Neben der AOK beteiligt sich ab Januar 2012 auch die Techniker Krankenkasse am Portal „Weisse Liste“ der Bertelsmann Stiftung. Das Pilotprojekt „Arztnavigator“, mittels dem Patienten ihre Ärzte online bewerten können, wird die Reichweite vergrößern. Die Liste der Fragen, die dieses Projekt aufwirft, ist allerdings lang.
Klassische Musik im Wartezimmer, bereitstehende Snacks, eine kleine Nackenmassage, um die Wartezeit zu verkürzen – sieht so das künftige Serviceangebot deutscher Arztpraxen aus? Die Antwort hierauf liegt in der Zukunft von Informationsportalen wie der „Weissen Liste“. Über dieses Portal bietet die Bertelsmann Stiftung seit 2008 Patienten den Service, sie bei der Suche nach einem Krankenhaus, Arzt oder Pflegeheim zu unterstützen. Und das mit dem Anspruch verständlicher und unabhängiger Informationen. Im Mai dieses Jahres wurde das Angebot um einen zusätzlichen Service ergänzt: eine erweiterte Arztsuche mit integrierter Arztbewertung. Hier haben Patienten die Möglichkeit, nicht nur einen Facharzt in ihrer Nähe zu finden, sondern sich auch gleich ein Bewertungsprofil desselben anzeigen zu lassen. Dieses setzt sich aus persönlichen Erfahrungen und Bewertungen anderer Patienten zusammen, die weit mehr abdecken als bloßen Behandlungserfolg oder -misserfolg. Wer seine Patienten nur gesund und nicht auch rundum zufrieden macht, kann zukünftig eventuell mit öffentlich einsehbaren Negativkommentaren rechnen.
Die Arztsuche befindet sich zurzeit noch in der Pilotphase. Noch sind nur Barmer- und AOK-Versicherte in Berlin, Hamburg und Thüringen dazu aufgerufen, ihre Erfahrungen mit verschiedenen Ärzten online mit anderen zu teilen. Mit dem Beitritt der Techniker Krankenkasse wird sich die Zahl der zur Bewertung Aufgerufenen ab Januar 2012 auf 38 Millionen erhöhen. Der diesjährigen Ankündigung des Vorstandes des AOK Bundesverbandes, man wolle das Projekt Zug um Zug für weitere Kassen öffnen, folgen also bereits Taten.
Geschmacksfrage – Welcher Arzt passt zu mir?
Die Fragebögen zur Arztbewertung (neben der digitalen auch als Printversion verfügbar) wurden unter Einbeziehung von Ärzten entwickelt, wie die Verantwortlichen betonen. Die Themenfelder, zu denen die Patienten befragt werden, gliedern sich in Zufriedenheit mit Praxis, Personal, Arztkommunikation und Behandlung. Als Fazit schließen sich Fragen zum Gesamteindruck an und ob der Patient den betreffenden Arzt weiterempfehlen würde. Unter weisse-liste.de hat schon jetzt jeder Patient theoretisch die Möglichkeit, die bisherigen Ergebnisse einzusehen. Hat er über die Fachgebiets-, Standort- oder Namenssuche einen passenden Arzt gefunden, werden auch sofort die Bewertungen angezeigt. Neben der Angabe, wieviel Prozent der Patienten diesen Arzt weiterempfehlen würden, und weiteren prozentualen Angaben bezüglich der Patientenzufriedeneinheit, ist auch die Anzahl der bisherigen Bewertungen ersichtlich. Diese spielt eine wichtige Rolle, da die Ergebnisse erst zu sehen sind, wenn mindestens 10 Bewertungen zusammengekommen sind. Durch diese Mindestgrenze soll vermieden werden, dass einseitige Darstellungen auf Grundlage weniger Beurteilungen zustande kommen. Hat man eine Vorauswahl getroffen, können auch zwei Ärzte in konkreter Gegenüberstellung miteinander verglichen werden – etwa hinsichtlich der Gestaltung ihrer Praxisräume. So kann im Extremfall eine ungeschickt drapierte Rosina Wachtmeister den entscheidenden Ausschlag für oder gegen eine Praxis geben.
Konzeptionsfrage – Wie wird Seriosität gewährleistet?
Um möglichst unverfälschte und aussagekräftige Daten zu erhalten, greifen die Betreiber der Weissen Liste – ebenso wie jene konkurrierender Portale – auf diverse Sicherheitsfunktionen zurück. Schmähkritiken beispielsweise sollen vermieden werden, indem man auf Freitextfelder verzichtet. Die Patienten bewerten die einzelnen Aspekte nach einer vorgegebenen Werteskala, die von „Trifft voll und ganz zu“ bis „Trifft überhaupt nicht zu“ reicht, so dass einheitliche Vergleichsmöglichkeiten gegeben sind. Andere Arztbewertungsportale – wie etwa DocInsider, Imedo, esando oder das im August gestartete Portal des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) – bieten hingegen die zusätzliche Möglichkeit, einen selbst formulierten Text einzugeben. In diesen Fällen müssen die Eingaben vor Veröffentlichung redaktionell geprüft werden, um die von der Bundesärztekammer festgelegten Qualitätsanforderungen für Arztbewertungsportale zu erfüllen.
Um darüber hinaus Mehrfachbewertungen durch Patienten und Selbstbewertungen durch Ärzte zu verhindern, sind bei der Weissen Liste nur Patienten als Bewerter zugelassen, die sich über ihre Zugehörigkeit zu einer der drei bisher beteiligten Krankenkassen identifizieren. Auch bei den anderen erwähnten Portalen wird eine Identifikation über persönliche Daten vorgenommen – mit Ausnahme des VDEK-Portals. Hier gibt es keinerlei Restriktionen, was aus besagten Gründen bereits für harsche Kritik von Seiten der Bundesärztekammer (BÄK) sorgte. „Wenn der VDEK klug gewesen wäre, hätte er sich dem Arztnavigator angeschlossen“, so BÄK-Präsident Dr. med. Frank Ulrich Montgomery bezüglich solch konzeptioneller Fragen. Welches der Portale sich schließlich gegen die Konkurrenten durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Die Weisse Liste hat über die Möglichkeit einer aktiven Ansprache der bei den beteiligten Kassen Versicherten bestimmt keine schlechten Chancen.
Grundsatzfrage – Wer beurteilt was?
Wie nicht anders zu erwarten, melden sich auch kritische Stimmen aus Reihen der Ärzte selbst. So gibt der Lübbecker Allgemeinmedizinier Dr. Herbert Busch zu bedenken: „Die Patienten, die sich gut behandelt fühlen, gehen zufrieden nach Hause. Nur die, die nicht zufrieden sind, haben die Motivation, einen ganzen Fragebogen auszufüllen.“ Ein Einwand, der vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, mit dem Hinweis auf die aktive Ansprache der Patienten durch die Krankenkassen gekontert wird. „Wir erwarten“, so Graalmann, „dass sich dadurch die Anzahl von Affekt- und Extrembewertungen von besonders zufriedenen oder unzufriedenen Patienten deutlich verringert und so ein realistisches Bild entsteht.“ Tatsächlich bestehen derlei Risiken bei Bewertungsportalen immer. Dennoch haben sie sich in anderen Sparten oftmals bewährt und schaffen über größere Transparenz größeren Wettbewerb und damit meist mehr Qualität. Weitaus schwerer wiegen Einwände, die spezifische Besonderheiten des Arztberufs – oder vielmehr: der Arztleistungen – thematisieren. Ob etwa körperliche Untersuchungen gründlich durchgeführt wurden, eine rechtzeitige Überweisung an einen Facharzt erfolgte oder die medizinische Geräteausstattung einem modernen Standard entspricht – dies alles sind Fragen, die der Patient als Laie nur in den seltensten Fällen objektiv wird beurteilen können. Eine Fehldiagnose von Patientenseite kann hier ernste Auswirkungen auf eine bisher gesunde Arztkarriere haben.
Glaubensfrage – Wie sieht die Zukunft (mit) der Weissen Liste aus?
Bei allen gerechtfertigten Einwänden – jetzt kommt es für Ärzte darauf an zu entscheiden, ob sie auf die Zukunft der Bewertungsportale setzen oder nicht. Abseits der Vorbehalte kann im Fall der Weissen Liste die momentane Aufbruchphase schließlich auch für Aufbruchstimmung sorgen, aus der sich positive Effekte generieren lassen. Die Augen-zu-Therapie ist jedenfalls selten von Erfolg gekrönt. Aufgrund der 10-Bewertungen-Regel findet man bisher noch sehr wenige Bewertungen online. Allerdings, zieht man die zunehmende Internetaffinität der Deutschen in Betracht, muss damit gerechnet werden, dass sich ein solches Konzept großflächig durchsetzen kann. Die Patienten nutzen schließlich bereits zahlreiche ähnliche Portale, um Informationen bezüglich der Qualität von Hotels, Arbeitgebern, Versandhäusern und vielem mehr zu erhalten. Aus ihrer Sicht spricht sicherlich nichts dagegen, auch Ärzte auf diese Art einem qualitativen Vergleich zu unterziehen. So hat eine aktuelle Umfrage der DocCheck Market Research ergeben, dass auch die Auswahl einer bestimmten Klinik, sowohl durch Ärzte als auch durch Patienten, mehr und mehr über Informationen aus dem Internet zustande kommt.
Warum sich als Arzt da kein Beispiel an bewährter Praxis nehmen? Der Angst vor Extrembewertungen kann begegnet werden, indem man die Patienten selbst auf das Portal hinweist und um Bewertungen bittet. Ärzte, die in ihrer Praxis auf die Befragung aufmerksam machen möchten, erhalten Infoflyer beispielsweise über die AOK. Wenn jeder Behandlung eine Bewertung folgt, wird sich auf Dauer ein realistisches Gesamtbild ergeben.