Deutsche Patienten, die in niederländischen Krankenhäusern aufgenommen werden, finden sich ab und zu isoliert in einem Quarantänezimmer wieder. Der Name der neuzeitlichen Plage, die in Deutschland wütet und vor der sich unsere Nachbarn fürchten: MRSA.
Etwa eine Millionen nosokomiale Infektionen registriert man jährlich in der Republik, meist sind Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA) die Ursache. 40.000 Menschen, so die Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, sterben jährlich an den Folgen der Infektion. Betrachtet man die epidemiologischen Daten, so ist ein Rückgang dieser Zahlen laut den Expertenmeinungen vorerst nicht abzusehen. Niederländische Ärzte schätzen zwar die Fertigkeiten ihrer deutschen Kollegen. Was aber die „Sauberkeit“ anbelangt, genießen die Deutschen - sehr vorsichtig gesagt - nicht den besten Ruf. Fast alle Patienten, die aus Deutschland kommen, sind erst einmal Hochrisikopatienten.
Weniger Antibiotika in den Niederlanden
Bis eine MRSA-Infektion oder Kolonisation des Patienten ausgeschlossen werden kann, wird er von anderen Patienten isoliert untergebracht. Laut den Statistiken scheinen diese Maßnahmen erfolgreich zu sein: Während in Deutschland über 20% der getesteten Staphylococcus aureus-Stämme Methicillin-resistent sind, beträgt diese Zahl in den Niederlanden, Dänemark und Finnland nicht einmal 1%. Doch was machen unsere Nachbarn besser?
Fragt man Dr. Ron Hendrix, Mikrobiologe am größten Krankenhaus der Niederlande, gibt es, was den Umgang mit Problemkeimen betrifft, eklatante Unterschiede zwischen den Nachbarländern. In den Niederlanden klingelt beim Mikrobiologen sofort das Telefon, falls der Krankenhausapotheke ein verschriebenes Antibiotikum „suspekt“ vorkommt. Dieser wiederum bietet daraufhin dem behandelnden Kollegen auf Station sofort und ungefragt Rat an. Dadurch könne man oftmals ein passenderes Medikament finden oder gar auf ein Antibiotikum verzichten, so Dr. Hendrix. Zudem sei die Zahl der Antibiotikaverschreibungen generell ungleich niedriger als in Deutschland.
Zusätzliche Hygienefachkräfte notwendig
In den hiesigen Krankenhäusern fehlt diese Kommunikation weitestgehend. Oft scheitert es schon daran, dass gar kein Mikrobiologe im Haus vorhanden ist. In Universitätskliniken oder größeren Häusern trifft man sie zwar immer häufiger als Teil des Visitenteams an, im Vergleich zu den Niederlanden aber gibt es in Deutschland deutlich mehr kleinere Spezialkliniken, in denen solch eine Umsetzung allein aus personeller Sicht nicht möglich ist. Abgesehen von einer sinnvollen und maßvollen Antibiotikamedikation jedoch hapert es schon an den grundsätzlichen Hygienemaßnahmen. Laut Klaus-Dieter Zastrow, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, wären in deutschen Krankenhäusern derzeit 1.500 zusätzliche Hygienefachkräfte nötig, um die nötigen Maßnahmen umzusetzen; damit seien 40% der Stellen unbesetzt.
Dass sich dieser finanzielle Aufwand auszahlen würde, liegt eigentlich auf der Hand. Die Kosten für Hygienefachpersonal und Umsetzung der Hygienemaßnahmen wären zwar hoch, doch würde man die Kosten doppelt und dreifach wieder reinholen, wenn man die Rate der Komplikationen infolge nosokomialer Infektionen senken würde. Von der Letalität mal ganz zu schweigen. Die Niederländer rechnen es uns vor: Die Kosten für ein MRSA Screening, um eventuelle Keimträger zu erfassen, betragen etwa 3-15 Euro pro Patient. Falls der Nachweis positiv ist, kommen noch einmal Folgekosten für Kontrollabstriche hinzu. Nosokomiale Infektionen mit MRSA würden allerdings mit durchschnittlich 17.000 Euro pro Patient zu Buche schlagen. Hält man sich vor Augen, dass 25% der MRSA-Kolonisationen Ursache für eine Neuinfektion sind, dann kostet alleine der Befall schon etwa 4.000 Euro. Dass sich diese Kosten in den Niederlanden amortisieren, belegen zahlreiche Studien. Ihre „search and destroy“-Politik scheint sich bewährt zu haben.
Dass es aber auch hierzulande besser funktionieren kann, demonstrieren unter anderem viele norddeutsche Kliniken. Das Universitätsklinikum Münster nimmt hierbei eine vorbildliche Rolle ein. Seit einigen Jahren nehmen mehrere Dutzend Krankenhäuser im Münsterland am grenzübergreifenden „MRSA-net Projekt“ teil, dessen Ziel es ist, die Anzahl der Neuinfektionen auf niederländisches Niveau zu bringen. Damit soll gleichzeitig auch das „Einschleppen“ von MRSA-Fällen in die Niederlande verhindert werden.
Zahl der Neudiagnosen steigt an
Ein wichtiges Ziel: Das konsequente MRSA-Screening bei neu aufgenommenen Patienten. „Momentan steigen aufgrund des verbesserten Screenings die Zahlen der Neudiagnosen von MRSA-Trägern an. Seit einiger Zeit werden auch die Kosten der von den Hausärzten verschriebenen Nasensalben zur Eradikation von den Kassen übernommen - zumindest im Westfalen-Lippe“, so Dr. med. Robin Köck vom Institut für Hygiene der Uniklinik Münster. „Bis die Anzahl der MRSA-Infektionen allerdings zurückgeht, werden noch einige Jahre vergehen. Dass sich das Warten aber lohnt, hat auch das Beispiel Dänemark gezeigt. Früher herrschten in Dänemark noch ‚deutsche Verhältnisse‘, nach der Einführung von Screening und anderen Hygienemaßnahmen aber muss sich das Land nicht mehr hinter den Niederlanden verstecken", berichtet Dr. Köck weiter.
Die Hygienerichtlinien, was den Umgang mit MRSA-Patienten betrifft, unterscheiden sich zwischen Deutschland und den Niederlanden nicht wesentlich. Nur an der Umsetzung scheitert es an vielen Häusern noch oft. Einige Kollegen scheinen die Desinfektionsmittelspender vor den Patientenzimmern mehr als dekoratives Accessoire denn als Notwendigkeit zu betrachten. Um der MRSA-Plage Herr zu werden, baut man in manchen Kliniken schon kupferne Türklinken ein. Deren bakterizide Eigenschaften sollen die Keimbelastung senken. Warum auch einfach, wenn es schwer geht.