Forscher haben einen implantierbaren Sensor-Chip entwickelt, der schon bald schwer operable oder langsam wachsende Tumoren überwachen könnte. Er misst den Sauerstoffgehalt in der Gewebsflüssigkeit und ermöglicht so eine permanente Verlaufskontrolle.
Meist ist eine Operation der erste Schritt, um einen Tumor zu bekämpfen. Doch manche Tumoren lassen sich chirurgisch nur schwer entfernen, weil dabei umliegendes Gewebe beschädigt werden würde. Andere Tumoren wachsen nur sehr langsam, eine Operation würde in solchen Fällen die Lebensqualität der überwiegend älteren Patienten bloß verschlechtern, ohne deren Leben merklich zu verlängern. Ein Forscherteam der Technischen Universität München hat nun einen elektronischen Sensor-Chip konstruiert, der zukünftig Patienten in die Nähe solcher schwer operablen oder langsam wachsenden Tumoren implantiert werden könnte.
Entscheidungshilfe für Ärzte
Wie die Wissenschaftler um Professor Bernhard Wolf und Sven Becker vom Heinz Nixdorf-Lehrstuhl für Medizinische Elektronik mitteilen, soll der Sensor regelmäßig die Konzentration an gelöstem Sauerstoff im Gewebe messen und die gewonnenen Daten per Funk an ein Empfangsgerät schicken, das der Patient bei sich trägt. “Der Tumor wird auf diese Weise ständig überwacht und gleichzeitig muss der Patient seltener zu Kontrolluntersuchungen in die Praxis oder Klinik kommen”, sagt Becker, Leiter des Projekts. Der behandelnde Arzt kann die Entwicklung des Tumors verfolgen und erhält so eine wichtige Entscheidungshilfe für die weitere Therapie. Becker: “Denn wenn der Sauerstoffgehalt in der Gewebsflüssigkeit sinkt, droht der Tumor sein Wachstum zu beschleunigen und aggressiv zu werden.”
Das Sensor-Chip ist aus der langjährigen Grundlagenforschung an Zell-Chip-Systemen am Heinz Nixdorf-Lehrstuhl hervorgegangen. Kernstück des Implantats ist eine modifizierte Clark-Elektrode, die als Messfühler dient, um die Konzentration an Sauerstoff zu messen. Sie besteht aus einer Platin-Kathode und einer Platin-Anode, an denen eine Spannung angelegt wird. Sobald der Messfühler von der Gewebeflüssigkeit umgeben ist, findet ein Ionenfluss zwischen Kathode und Anode statt. Dieser ist proportional zum Sauerstoffgehalt des Gewebes. „Wir haben den Sensor-Chip mit einem zusätzlichen Mechanismus versehen, damit er sich in Messpausen selber immer wieder neu kalibriert“, erklärt Becker.
Gehäuse schützt Elektronik vor Biomolekülen
Labortests mit Zell- und Gewebekulturen hat der Sensor-Chip bereits bestanden. Jetzt wollen die Forscher einen Schritt weitergehen und ihr neu entwickeltes Messgerät am lebenden Organismus ausprobieren. Als Versuchstiere sollen speziell gezüchtete Schweine dienen, bei denen das Wachstum von Tumoren anregt werden kann. Wenn diese Versuche in Kürze starten, wartet eine besondere Herausforderung auf Becker und seine Kollegen: Der Sensor muss in den Tieren über einen längeren Zeitraum autonom funktionieren. Würde man einfach den Sensor-Chip ohne Schutzhülle in Schweine verpflanzen, wäre die Gefahr groß, dass er bei einer Verschmutzung durch Proteine oder Zellreste ausfällt oder falsche Messwerte liefert. Außerdem könnte er vom Immunsystem der Tiere als Fremdkörper erkannt und mit einer Gewebekapsel umschlossen werden.
Deswegen hat das Team um Becker den Sensor-Chip zusammen mit Auswerte-Elektronik, Funkeinheit und Batterien in ein Gehäuse aus biokompatiblem Kunststoff verpackt. Durch ein kleines Fenster schaut nur der Messfühler heraus, dessen Platinoberflächen mit einer sauerstoffdurchlässigen Membran überzogen sind, so dass sich auch hier keine Proteine ablagern können. Wenn die Tierexperimente erfolgreich verlaufen sollten, kann sich Becker vorstellen, dass das neue Messgerät schon bald bei Menschen getestet wird – zum Beispiel bei Patienten mit Hirntumoren oder Prostatakarzinomen. “Dann könnten wir auch die Kommerzialisierung des Sensorchips vorantreiben”, sagt Becker.
Konkurrenz der bildgebenden Verfahren
Andere Experten sind noch skeptisch, was den zukünftigen Einsatz des Sensor-Chips beim Menschen anbelangt: “Der neue Sensor-Chip ist zwar sehr innovativ”, sagt Professor Peter Vaupel von der Klinik für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. “Da Tumoren aber meist sehr heterogen aufgebaut sind, wird ein Messfühler wahrscheinlich nicht genügen, um die Gesamtsituation vollständig zu erfassen.” Zudem, findet Vaupel, gebe es große Fortschritte auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren. So sei es mit diesen schon heute möglich, die Sauerstoffkonzentration im Körpergewebe mit einer Auflösung von einem Kubikmillimeter zu messen. Becker dagegen geht davon aus, dass die durch den Sensor-Chip gemessenen Werte in den meisten Fällen repräsentativ für den gesamten Tumor sind. Auch sei, so der Forscher, für die kommenden Jahre nicht damit zu rechnen, dass die bildgebenden Verfahren in tragbare Geräte integriert werden könnten.
Obwohl der Sensor-Chip samt Elektronik kaum doppelt so groß wie ein Daumennagel ist, wollen ihn die Forscher um Becker noch weiter verkleinern. Zusätzlich planen sie, den Sensor mit weiteren Messfühlern auszustatten, mit deren Hilfe Säuregehalt und Temperatur im Tumor bestimmt werden könnten. So könnten Therapieempfehlungen auf eine breitere Datenbasis gestellt werden. Als besonderen Clou haben Becker und seine Kollegen noch eine Miniatur-Medikamentenpumpe in Entwicklung: Sie könnte zusammen mit dem Sensor-Chip verpflanzt werden und bei Bedarf Chemotherapeutika in unmittelbarer Tumornähe abgeben.