Forscher entwickeln eine neue Methode, die es ermöglicht, verschiedene Blutzellen exakt voneinander zu unterscheiden. Die Chipzytometrie erlaubt eine genaue Charakterisierung der Zellen anhand ihrer Oberflächenmerkmale und könnte dabei helfen, Leukämien zielgerichteter als bisher zu behandeln.
Um Krankheiten wie Leukämien oder Lymphome effizient behandeln zu können, ist eine genaue Analyse der Blutzellen wichtig, bei der herausgefunden wird, welche Art von Veränderung tatsächlich vorliegt. Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) um Professorin Gesine Hansen und Christian Hennig haben nun eine Methode entwickelt, mit der sie Zellproben exakter als bisher untersuchen können. Bei der Chipzytometrie werden Zellen auf Mikrofluidikchips fixiert, mit fluoreszierenden Farbstoffen markiert und mit digitalen Scannern analysiert.
“Das Besondere bei diesem Verfahren ist, dass die Zellen dabei nicht verloren gehen und für weitere Untersuchungen zur Verfügung stehen”, sagt Hennig, der Facharzt für Immunologie und Leiter einer Forschungsgruppe an der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allerologie und Neonatolgie der MHH ist. “Wenige Tropfen Blut reichen so aus, um Zellen charakterisieren zu können.” Die geringe Probenmenge, so Hennig, sei zum Beispiel bei Frühgeborenen, die nur wenig Blut hätten, von enormem Vorteil.
DNA-Moleküle ziehen Zellen an
Der Chip besteht aus kleinen Kanälen, die mit einem dichten Rasen aus fadenförmigen DNA-Molekülen bedeckt sind. Hennig: “Die DNA-Fäden ziehen wie magisch Zellen an und halten sie fest.” Sobald die Zellen auf dem Chip verankert sind, geben die Forscher Antikörper dazu, die mit einem Fluoreszenz-Farbstoff gekoppelt sind. Die Antikörper binden an bestimmte Proteine, die aus der Oberfläche der Blutzellen herausragen. Jede Art von Blutzelle hat ein Set von Oberflächenproteinen, das sie charakterisiert.
“Wir probieren hintereinander einfach alle in Frage kommenden Antikörper aus und schauen, welche der Antikörper sich an die Blutzellen angelagert haben”, sagt Hennig. Dies geschieht mit einem Mikroskop, dass die Fluoreszenz-Signale detektiert. Sie werden von den an die Antikörper gekoppelten Farbstoffen abgegeben, nachdem diese mit LEDs bestrahlt wurden. So können die Forscher genau klassifizieren, welche unterschiedlichen Sorten von Blutzellen in der Probe vorliegen.
Antikörper mit eingebautem Schalter
Da die verschiedenen Antikörper jedoch alle den gleichen Farbstoff tragen, müssen die Forscher sicher stellen, dass nach jeder Runde die bisher verwendeten Antikörper nicht mehr weiter fluoreszieren. Erst dann kann der nächste Antikörper auf die Probe aufgetragen und sein Fluoreszenz-Signal aufgefangen werden. Mit den handelsüblichen Antikörpern ist es allerdings nur unter großem Aufwand möglich, die Fluoreszenz auszuschalten. Deshalb hat das Team um Hennig so genannte Switch-Antikörper entwickelt. Der Fluoreszenz-Farbstoff ist bei ihnen nicht direkt mit dem Antikörper verbunden, sondern über einen kleinen einzelstängigen DNA-Faden, den die Forscher als eine Art Schalter zusätzlich zwischen Antikörper und Farbstoff eingebaut haben.
“Wenn wir nun Doppelstrang-DNA dazugeben, die zum eingebauten DNA-Einzelstrang komplementär ist, haften beide DNA-Moleküle fest aneinander”, erklärt Hennig die Funktionsweise des molekularen Schalters. “Die Doppelstrang-DNA befindet sich dadurch in unmittelbarer Nähe des Farbstoffs und kann im Fall von dessen Anregung die Energie strahlungsfrei aufnehmen und sorgt so dafür, dass keine Fluoreszenz mehr auftritt.” Dieser physikalische Prozess ist auch als Förster-Resonanzenergietransfer bekannt und findet statt, wenn Donor- und Akzeptormolekül nicht mehr als zehn Nanometer voneinander entfernt sind.
„Mit den Switch-Antikörpern ist es möglich, Blutproben von Patienten Schritt für Schritt flexibel so lange zu analysieren, bis die richtige Diagnose gestellt werden kann“, sagt Hennig. “Wir wissen genau, an welche Stelle auf dem Chip sich die Zellen befinden und können uns je nach Fragestellung bestimmte Zellen nochmals anschauen.” Im Moment brauchen er und seine Mitarbeiter rund drei bis vier Stunden, um 50.000 Zellen auf 20 verschiedene Oberflächenmerkmale zu untersuchen.
Neues Verfahren ergänzt Duchflusszytometrie
Bisher mussten Onkologen und Hämatologen auf die Durchflusszytometrie zurückgreifen, wenn sie fluoreszierende Zellen analysieren wollten. Bei dieser Methode fließen die markierten Zellen an einem Laserstrahl vorbei und erzeugen Signale, aus denen Forscher ihre Eigenschaften ableiten können. „Jedoch kann man pro Zelle maximal acht bis zehn verschiedene Biomarker verwenden und nach der Messung gehen die Zellen verloren“, sagt Hennig. “Sie stehen also für eine weitere Analyse nicht mehr zur Verfügung und man muss deshalb schon vorher genau wissen, wonach man sucht.”
Andere Experten halten das neue Verfahren für einen echten Fortschritt auf dem Gebiet der Zellanalyse: “Ich bin begeistert von der Eleganz der Chipzytometrie”, sagt Professor Attila Tarnok, Leiter der Forschungsabteilung der Klinik für Kinderkardiologie am Herzzentrum Leipzig. “Gerade bei Kleinkindern, wenn nur geringe Blutmengen vorhanden sind, überwiegen die Vorteile gegenüber der Durchflusszytometrie.” Nur bei einer Anwendung, so Tarnok, sei das alte Verfahren unschlagbar. Es erlaube innerhalb weniger Minuten die Analyse von einigen Hunderttausend Zellen, was wichtig sei, wenn man zum Beispiel nach erfolgter Leukämietherapie das Blut der Patienten darauf untersuche, ob nicht doch noch die eine oder andere Krebszelle die Behandlung überlebt habe. Tarnok geht deswegen davon aus, dass das neue Verfahren die Durchflusszytometrie zukünftig nicht ersetzen sondern sinnvoll ergänzen werde.
Vollautomat in Planung
Die Forscher um Hennig wollen nun den Chipzytometer-Prototyp in ein voll automatisiertes Gerät umwandeln und Mikrofluidikchips sowie Switch-Antikörper weiterentwickeln. Seit wenigen Monaten werden sie dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im Rahmen der Gründungsoffensive Biotechnologie (Go Bio) erhalten die Wissenschaftler innerhalb der nächsten drei Jahre insgesamt 2,4 Millionen Euro. Mit diesem Geld möchte Hennig nicht nur die neue Technologie vorantreiben, sondern auch ein Unternehmen gründen, mit dessen Hilfe Chips und Antikörper besser vermarktet werden könnten: „Unser erstes Ziel ist es, dass wir am Ende der Förderphase die Chipzytometrie als Dienstleistung anbieten können.”