich ändernden Lebenssituationen.
Als kleine Belohnung für ihre doppelte Spende an die Wissenschaft können die Teilnehmer sich persönliche mikrobielle und auch funktionelle Karten ihrer Darmflora erstellen lassen, die nicht nur hübsch bunt aussehen, sondern dank der Daten der Mitstreiter auch in einen globalen Kontext gestellt werden können. Geschaffen wird außerdem eine Internetplattform, die es ermöglicht, mit jenen Mitstreitern Kontakt aufzunehmen, die einen ähnlichen Enterotyp haben. Warum das interessant sein soll, wird nicht ganz klar. Aber vielleicht ergeben sich aus den alle paar Monate aktualisierten Analysen ja tatsächlich interessante Anknüpfungspunkte für einen direkten Austausch.