Warum wurde das Risikogen für Alzheimer und Herzkreislauferkrankungen APOE4 nicht im Laufe der Evolution selektioniert? Ganz einfach: In jungen Jahren unterstützt es beispielsweise die Knochengesundheit.
Das Apolipoprotein E (ApoE) hat im Organismus eine zentrale Rolle für die Regulation der Homöostase von Triglyzeriden und Cholesterol. Das codierende Gen, das APOE-Gen, ist ein polymorphes Gen; es existieren drei Allele: APOE2, APOE3 und APOE4. Die APOE4-Variante ist die evolutionsbiologisch älteste Form und wurde in verschiedenen Untersuchungen als Risikofaktor für die Entstehung von Morbus Alzheimer und Herzkreislauferkrankungen im höheren Lebensalter (late-onset) identifiziert. In Nordeuropa sind über 20% der Bevölkerung Träger des APOE4-Allels, in Südeuropa sind es unter 10%.
Warum in Gottes Namen, oder besser, in Darwins Namen, wurde APOE4 trotz der negativen Auswirkungen auf die Gesundheit des Trägers nicht im Laufe der Evolution selektioniert? Diese Frage stellte sich ein Forscherteam des Exzellenzclusters Entzündungsforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel und kam dabei zu einem interessanten Ergebnis: Träger von APOE4 genießen in jungen Jahren Vorteile gegenüber APOE2- und APOE3-Trägern.
Unterversorgung mit Vitamin D
Vitamin D wird eine gewisse Schutzfunktion vor Alzheimer, koronaren Herzerkrankungen und Knochenerkrankungen zugeschrieben. Es wird im menschlichen Organismus unter Einfluss von Sonneneinstrahlung synthetisiert oder über die Nahrung aufgenommen, beispielsweise über Fisch und Milchprodukte. Nach der aktuellen „Nationalen Verzehrstudie 2“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sind in Deutschland 40 bis 50% der Menschen mit Vitamin D unterversorgt. In den sonnenreichen Ländern Südeuropas ist die Vitamin-D-Versorgung größtenteils ausreichend. Patricia Hübbe vom Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde und ihr Kollege Gerald Rimbach befassen sich mit dem Zusammenspiel von Ernährung und Genetik.
„Wir haben dies zum Anlass genommen und uns gefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen dem hohen APOE4- und dem geringen Vitamin-D-Status in Nordeuropa sowie dem verstärkten Aufkommen von Herzkreislauferkrankungen oder Alzheimer gibt, verglichen mit weiter südlichen gelegenen Gefilden." Almut Nebel vom Institut für Molekularbiologie und Leiterin der "Forschungsgruppe Gesundes Altern" ergänzt: "Zumal sich die Gen-Variante APOE4 – soweit wir momentan wissen – nicht während der reproduktiven Phase des Menschen negativ auswirkt, sondern erst in einem höheren Alter, in dem sich der Mensch nicht mehr fortpflanzt."
Ergebnisse der Mausversuche bestätigt
Die Wissenschaftler untersuchten transgene Mäuse, welche die unterschiedlichen humanen APOE-Varianten im Erbgut tragen. Die Mäuse mit dem APOE4-Allel hatten die höchsten Vitamin-D-Spiegel, verglichen mit den APOE2- bzw. APOE3-Transgenen. Um diese Beobachtungen im Menschen zu überprüfen, untersuchte die Forschergruppe Plasma- und Serumproben einer zufälligen Stichprobe der Bevölkerung auf den APOE-Status und den Vitamin-D-Spiegel. Tatsächlich konnten die Ergebnisse der Mausversuche bestätigt werden. Gerald Rimbach fasst die Ergebnisse zusammen: "Der höhere Vitamin-D-Status von APOE4-Trägern ist vermutlich auf eine verbesserte Aufnahme des Vitamins aus der Nahrung zurückzuführen.
Auch die Calciumabsorption und Calciumkonzentration in den Knochen ist bei APOE4-Mäusen höher als bei denen mit APOE3 und APOE2. Wir konnten jetzt erstmalig den Einfluss von APOE4 auf den Vitamin-D-Status zeigen. In der reproduktiven Lebensphase haben APOE4-Träger anderen gegenüber den Vorteil, dass ihr Vitamin-D-Status höher ist. Das erklärt möglicherweise, warum diese Genvariante nach wie vor zu finden ist, sie verschafft bis zu einem bestimmten Lebensalter mindestens diesen Vorteil." Zugleich kommt der negative Einfluss des APOE4-Allels möglicherweise erst deutlich zu tragen, seitdem die Menschen gesünder alt werden und länger leben.