Ein Abbauprodukt der Darmbakterien verschlechtert laut Studie die Prognose nach Herzinfarkten. Für den Krankheitsverlauf soll die Ernährung ausschlaggebend sein. Der Vergleich zweier Kohorten aus der Schweiz und den USA zeigt: Amerikaner schneiden sehr schlecht ab.
Unzählige Bakterien besiedeln den menschlichen Magen-Darm-Trakt und bilden das so genannte Mikrobiom. Es hilft uns bei der Verwertung der aufgenommenen Nahrung und spielt eine bedeutende Rolle bei vielen lebenswichtigen Prozessen wie beispielsweise der Synthese der Vitamine B1, B2, B6, B12 und K. Veränderungen des Mikrobioms werden in Zusammenhang gebracht mit entzündlichen Darmerkrankungen, Adipositas und Arthritis. Nun hat ein internationales Forscherteam des Universitätsspitals Zürich und der Cleveland Clinic gezeigt, dass das Mikrobiom auch die Prognose von Herzinfarktpatienten mitbestimmt. Wie die Wissenschaftler um Thomas Lüscher und Stanley Hazen in einem Artikel im European Heart Journal mitteilen, entfalten unsere Darmbakterien insbesondere nach dem Genuss von Fleisch, Eiern und fettreichen Milchprodukten eine ungünstige Wirkung. Diese Lebensmittel enthalten größere Mengen an Phosphatidylcholin, Cholin und Carnitin. Die Bakterien wandeln diese Substanzen in Trimethylamin um, welches im Darm resorbiert und in der Leber durch das Enzym FMO3 zu Trimethylamin-N-oxid (TMAO) umgebaut wird.
Mehrere klinische Studien konnten in den vergangenen Jahren eindeutige Hinweise erbringen, dass der TMAO-Spiegel im Blut mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verbunden ist. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um einen kausalen Zusammenhang und nicht um eine zufällige Korrelation, da in Laborstudien bereits gezeigt wurde, dass TMAO die Blutplättchen aktiviert und so die Bildung von arteriosklerotischen Plaques in den Gefäßen fördert. Bislang war aber unbekannt, ob der TMAO-Spiegel auch vorhersagen kann, wie groß das Risiko bei Herzinfarktpatienten für einen weiteren Herzinfarkt ist. Um diese Wissenslücke zu schließen, untersuchten Lüscher und Hazen 2213 Patienten mit einem frischen Herzinfarkt in zwei unterschiedlichen Kohorten. Bei allen Probanden wurden unmittelbar nach Aufnahme in die Klinik Blut abgenommen und die TMAO-Spiegel bestimmt. Interessanterweise hatten die 530 Probanden aus Cleveland im Durchschnitt anderthalbmal höhere TMAO-Werte als die 1683 Schweizer Patienten. „Das ist nicht verwunderlich, denn US-Amerikaner essen viel Fleisch und sehr viele Eier zu allen Mahlzeiten“, sagt Lüscher, Klinikdirektor der Kardiologie am Universitätsspital Zürich.
Anschließend verfolgte das Forscherteam den weiteren Krankheitsverlauf der Probanden. In der Cleveland-Kohorte hatten nach einem halben Jahr 220 von 530 Studienteilnehmern (41,5 Prozent) eine schwere kardiale Komplikation erlitten; in der Schweizer Kohorte war das nach einem Jahr nur bei 190 von 1683 Studienteilnehmern (11,3 Prozent) der Fall. In einer weiteren Analyse zeigte sich, dass in beiden Kohorten das Patienten-Viertel mit den höchsten TMAO-Werten ein wesentlich höheres Risiko für schwere kardiale Komplikationen hatten als das Patienten-Viertel mit den niedrigsten TMAO-Werten. Bei den Probanden aus Cleveland war dieser Effekt jedoch deutlich ausgeprägter als bei den Schweizer Probanden. „Unsere Ergebnisse sind aber noch kein Beweis, dass höhere TMAO-Werte tatsächlich die Ursache für die Komplikationen der Probanden sind“, sagt Lüscher. „Mithilfe einer Interventionsstudie könnte man einen solchen kausalen Zusammenhang herstellen.“ Dafür, so der Kardiologe, müsste man Patienten nach einem Herzinfarkt auf eine vegetarische Kost setzen oder alternativ eine Stuhltransplantation durchführen, um das Mikrobiom auszutauschen. Lüscher: „Das Stuhltransplantat würde man gesunden Spendern entnehmen, es dann den kranken Patienten übertragen und schauen, ob dieser Eingriff deren Prognose verbessert.“
Bei einer anderen chronisch-entzündlichen Erkrankung erbrachte die Stuhltransplantation bereits erste Erfolge: Wie australische Forscher dieses Jahr in einem Artikel in der Fachzeitschrift Lancet berichtet haben, verringerten sich bei Patienten mit der Darmkrankheit Colitis ulcerosa die Krankheitssymptome, nachdem ihnen der Stuhl von gesunden Spendern verpflanzt wurde. Sollte eine Stuhltransplantation auch bei Herzinfarkt-Patienten zu positiven Ergebnissen führen, müssten nach Ansicht von Lüscher diese vermutlich langfristig ihre Ernährung umstellen, zum Beispiel auf eine mediterrane Kost, mit viel Fisch und Gemüse. Auch wenn die TMAO-Blutwerte bei Patienten mit Herzkrankheiten wahrscheinlich eine hohe diagnostische Aussagekraft haben, wird ihre Bestimmung nicht so schnell zum klinischen Alltag gehören: „Sie zu messen, ist ziemlich aufwändig, da es noch keine Schnelltests gibt“, erklärt Lüscher. TMAO eignet sich jedoch auch als Angriffsziel für Medikamente, mit deren Hilfe sich das Risiko für kardiale Komplikationen senken lassen könnte: Im Tierexperiment blockierten Forscher bereits das Leberenzym FMO3 mit Antisense-Oligonukleotiden und verhinderten so die Umwandlung von TMA in TMAO.
Aber auch Verbindungen wie 3,3-Dimethyl-1-butanol (DMB), die in den Bakterien selbst die Synthese von TMA hemmen, sind im Tiermodell schon mit Erfolg getestet worden und haben dort das Risiko für Arteriosklerose deutlich gesenkt. Solche Substanzen könnten nach Ansicht von Lüscher auch in einer klinischen Interventionsstudie zum Einsatz kommen – vorausgesetzt, dass sie ihre Wirkung nur im Darm entfalten und danach mit dem Stuhl wieder ausgeschieden würden. Der Kardiologe ist momentan im Gespräch mit seinen Kollegen aus Cleveland: „Wir wollen gemeinsam entscheiden, wie wir im Rahmen einer klinischen Studie bei Herzinfarktpatienten am besten intervenieren, um einen möglichst große Absenkung der TMAO-Werte zu erreichen.“