Soziale Medien können viel – auch süchtig machen oder Minderwertigkeitsgefühle auslösen. Das Leben der anderen weckt in vielen die Angst, etwas zu verpassen. Zeit für Ärzte, dem Problem auch im Patientengespräch mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Ein bisschen absurd ist das auf den ersten Blick schon: Inzwischen gibt es Angebote im Internet, die Menschen unterstützen sollen, die sich zuviel im Internet aufhalten. Beratung zu Sucht, Depressionen oder Ängsten durch soziale Medien, die auf Social-Media-Plattformen stattfindet. Und Apps, die den Nutzer darauf hinweisen, dass er heute schon wieder zu viel Zeit mit seinem Smartphone verbracht hat. Darüber diskutiert wird viel: Häufig ist von der Generation „Kopf unten“ die Rede, die nur noch auf den Bildschirm starrt, von den Problemen, die durch das dauernde Online-Sein entstehen, oder von „Internet-“ oder „Smartphone-Sucht“. Doch bisher weiß man wenig darüber, wie sich die häufige Nutzung sozialer Medien tatsächlich auswirkt – wann etwa der Gebrauch zu psychischen Problemen oder sogar zu psychischen Erkrankungen führen kann. Auch gibt es bisher keine Leitlinien, die aufzeigen, wie man Internet, Smartphone oder soziale Medien angemessen nutzen kann – also so, dass sie nicht das psychische Wohlbefinden oder die eigene Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.
Eine aktuelle Studie aus Großbritannien hat nun untersucht, wie sich soziale Medien auf 14 verschiedene Aspekte der psychischen Gesundheit bei jungen Menschen auswirken. In der Untersuchung, die von der Royal Society for Public Health (RSPH) veröffentlicht wurde, wurden 1.479 junge Leute zwischen 14 und 24 Jahren aus ganz Großbritannien befragt. Die Forscher um Shirley Cramer und Becky Ingster wollten wissen, wie sich die fünf populärsten sozialen Medien auf die Psyche auswirken: Nämlich Facebook, Twitter, YouTube, Instagram und Snapchat. Gefragt wurde nach Gefühlen von Angst, Depression oder Einsamkeit, die durch die Nutzung sozialer Medien entstehen können, nach Mobbing in sozialen Medien, aber auch nach Schlafqualität, dem eigenen Körperbild oder der Qualität der Beziehungen in der „realen“ Welt. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Angst, etwas zu verpassen – bzw. das Gefühl, ständig online sein zu müssen, weil man sonst etwas Wichtiges verpassen könnte. Auf Englisch wird sie auch als „Fear of Missing Out“ oder „FoMO“ bezeichnet.
Die jungen Leute sahen bei allen Plattformen sowohl positive als auch negative Aspekte für die psychische Gesundheit. So erhielten alle Medien positive Wertungen bei der Selbstidentität (der Fähigkeit, zu sagen, wer man selbst ist), dem Selbstausdruck (der Möglichkeit, seine eigenen Gefühle, Gedanken und Ideen auszudrücken), bei der emotionalen Unterstützung durch Freunde oder Familienmitglieder und beim Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören. Allerdings erhielten alle auch negative Wertungen – insbesondere für Schlafqualität, Mobbing, Körperbild und FoMO. Und alle außer YouTube waren mit negativen Wertungen für Depression und Angst verbunden. Lediglich YouTube konnte die Werte für Depression, Angst und Einsamkeit vermindern. Am negativsten wirkte sich dabei Instagram auf die psychische Gesundheit aus, direkt gefolgt von Snapchat. Auf den mittleren Plätzen lagen Facebook und Twitter, während YouTube die höchsten Werte für psychische Gesundheit und Wohlbefinden erhielt. Instagram schnitt dabei zwar bei Selbstidentität und Selbstausdruck gut ab, jedoch besonders negativ bei Angst, Depression, Mobbing und FoMO.
Die ungünstigen Auswirkungen der sozialen Medien können unterschiedliche Gründe haben. Zum einen vergleicht man sich dabei unbewusst mit anderen. Und wenn jemand ständig das Gefühl hat, andere hätten mehr Spaß, bessere Leistungen oder tollere Freunde, kann das zu Unzufriedenheit, Niedergeschlagenheit und eben zur ständigen Angst, etwas zu verpassen, führen. Gleichzeitig kann es auch zu einem Gefühl, nicht gut genug zu sein und so zu einem geringen Selbstwertgefühl betragen. „Das könnte vor allem bei Plattformen, bei denen Fotos im Mittelpunkt stehen, von Bedeutung sein“, schreiben die Autoren der Studie. So berichtete eine der Studienteinehmerinnen: „Bei Instagram fühlt man sich als Mädchen oder Frau leicht so, als ob der eigene Körper nicht gut genug ist – denn andere Leute bearbeiten ihre Fotos, so dass sie möglichst ‚perfekt‘ aussehen.“ Außerdem kann die ständige Nutzung sozialer Medien zu Symptomen führen, wie sie bei einer Sucht auftreten: Etwa zu dem starken Verlangen, ständig online zu sein, zu Schwierigkeiten, die Zeit des Internet- oder Handy-Gebrauchs zu kontrollieren oder zur Vernachlässigung von Verpflichtungen, sozialen Kontakten und anderen Aktivitäten. „Soziale Medien wurden als stärker abhängig machend beschrieben als Zigaretten und Alkohol“, betont Cramer.
„Andere Untersuchungen haben ergeben, dass eine problematische Nutzung des Internets und sozialer Medien mit sozialer Ängstlichkeit und depressiven Symptomen einhergeht“, berichtet Dr. Kay Uwe Petersen, Projektleiter der Sektion für Suchtmedizin und Suchtforschung des Universitätsklinikums Tübingen und Mitbegründer der Webseite „Erste Hilfe Internetsucht“. Insgesamt sei bisher nicht klar, ob gerade Menschen mit Ängsten und depressiven Symptomen zur problematischen Nutzung von Social Media neigen oder ob die Symptome durch die exzessive Nutzung solcher Plattformen entstehen. „Es könnte sein, dass es jemandem mit sozialen Ängsten oder depressiven Symptomen leichter fällt, online Kontakte zu pflegen als im ‚realen Leben‘. Dies kann jedoch wiederum die Ängste oder die Depression verstärken“, so der Diplompsychologe. Auch bei FoMO konnten Forscher in einer Studie zeigen, dass diese nicht allein mit der starken Nutzung sozialer Medien zusammenhängt, sondern auch mit psychischen Faktoren. So tritt die Angst, etwas zu verpassen, verstärkt bei Menschen auf, die über ein geringes psychisches Wohlbefinden und eine geringere Lebenszufriedenheit berichten.
„Soziale Medien gehören inzwischen so zum Leben junger Leute, dass man sie nicht ignorieren kann, wenn man über die psychische Gesundheit dieser Menschen spricht“, sagt Cramer. Die Forscher rufen deshalb Regierungen und die Social-Media-Firmen dazu auf, Änderungen vorzunehmen, um die möglichen negativen Auswirkungen sozialer Medien auf die psychische Gesundheit zu vermindern. Die Empfehlungen der Royal Society for Public Health lauten:
Diese Maßnahmen wurden in der Untersuchung von 68 bis 80 Prozent der Befragten unterstützt. Darüber hinaus sollten mehr Studien zu den Auswirkungen sozialer Medien auf die psychische Gesundheit durchgeführt werden, fordert die Arbeitsgruppe der RSPH.
„Wer durch die Nutzung von social Media deutliche psychische Beeinträchtigungen erlebt und seine Nutzung als problematisch empfindet, sollte sich am besten an eine Suchtberatungsstelle wenden“, sagt Petersen. „Das klingt vielleicht zunächst befremdlich. Aber dort gibt es spezialisierte Berater, die auch Erfahrung mit Problemen durch soziale Medien haben.“ Diese könnten zum Beispiel zusammen mit den Betroffenen prüfen, ob tatsächlich ein problematisches Nutzungsverhalten vorliegt – und sie dann eventuell beruhigen, dass die Nutzung noch im „gesunden“ Bereich liegt. Bei ausgeprägten Problemen durch social Media können die Betroffenen auch bei Fachambulanzen, niedergelassenen Psychotherapeuten oder stationären Behandlungsangeboten Hilfe finden. Auf der Webseite „Erste Hilfe Internetsucht“, die seit Februar 2017 online ist und vom Bundesministerium für Gesundheit unterstützt wird, können Ratsuchende zu Internetsucht, aber auch zu Problemen mit sozialen Medien gezielt nach Hilfsangeboten suchen. Hier finden sich unter „weitere Informationen“ auch Links zu weiteren Angeboten, etwa https://www.onlinesucht-ambulanz.de/, ein Forschungsprojekt, bei dem eine Online-Ambulanz für Internetsüchtige entwickelt wird, oder www.ins-netz-gehen.de, ein Online-Beratungsprogramm der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Auch für die Forscher um Cramer können Internet und soziale Medien gute Möglichkeiten sein, um bei psychischen Belastungen Hilfe zu erhalten – auch bei Belastungen, die durch soziale Medien entstehen. „Solche Technologien gehören ja schon zum Leben junger Menschen. Und vielen fällt es möglicherweise leichter, online über persönliche Dinge zu sprechen“, sagt Becky Ingster. „Außerdem könnten die Angebote auch zur Vorbeugung psychischer Probleme dienen: Sie könnten jungen Menschen helfen, sich mehr über ihre psychische Gesundheit bewusst zu werden, Informationen vermitteln und ihnen helfen, aus eigenen Antrieb etwas zu verändern.“
Aus Sicht von Petersen könnte es zudem sinnvoll sein, Verhaltensregeln für einen „gesunden“ Umgang mit Internet, Smartphone oder sozialen Medien zu etablieren. Das Thema könnte zum Beispiel im Bereich Medienbildung an Schulen behandelt werden. „Zu diesen Regeln könnte zum Beispiel gehören, dass bei Gesprächen mit Freunden oder beim Essen mit der Familie das Smartphone weg gelegt wird. Oder dass bewusst Zeiten geschaffen werden, in denen auf mobile Geräte verzichtet wird“, so der Wissenschaftler. Dann wird es in Zukunft vielleicht auch keine Posts wie folgenden von Facebook mehr geben, wo eine Userin schreibt: „Ich frage mich, wie andere Leute es schaffen, so viel zu erleben. Während ich die ganze Zeit damit beschäftigt bin, zu verfolgen, was andere posten“