Entspannt ein bisschen Ferien machen und nebenbei famulieren - das kann man in Frankreich vergessen. Nach dem Motto "Wenn ich renne, rennst Du auch!" werden in Frankreich die Famulanten gescheucht.
Sommer, Sonne, Frankreich, Famulatur – hört sich fast nach einer perfekten Kombination an. Ob das stimmt, kommt natürlich darauf an, wie sich die letzte Variabel verhält. Eine Famulatur kann schon zu Hause gute und schlechte Überraschungen bergen, aber wie ist das in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache und vielleicht einer ganz anderen Mentalität?
Nach dem 4. klinischen Semester, zwei Monaten Famulatur in Deutschland, dem Semester Blockpraktikum und Lust auf etwas anderes – zum Beispiel Urlaub – wollte ich Pflicht mit Vergnügen kombinieren. Die Lösung schien mir ein Monat Famulatur in Toulouse, Frankreich, zu sein. In dieser schönen, südfranzösischen Stadt. Die belebte Atmosphäre, die vielen jungen Menschen, die beeindruckenden Gebäude, die schönen Straßen und vor allem das warme, sonnige Wetter hatten mich schon einmal begeistert. Ich erwartete eine in vielen Hinsichten wertvolle Erfahrung.
Über Umwege zum Ziel
Eine gute Voraussetzung zur Erfüllung meines Plans war, dass ich Verwandte in Toulouse habe, so war die Wohnungsfrage schonmal gelöst. Dann sollte es doch gar nicht mehr so schwer sein, sich für eine kleine Famulatur zu bewerben, oder?!
Sehr einfach war das nicht, meine Verwandten wohnen noch nicht lange dort, sind keine Ärzte und die Ärzte, die sie kannten, konnten nicht weiterhelfen. Dann gibt es Organisationen und Verbände, die weiterhelfen könnten, zum Beispiel die bvmd (Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.). Sicher ein guter Plan, jedoch muss man sich lange im Voraus bewerben (bis 15. Dezember für Juli – Dez des Folgejahres) und manchmal kann man sich die Stadt nicht aussuchen. Ich wollte aber unbedingt nach Toulouse und zu spät dran war ich auch.
So einfach wie bei uns – E-Mail an den Chefarzt, vielleicht noch mit Lebenslauf – ist eine Famulatur-Bewerbung in Frankreich ganz und gar nicht. Nachdem ich bei direkter Kontaktaufnahme zu den Krankenhäusern gescheitert war, fand ich heraus, dass das Ganze über die Universität in Toulouse laufen musste. Dort habe ich dann eine nette Sekretärin erwischt, die mir die Unterlagen zuschickte. Man musste einen Lebenslauf, ein Empfehlungsschreiben seiner Heim-Uni und einen kleinen Motivationstext abgeben sowie die Praktika, die man schon gemacht hat, und eine Haftpflicht- und Sozialversicherung angeben. Der zweite Schritt lag darin, ein Einverständnis von einem Chefarzt der gewünschten Abteilung zu bekommen. Also E-Mail-Adressen herausfinden, Chefärzte anschreiben. Am Ende hat mir von vier Chefärzten nur einer geantwortet: Chefarzt der Gynäkologie im Hôpital Paule de Viguier. Den Platz habe ich dann auch direkt angenommen, der Uni alle Unterlagen geschickt und die Zusage bekommen!
Ein bisschen aufwendig war es schon, aber es hat im Endeffekt gut geklappt und es ist doch ganz schön zu sehen, dass man auch ohne Connections und Organisation ein gutes Praktikum abgreifen kann!
Entgegen aller Erwartungen
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir den Monat in Frankreich ganz anders vorgestellt. Ich hatte schon häufig gehört und dann auch nachgelesen, dass die französischen Studenten ab dem 4. Jahr vormittags im Krankenhaus als „Externes“ (Bezeichnung für Medizinstudenten im Krankenhaus) arbeiten und nachmittags Kurse haben. Praktikanten, vor allem aus dem Ausland, durften diesen Berichten nach ebenfalls früh gehen. Ich habe mich also schon darauf gefreut, Toulouse und die Umgebung tiefgängig zu erkunden und viel Zeit mit meinen Verwandten und vielleicht neuen Bekanntschaften zu verbringen. Außerdem dachte ich mir, dass die Franzosen, bekannt als die Genießer des Lebens, vielleicht nicht ganz so viel arbeiten wie die deutschen Ärzte oder etwas weniger Stress haben. Ich sollte jedoch eines Besseren belehrt werden...
Gelandet bin ich nämlich in einer der größten „Maternité“ (Entbindungsstation) Frankreichs. In sechs Entbindungsräumen und zwei OP-Sälen für Kaiserschnitte werden jeden Tag durchschnittlich 15 Kinder auf die Welt gebracht. Da es sich um ein Zentrum des „Niveau 3“ handelt, es also eine Neonatologie gibt, die Frühgeborene schon ab der 26. SSW betreut und dies in der ganzen Region das einzige Krankenhaus solcher Versorgung war, kamen die Patienten zum Teil von weit her, und die Betten waren immer besetzt. Es gab eine Station für Erkrankungen während der Schwangerschaft, auf der ich mich hauptsächlich aufgehalten habe, und drei Stationen für die Patientinnen, die bereits entbunden hatten.
Von Fall zu Fall
Ich wurde einer Ärztin zugeteilt, die „Chef de Clinique“ ist, was einer zusätzlichen Ausbildung nach der Facharztausbildung entspricht. Sie war sehr kompetent und motiviert, hat sehr hart gearbeitet und wurde bei aller Art von Problemen gerufen. Ich sollte ihr dann immer folgen, was sich schon am ersten Tag als nicht sehr einfach erwies, weil sie zwischendurch mitten in der Untersuchung einer Patientin weggerufen wurde, um einen Notfall-Kaiserschnitt zu machen. Gut, dass sie mich am Anfang des Tages vorgewarnt hatte: „Wenn ich renne, rennst Du auch!“
Der erste Tag war für mich schon unheimlich beeindruckend. Wir rannten von einer Untersuchung zu einem Kaiserschnitt, dann zur Patientin zurück, um dann ein Neugeborenes mittels Zange auf die Welt zu bringen, dann wieder auf die Station, gefolgt von einem weiteren Kaiserschnitt! Ich, die noch nie eine Geburt gesehen hatte, war von den Erlebnissen des ersten Tages schon komplett überwältigt. Ich habe die Zeit komplett vergessen und erst im Nachhinein gemerkt, dass es 19 Uhr war, als ich das Krankenhaus verließ.
Zwar war dies wohl auch einer der stressigeren Tage, aber im Endeffekt war ich – außer an drei Tagen, an denen ich darum gebeten habe etwas früher gehen zu dürfen – jeden Tag von 8 Uhr morgens bis mindestens 19 Uhr im Krankenhaus. Und das bei einem unbezahlten Praktikum!
Von Toulouse habe ich also nicht ganz so viel mitbekommen, wie ich es erwartet hätte. Ich habe an den Wochenenden versucht die vielfältigen Möglichkeiten zu nutzen, die die Stadt und die Umgebung zu bieten hat. Glücklicherweise habe ich die drei Tage bevor das Praktikum losging zum Sightseeing genutzt. An den Wochenenden war ich in der Innenstadt, im Theater, im Museum und im Kino (was in Toulouse für Studenten viel günstiger ist, als in Deutschland). Außerdem habe ich das traumhafte Wetter genutzt um Ausflüge zu machen. Unter anderem zu dem höchsten Berggipfel der französischen Pyrenäen und zu einem großen See an dem man die 40°C noch ganz gut ertragen konnte.
Gute Betreuung, feste Pausen
Obwohl ich, wie gesagt, sehr überrascht war, dass mein Praktikum zeitlich solche Ausmaße annahm, war ich inhaltlich und von der Betreuung durch die Ärzte begeistert. Meistens verging die Zeit auch wirklich sehr schnell und erst als ich abends das Krankenhaus verließ, merkte ich wie lang und anstrengend der Tag gewesen war.
Nach den ersten Tagen der Eingewöhnung konnte ich mir aussuchen, was ich gerne machen wollte. Meistens habe ich morgens mit den „Internes“ (Assistenzärzten) die Visite gemacht. Die Ärzte nahmen sich viel Zeit mit den Patientinnen zu sprechen, ihnen das weitere Vorgehen zu erklären und Fragen zu beantworten. Meistens setzten sie sich auch auf einen Stuhl neben die Patientin. Die meisten Patientinnen auf der Station waren wegen drohender Frühgeburten, also vorzeitiger Wehen oder Verkürzung des Gebärmutterhalses, Präeklampsie, Gestationsdiabetis, intrauteriner Wachstumsretardierungen und ähnlichem aufgenommen worden. Im Anschluss mussten die täglichen Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden, bei denen ich gucken und manchmal auch selbst mein Glück versuchen durfte, zum Beispiel beim Fruchtwasser ausmessen.
Eine weitere Überraschung war das Mittagessen! Da habe ich dann die Franzosen mit ihrem „Savoir-vivre“ doch noch wiedererkannt. Egal wie viel los war, das Mittagessen durfte niemals ausfallen! Während der Mahlzeit – übrigens Vorspeise, Hauptspeise, Dessert und Kaffee inklusive - nahmen wir uns auch ausgiebig Zeit und vergaßen den Krankenhausstress.
Nachmittags war ich dann häufig mit der „Chef de clinique“ oder den Oberärzten bei Untersuchungen. Die Fachärzte haben neben der Krankenhausarbeit noch eigene Patientinnen, die von außerhalb zu den Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen kommen. Dieser Teil war für mich besonders spannend, weil ich nach ein paar Mal Zugucken die Patientinnen alleine untersuchen durfte. Nach der Anamnese durfte ich die fetalen Herztöne suchen, mit den Leopold-Griffen die Lage des Kopfes und der anderen Körperteile herausfinden und vieles mehr. Dann kam die Ärztin, hat alles überprüft und ihr OK gegeben. Die meisten Patientinnen waren sehr nett und offen und waren daran gewöhnt, sich von Studenten untersuchen zu lassen. Die Untersuchungen gingen bis ca. 18h und dann gab es die Gegen-Visite oder noch kleine Fortbildungsveranstaltungen, zu denen ich dann auch gehen sollte. An den Tagen, an denen keine Untersuchungen waren, war ich im Kreißsaal oder im OP. Die Ärzte waren sehr freundlich, haben sehr viel erklärt, Fragen gestellt und beantwortet, so dass ich mich sehr wohl gefühlt hab.
Parlez-vouz français?
Was die Sprache angeht, hatte ich den großen Vorteil, dass ich schon Französisch spreche, da meine Mutter Französin ist. Jedoch habe ich noch nie in Frankreich gelebt oder ein Praktikum gemacht. Das große Problem ist, dass die Franzosen verrückt nach Abkürzungen sind. Im Prinzip sind die Erkrankungen und Symptome sehr gut zu verstehen, weil dort natürlich auch die lateinischen Ausdrücke verwendet werden. Die Aussprache ist vielleicht ein bisschen anders, aber da gewöhnt man sich schnell dran. Nur leider gibt es für alles Mögliche Abkürzungen. „Da ist eine neue MAP angekommen, bei der muss noch ein PV gemacht werden, sowie ein EPF und ECBU.“ Da versteht man während der Visite am Anfang nur Bahnhof! Nach einger Zeit weiß man aber: MAP= Menace d'acouchement prématuré = drohende Frühgeburt; PV = Prélèvement vaginal = Vaginaler Abstrich; ECBU = L'examen cytobactériologique des urines = Mikroskopische Urinuntersuchung. Wenn es mal Abkürzungen sind, die es bei uns auch gibt, dann sind die oft umgedreht (VIH entspricht HIV)! Das Buch „Französisch für Mediziner“ von Thieme kann ich daher sehr empfehlen. Für den Start findet man dort sehr gute Tipps und viele Übersetzungen für die nervigen Abkürzungen.
Insgesamt war dieser Aufenthalt für mich eine tolle Erfahrung, obwohl vieles ganz anders gelaufen ist, als ich erwartet hatte! Vor allem fachlich habe ich sehr viel hinzugelernt. Es war keine erholsame, lockere Ferien-Famulatur, aber so viel wie ich gelernt und gesehen habe, hat es sich auf jeden Fall gelohnt.