Pathologen der Medizinischen Universität Wien lassen mit neuen Erkenntnissen zu Pathogenese und Therapie des medullären Schildrüsenkarzinoms aufhorchen: Der langsam wachsende Tumor hat in sich eine Gewebshypoxie, die zur Desmoplasie führt. Die medikamentöse Blockade der Hypoxiepathways könnte die Therapie revolutionieren.
Das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MTC) zählt zwar zu den seltenen humanen Malignomen, es ist allerdings eine Erkrankung mit progredientem Verlauf: Rund 50 Prozent aller Patienten mit MTC versterben am Tumor. In Österreich erkranken jährlich rund 500 Menschen an einem Schilddrüsenmalignom, der Anteil an MTC liegt zwischen 5 und 10 Prozent. Tumorerkrankungen der Schilddrüse lassen sich in der Regel gut therapieren, nicht so die Variante des MTC: Es wächst langsam, metastasiert jedoch früh. Aufgrund des langsamen Wachstums zeigen Strahlen- und Chemotherapie in der Therapie eines medullären Schilddrüsenkarzinoms kaum Wirkung.
Frühe Metastasierung fatal
Der größte Anteil der medullären Schilddrüsenkarzinome tritt nicht hereditär, sondern sporadisch auf. Ihre Pathogenese ist weitgehend unbekannt. Zum Zeitpunkt der Diagnose weisen über 50 Prozent dieser Patienten bereits eine lymphogene Metastasierung auf. Die Therapie der Wahl ist die möglichst vollständige Entfernung der Schilddrüse und der Halslymphknoten. Durch die frühe Metastasierung ist der behandelnde Arzt jedoch in seinen Therapiemöglichkeiten limitiert: „Bei Metastasen des MTC hat man keine Möglichkeiten zur Behandlung und ist eigentlich zum Zuschauen verurteilt“, erklärt Peter Birner, Pathologe am Klinischen Institut für Pathologie an der Medizinischen Universität Wien. Man weiss, dass für die Metastasierung eines MTC das Tumorstroma, die bösartige Neubildung der Schilddrüse, eine wichtige Rolle spielt, da nur Tumore mit Fibrosearealen (Desmoplasie) innerhalb des Tumors Metastasen entwickeln. Die Ursachen für diese Form der Schilddrüsenveränderung waren jedoch völlig unklar.
Hypoxie auch bei langsam wachsendem Tumor
Die Pathologen der Medizinischen Universität Wien konnten dieses Rätsel nun zu einem Teil lösen: Die Unterversorgung des Tumors mit Sauerstoff steht in engem Zusammenhang mit einer spezifischen Umwandlung des Bindegewebes, das den Tumor umgibt (Stroma). „Dass diese relativ langsam wachsenden Tumore eine Hypoxie aufweisen, war für uns eine große Überraschung. Eigentlich geht man davon aus, dass nur bei schnell wachsenden Tumoren eine Unterversorgung mit Sauerstoff auftritt. Bei MTC ist genau das Gegenteil der Fall“, erklärt der Pathologe Oskar Koperek, Leiter der Arbeitsgruppe „Endokrine Pathologie“. Eine wichtige Erkenntnis, denn hypoxische Tumorzellen sind besonders aggressiv. Sie haben die Fähigkeit zum Zelltod verloren, wachsen an anderer Stelle weiter und bilden Metastasen. Auf der Suche nach dem Mechanismus für diese hypoxische Erscheinungsform wurden die Wiener Forscher erneut fündig: Bei einem Teil der Tumore zeigten sich Mutationen des Von-Hippel-Lindau-Genes, die bei medullären Schilddrüsenkarzinomen bisher nicht bekannt waren und offenbar die Hypoxie auslösen.
Hypoxie führt zur Desmoplasie
Neben der Entdeckung der Hypoxie gelangten die Forscher nächsten neuen Erkenntnis: Sie untersuchten 100 Gewebeproben von Patienten, die an einem sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinom erkrankt waren und konnten zeigen, dass die Hypoxie zur Desmoplasie führt. Bisher ging man vom Gegenteil aus. Somit sind Fibroseareale ein Symptom, nicht aber nicht die Ursache der Hypoxie. Diese Ergebnisse verändern die Sichtweise auf die Erkrankung. „Offenbar spielt Hypoxie, von der man bisher nicht wusste, dass sie in diesen Tumoren überhaupt existiert, eine wichtige Rolle bei der Metastasierung über die Tumor-Stromareaktion,“ meint Birner und lässt mit einem Therapieansatz aufhorchen: „Da man Mechanismen, die durch Sauerstoffunterversorgung aktiviert werden und den Krebs aggressiver machen, so genannte Hypoxiepathways, medikamentös blockieren kann, könnte dies eine neue Therapieoption für Patienten mit MTC darstellen.“ Damit könnte verhindert werden, dass diese Tumore unkontrolliert metastasieren. Zur Entwicklung eines solchen neuen Therapieansatzes bedarf es jedoch noch eingehender klinischer Studien.