Traditionell bietet der Deutsche Apothekertag Gelegenheiten, über die Entwicklung öffentlicher Apotheken nachzudenken. Und so standen auch Rückblick, Ausblick und Augenblick im Mittelpunkt der Diskussionen. Hat die inhabergeführte Apotheke wirklich Zukunft, ein Thema, das allen Anwesenden unter den Nägeln brannte. Auf praktische Lösungen wartete man indes vergebens.
Öffentliche Apotheken leisten einen wesentlichen Beitrag zur wohnortnahen Arzneimittelversorgung, darin sind sich alle Beteiligten einig. Doch mit diesem reinen Lippenbekenntnis wird es nicht getan sein, schätzt die Treuhand Hannover, dass allein in 2011 das Einkommen der Apothekeninhaber um ein Viertel absinkt. Längst sind neue Wege gefragt, worüber zahlreiche Gesundheitspolitiker und Standesvertreter diskutierten. Allein Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), noch mit einer flammenden Rede zu Gast auf dem 114. Deutschen Ärztetag 2011, ließ sich trotz drängender Themen bei den Apothekern nicht blicken.
Aufgepickt und abgewürgt
Das mag vielleicht mit dem ehemaligen Bekenntnis im Koalitionsvertrag, Pick-up-Stellen zu unterbinden, zu tun haben. Daran will sich die Politik heute nicht mehr so recht erinnern – und immer häufiger machen sich andere Branchen in der heiß begehrten Pharmawelt breit. „Beim Thema Pick-up-Stellen versucht die Politik – nach anhaltender Tatenlosigkeit – uns den Schwarzen Peter zuzuschieben“, empört sich Heinz-Günter Wolf, Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. „Wir fordern ein generelles Verbot der Rezeptsammlung und der Patientenversorgung durch Pick-up-Stellen kombiniert mit einer Bedarfsprüfung“, entsprechende Vorschläge habe man bereits gemacht. Das ist Wasser auf die Mühlen des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Wir erachten Pick-up-Stellen nicht für sinnvoll“, so Johannes Singhammer. „Lassen Sie uns gemeinsam einen Vorschlag erarbeiten, der nicht den Stempel der Verfassungswidrigkeit trägt.“ Selbst Martina Bunge von der Linkspartei schlägt in die gleiche Kerbe: Pick-up könne erledigt werden, wenn man konsequent dagegen vorgehe. Allein wie das gehen soll, bleibt trotz der seltenen Einigkeit im Unklaren – angedacht ist eine stärkere Bedarfsplanung, deren verfassungsmäßige Konformität laut Jens Spahn, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Union, momentan geprüft werde.
Bedrohung – oder Nebenkriegsschauplatz?
Ob Pick-ups aber wirklich eine Konkurrenz für öffentliche Apotheken darstellen, bezweifelte Dr. Fritz Oesterle, ehemaliger Vorstandschef der Celesio AG, im Vorfeld der Expopharm: Diese seien „als Geschäftsmodell Unsinn“. Ein Drogeriemarkt habe damit nicht deshalb angefangen, weil man Geld verdienen könne, sondern weil damit die eigene Marke auch mit Arzneimitteln in Verbindung gebracht werde. Hingegen macht sich Dr. Klaus Kreuschner vom Ministerium für Gesundheut und Soziales Sachsen-Anhalt weitaus mehr Sorgen. Trotz diverser Auswüchse, von Versandapotheken über Videoboxen bis hin zu Rezeptsammelstellen und den damit verbundenen Umsatzeinbußen vieler öffentlicher Apotheken liegt ihm eine Sache am Herzen: „Bewährtes darf nicht einfach über Bord geworfen werden, um Neues auszuprobieren, vor allem bei einer alternden Gesellschaft.“ Fahrstrecken von 50 bis 60 Kilometer bis zur nächsten Notdienstapotheke seien nicht tolerierbar. Auch entziehen sich Akteure wie Versandapotheken der medizinisch notwendigen, aber ökonomisch unrentablen Nacht- und Notdienste. Doch wie können Apothekerin oder Apotheker individuell auf die Herausforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft reagieren und wie stark darf der Gesetzgeber regulierend eingreifen, um etwa den Bereitschaftsdienst regional gerechter zu verteilen?
Apotheke light – ohne Personal
„Kernaufgaben müssen alle leisten, Einschränkungen des Sortiments sind nicht sinnvoll“, gibt dazu die Präsidentin der Bundesapothekerkammer, Erika Fink zu bedenken: Das Podium war sich auch einig, dass Apotheken, sei es im gut besuchten Einkaufszentren oder in der Landapotheke in strukturell schwachen Regionen, alle die gleichen Leistungen erbringen müssten. Doch gerade das verteuere das System. Auch der Nachwuchs macht Sorgen: Zwar studieren laut Apothekerin Jutta Rewitzer, Furth im Wald, immer noch viele Jugendliche Pharmazie, auch haben sich die Lehrpläne modernisiert. „Aber es fehlt an der Attraktivität des Berufs“. Helfen könnten gerechtere Entlohnungen sowie Steuerinstrumente, um den Anreiz für Landapotheken zu erhöhen. Bei Ärzten hatte der Gesetzgeber entsprechende Maßnahmen bereits auf den Weg gebracht. Erleichterungen könnte vielleicht auch die schon lange geplante Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) bieten.
Zu Gast im Glasmuseum
Das betrifft etwa die Kosten einer neuen Apothekenausstattung. Dr. Christiane Eckert-Lill, Geschäftsführerin Pharmazie der ABDA, forderte Änderungen weg vom „Glasmuseum“, hin zu einer technischen Ausstattung gemäß dem „Stand von Wissenschaft und Technik“. Im Gespräch ist, dass nicht jede Filiale ein entsprechend ausgestattetes Labor einrichten muss, eine heiß diskutierte Fragestellung. Hier erinnert Dr. Klaus Kreuschner an etwaige Pandemiesituationen – ohne funktionsfähige Labors könnten beispielsweise aus dem Arzneistoff Oseltamivir als Rezeptursubstanz keine abgabefähigen Arzneimittel hergestellt werden. Kreuschner sieht in der gegenwärtigen ApBetrO aber ebenso „veraltete Vorschriften, die in den Ländern teilweise nicht mehr anwendbar sind“, das Recht „franse aufgrund föderaler Auslegungen immer weiter aus“. Darüber hinaus dürften Strukturen, die gewachsen seien, nicht einfach zerstört werden – laut dem Politiker auch Rezeptsammelstellen, mit denen man „gute Erfahrungen“ habe. „Ansonsten wäre der Versandhandel unsere einzige Alternative“, und zwar auf Kosten einer flächendeckenden Versorgung und einer hochwertigen Beratung.
Freiheit oder Regulierung
So manche öffentliche Apotheke hat hier aber ebenfalls Nachholbedarf. Dazu verwies Eckert-Lill auf Vorschläge, eine Beratung habe unaufgefordert bei jedem Patientenkontakt zu erfolgen. „Nicht der Kunde muss das einfordern, er weiß oft nicht, dass er einen Beratungsbedarf hat“. Vor allzu starker Reglementierung warnte sie eindringlich, man wolle „nicht jedes Mal einen Katalog abspulen“. Auch der ABDA-Geschäftsführer für Rechtsfragen, Lutz Tisch, setzt auf einen sinnvollen Bürokratieabbau und auf „organische Entwicklung statt eines systemischen Abbaus“. Ohne vernünftige ökonomische Rahmenbedingungen sei das aber nicht möglich. Allerdings konstatiert Dr. Erhard Schmidt vom Bundesministerium für Gesundheit „so viel Regulierung wie nötig, soviel Freiheit wie möglich“. Für die nächste Periode sieht er keine derart einschneidenden Veränderungen wie im letzten Jahrzehnt: Vergangene Zeiten waren geprägt von der Einführung des Versandhandels, von Filialen, einer neuen Honorierung, aber auch vom höchstrichterlichen Fremdbesitzverbot.
Der rätselhafte Patient
Vor lauter äußeren Einflüssen hat man eine wichtige Personengruppe zeitweise aus den Augen verloren – die Patienten. Das hat Folgen: So oder so kommt heute keine Apotheke um eine effektive Kundenbindung herum. Wie sehr die Einschätzung der entsprechenden Instrumente aus Sicht von Inhabern und Kunden jedoch auseinanderdriften, zeigt eine aktuelle Erhebung des Brancheninfodienstes apokix. Veranstaltungen, Aktionstage oder Kundenzeitschriften – schön für die Apotheke, kaum relevant für Patienten. Auf der anderen Seite schätzen Kunden, wen wundert's, das liebe Geld in Form von Bonussystemen, Rabattaktionen oder geldwerte Sondervorteilen für Stammkunden. Apotheker sind laut der Studie davon nicht wirklich angetan, allein schon wegen der Kosten.
Derart konkrete Impulse lieferte der Deutsche Apothekertag kaum. Dafür meldete sich bereits im Vorfeld einer der üblichen Verdächtigen zu Wort. Dr. Fritz Oesterle sieht als wahrscheinliche Perspektive „eine weitere Liberalisierung des Apothekenmarkts, hin zu größerbetrieblichen Apothekenformen“ kommen. „Ich bin zutiefst davon überzeugt: mehrere Apotheken, die zum selben Unternehmen gehören, haben ein größeres Effizienzpotenzial als eine Einzelapotheke.“ Das fängt schon bei der Entwicklung der Außendarstellung an. Oesterle: „Über das rote A kann sich keine Apotheke profilieren.“ Diese bräuchten neue, eigene Marken, um ihre Kunden auch zu erreichen. Zudem rät er allen Inhabern, stärker als bisher auf ihre Zielgruppe, die Patienten, zu achten – aber nicht ausschließlich über den Preis als Kampfkriterium. Gerade durch ein attraktives Präsenzlager könne man gegenüber jeder Versandapotheke bzw. Pick-up-Stelle punkten.