Mehr als 50 Jahre ist es her, dass das rezeptfreie Schlafmittel Contergan® eine Katastrophe auslöste. Jede Schwangere fragt sich seit dem, welche Medikamente sie in der Schwangerschaft einnehmen darf.
Seit dem Jahr 2004 erfasst das Informationszentrum für Embryonaltoxikologie in Berlin bundesweit systematisch unerwünschte Arzneimittelwirkungen in Schwangerschaft und Stillzeit. Auf der Homepage wird detailliert beschrieben, welche Medikamente eine Schwangere meiden muss und welche in der Stillzeit nicht zu empfehlen sind.
Bei 70 Prozent von etwa 1.500 in Deutschland zugelassenen Monoarzneimitteln liegen praktisch keine detaillierten Informationen über mögliche pränatal-toxische Risiken vor. Aus diesem Grund und aus haftungsrechtlichen Aspekten findet man in fast allen Beipackzetteln und Fachinformationen die prophylaktische Warnung vor einer Anwendung in der Schwangerschaft. Eine deutlich effizientere Informationsquelle bietet die Rote Liste®. Das differenzierte Klassifikationssystem Gr 1- Gr 11 stellt einen klaren Fortschritt dar. Chiffre Gr 1 steht für „kein Verdacht auf embryotoxische Wirkungen, Chiffre Gr 11 „für ein Risiko mutagener/carzinogener Wirkungen“.
Vitamin A als Contergan® der Gegenwart?
Für Vitamin A besteht ein eindeutiges, dem Thalidomid vergleichbares dosisabhängiges Risiko, grobstrukturelle Anomalien auszulösen. Bei Dosierung von 5.000 bis 10.000 IE ist die Gefahr nur minimal, bei mehr als 15.000 IE steigt sie aber auf das 3,5fache an. Ein Problem ist die sehr lange Halbwertzeit, Etretinat ist erst nach 80 bis 160 Tagen zur Hälfte abgebaut. Im Plasma von mit Acitretin behandelten Schwangeren lässt sich Etretinat nachweisen, deshalb gilt die klare Kontraindikation auch für die Muttersubstanz. Vitamin A und die Derivate erhöhen das Spontanabortrisiko und führen zum charakteristischen Retinoidsyndrom: Fehlanlage der Ohren einschließlich Agenesie oder Stenose des Gehörgangs, Störungen der Gesichts- und Gaumenbildung, Mikrognathie, Defekte des Herz-Kreislaufsystems, des ZNS und des Thymus. Als Folge können neurologische Schäden mit Beteiligung von Augen und Innenohr bis zum Hydrozephalus auftreten. Intelligenzdefizite wurden auch ohne erkennbare Fehlbildungen beschrieben. Ob auch dermal aufgetragene Vitamin-A-Säure zu fötalen Schäden führen kann, wird kontrovers betrachtet.
Vermeintlich harmloses Erythromycin doch teratogen
Die menschliche Folsäurereduktase ist viel weniger empfindlich gegenüber dem Folsäureantagonisten Trimethoprim als das bakterielle Enzym. Vermutlich können diese Antibiotika Neuralrohrdefekte, kardiovaskuläre Fehlbildungen sowie Lippen/Gaumenspalten auslösen. Antibiotika der ersten Wahl in der Schwangerschaft sind erprobte Penicilline sowie Cephalosporine. Der Verdacht auf eine embryotoxische Wirkung wird dadurch gestärkt, dass sich Neuralrohrdefekte wie Spina bifida durch Folsäuregaben deutlich senken lassen. Dennoch rechtfertigt eine Einnahme während des 1. Trimenons keinen Schwangerschaftsabbruch.
Eine Studie aus Schweden von Källen et al hat ergeben, dass das bewährte Antibiotikum Erythromycin teratogen wirkt. Über einen Zeitraum von 7 Jahren wurden über 3.600 Schwangere untersucht, die zu unterschiedlichen Zeiten in der Schwangerschaft Erythromycin eingenommen haben. 5,6% der betroffenen Feten zeigten Missbildungen. Bei Müttern, die Phenoxymethylpenicillin eingenommen haben, lag die Rate bei 4,7%, für sämtliche Neugeborene bei 4,6%. Doppelt so viele Kinder in der Erythromycingruppe hatten kardiovaskuläre Missbildungen wie Vorhof- und Kammerseptumdefekte. Vermutlich ist die Hemmung eines spezifischen kardialen Kaliumkanals die Ursache. Das Makrolid sollte im ersten Trimenon nicht eingenommen werden.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), insbesondere Paroxetin, sollten während der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. Eine WHO-Datenbankanalyse ergab, dass unter SSRI beim Neugeborenen Entzugssymptome und cerebrale Krämpfe auftreten können. ACE-Hemmer und AT-II-Antagonisten können die Nierenfunktion des Feten schädigen. Es kann zu Oligohydramnion/Anhydramnie und zu schweren Organschäden wie Lungenhypoplasie, Hypoplasie der Schädelknochen, Extremitäten-Kontrakturen und Anurie des Neugeborenen kommen. In der Schwangerschaft sind Metoprolol, Methyldopa und Dihydralazin besser geeignet.
Klassische Antiepileptika wie Carbamazepin, Valproinsäure, Phenytoin und Phenobarbital können beim Menschen teratogen wirken. Typisch für Valproinsäure und Carbamazepin ist das 20-40fach erhöhte Risiko für Neuralrohrdefekte, wenn die Mutter in der Frühschwangerschaft therapiert wurde. Ursache ist ein Vitamin-K-Mangel mit nachfolgenden Gerinnungsstörungen. Zum neueren Antikonvulsivum Lamotrigin liegen bisher die meisten dokumentierten Erfahrungen vor, die für ein fehlendes spezifisches teratogenes Risiko sprechen.
Bei Lithium ist das Herzfehlbildungsrisiko vermutlich geringer als in früheren Studien angenommen, beträgt aber immerhin etwa 1%. Bei den Säuglingen kann ein so genanntes "Floppy-Infant-Syndrom" auftreten. Dabei kommt es zu Lethargie, Trinkschwäche, Tachypnoe, Tachykardie, Zyanose, Temperaturregulationsstörungen und Muskelhypotonie. In einzelnen Fällen wurden außerdem funktionelle kardiale Störungen, Diabetes insipidus, Krampfanfälle und Hypothyreose bei den Neugeborenen beschrieben.
Cumarin-Antikoagulantien
Die embryotoxische Wirkung von Cumarinderivaten ist beim Menschen eindeutig belegt. Neben einem erhöhten Blutungsrisiko kann ein charakteristisches Fehlbildungssyndrom, die Cumarinembryopathie, auftreten. Die Kinder leiden unter einer hypoplastischen Nase, vorzeitiger Kalzifizierungen in den Epiphysen der langen Röhrenknochen, disproportionale Verkürzung der proximalen Gliedmaßen, Störungen der Augen- und Ohrenentwicklung, intrauterinen Wachstumshemmung und mentalen Entwicklungsretardierung. Eine Hemmung der Vitamin-K-abhängigen Bildung von Proteinen, die für die normale Knochenbildung wichtig ist, wird als Ursache für die Skelettauffälligkeiten verantwortlich gemacht. Die Behandlung mit Cumarinen kann auch im zweiten und dritten Trimenon zu Blutungen führen. Besonders gefürchtet sind zerebrale Blutungen unter der Geburt. Das Spontanabortrisiko ist bei diesen Frauen mit etwa 25% deutlich höher als im Bevölkerungsdurchschnitt.
Wenn Schwangere sauer werden
Neben Rückenschmerzen, psychischen Verstimmungen und Übelkeit, steht auch Sodbrennen ganz oben auf der Liste der Schwangeren-Leiden. Zwischen 40% und 80% aller Schwangeren leiden unter Refluxbeschwerden und Sodbrennen. In der Regel nehmen die Symptome einer Hyperacidität im Laufe der Schwangerschaft zu und verschwinden meist nach der Entbindung. Infolge der Uterusvergrößerung nimmt der intraabdominelle Druck zu, was zusätzlich die Verschlussfähigkeit des unteren Ösophagussphinkters beeinträchtigen und den gastroösophagealen Reflux begünstigen kann.
Späte Abendmahlzeiten sollte die Schwanger meiden und die Nahrungszufuhr auf 4-6 kleine Mahlzeiten über den Tag verteilen. Reichen diese Tipps nicht aus, wird es pharmakologisch. Antazida gelten als Mittel der 1. Wahl. Ihre Inhaltsstoffe werden nur in Spuren resorbiert oder vollständig eliminiert. Die Auswahl des richtigen Säurebinders richtet sich nach den Inhaltstoffen und der Art der Einnahme. Suspensionen sind wirksamer als Kautabletten. Tabletten zum Lutschen sind weniger empfehlenswert. Starke Basen, wie Magnesiumhydroxid, Natriumbikarbonat und Kalziumkarbonat, führen als Monosubstanzen zu einer überschießenden Neutralisationsreaktion bis weit in den alkalischen Bereich hinein. Der Magen quittiert dies mit einer erneuten Säureproduktion. Diese Salze werden als Einzelsubstanzen therapeutisch kaum noch eingesetzt. Natriumbikarbonat, auch als „Bullrichsalz“ bekannt, kann zu einer metabolischen Alkalose und vermehrter Flüssigkeitseinlagerung bei Mutter und Kind führen. Sinnvoll sind moderne Schichtgitterantazida wie Magaldrat oder Hydrotalcit. Das in ihnen enthaltene Aluminium stellt keine Gefahr für Mutter und Kind dar, da es relativ fest in seine Verbindung eingebettet ist. Da Schwangere nicht selten Eisenpräparate einnehmen, sollten sie darauf hingewiesen werden, dass ein Einnahmeabstand zu säurebindenden Mitteln von mindestens einer Stunde nötig ist.
Bei vielen Pharmaka schlechte Datenlage
Eine Alternative zu Antazida sind alginsäurehaltige Präparate und Sucralfat. Obwohl nichtresorbierbare alginsäurehaltige Präparate als sicher gelten, liegen keine Daten zur Einnahme in der Schwangerschaft vor. Dies gilt auch für Sucralfat. Es bindet Gallensäuren und ist daher auch bei alkalischem Reflux effektiv. Erst wenn eine Ernährungsumstellung und Antazida nicht mehr zur Behandlung der Refluxbeschwerden ausreichen, sollte an H2-Rezeptorblocker gedacht werden. Cimetidin ist zwar placentagängig, aus zahlreichen Berichten ist jedoch gut dokumentiert, dass keine unerwünschten Effekte auf den Feten und keine Missbildungen auftreten.
Unter den Protonenpumpenhemmern ist Omeprazol auf seine teratogenen Risiken tierexperimentell eingehend untersucht worden: es wirkt dosisabhängig toxisch auf den Fötus und ist daher in der Schwangerschaft relativ kontraindiziert. Absolut tabu ist Misoprostol. Das zytoprotektiv wirkende Prostaglandinderivat kann Uteruskontraktionen verursachen. Es sind mehrere Fälle dokumentiert, in denen Mütter mit der Substanz erfolgreich einen Abort herbeigeführt haben.
Bei säurebedingten Magenbeschwerden wird ebenfalls Metoclopramid eingesetzt. Es führt zu einer Druckerhöhung des unteren Ösophagussphinkters und beschleunigt die Magenentleerung. Verglichen mit den H2-Blockern ist das Prokinetikum jedoch in der Monotherapie der Refluxösophagitis deutlich weniger effektiv. Tierexperimentell wurden teratogene Effekte nachgewiesen, der Einsatz während der Schwangerschaft sollte deshalb nur im 2. und 3. Trimenon bei schwerer Hyperemesis gravidarum und nur nach strenger Indikationsstellung erfolgen. Auf ein Hausmittel bei Magenbeschwerden sollten Schwangere unbedingt verzichten: Lakritz. Durch die mineralokortikoide Wirkung der Glycericinsäure wird Natrium zurückgehalten, es bilden sich Ödeme und der Blutdruck kann ansteigen.
Kaffee macht Babys leichter
Das Risiko für eine Totgeburt steigt mit der Anzahl der täglich konsumierten Kaffeemenge. Frauen, die pro Tag vier bis sieben Tassen Kaffee trinken, weisen ein um 80 Prozent erhöhtes Risiko für Totgeburten gegenüber Kaffeeabstinenten auf. Schwangere, die acht und mehr Tassen Kaffee tranken, müssen sogar mit einer um 200 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit rechnen. Koffein erhöht die Freisetzung von Stresshormonen, die möglicherweise gefäßverengend auf die Gebärmutter wirken und so zu einer Unterversorgung des Fetus mit Sauerstoff führen. Andererseits könnte Koffein auch direkt in das Kreislaufsystem des Fetus eingreifen und zur Steigerung der Herzfrequenz führen.
„Schwangere sollten in den ersten fünf Monaten grundsätzlich auf den Genuss von Kaffee, Tee und koffeinhaltigen Getränken verzichten“, so der Rat von Wissenschaftlern des Forschungszentrums Kaiser Permanente in Oakland, Kalifornien. In einer Studie von De-Kun Li, veröffentlicht im "American Journal of Obstetrics and Gynecology“ wird auch heißer Schokolade, Tee und anderen koffeinhaltigen Getränken ein Risiko zugesprochen.