In Deutschland fehlen tausende von Spenderorganen. Aber auch Blutgefäße sind Mangelware – nicht immer lassen sich geeignete Exemplare etwa für Bypass-OPs beim Patienten entnehmen. Neue Verfahren könnten helfen, zumindest diese Lücke zu schließen.
Bypässe am Fließband: Zurzeit führen Chirurgen diese etablierte Methode allein in Deutschland knapp 56.000 Mal pro Jahr aus, schreibt Dr. Ernst Bruckenberger im aktuellen Herzbericht. Das begehrte Stück Ader, später als Ersatz verengter Herzkranzgefäße gedacht, kommt aus dem Bein des Patienten. Doch nicht immer sind geeignete Gefäße zu finden. Auch würden in vitro-Kapillargefäße künstliche Organe versorgen können, sobald die Forschung hier weiter gekommen ist.
Künstlicher Stoff – echte Zellen
Scheiden körpereigene Bauteile aus, bleiben heute meist nur Prothesen aus hoch inerten Kunststoffen: Polytetrafluorethylen (PTFE, das Teflon® der Bratpfannen und Outdoor-Jacken) dient als Rohstoff für kleinere Gefäße. Neue Aorten und Arterien hingegen kann man gut aus Polyethylenterephthalat (PET) herstellen, einem Polymer, das ansonsten auch bei Getränkeflaschen und Fäden aller Art zum Einsatz kommt.
Jedoch hängt die Prognose einer OP auch von der Geometrie des neuen Blutgefäßes ab: Während nach fünf Jahren nahezu 90 Prozent aller großen Gefäßprothesen intakt ist, sieht es bei den kleineren Exemplaren unter sechs Millimetern Durchmesser weitaus schlechter aus. Hier liegt der Erfolg derzeit unter 50 Prozent. Um speziell bei kleinen Adern einen reibungslosen Blutfluss zu gewährleisten, kleiden Biologen diese mit Endothelzellen der Patienten aus. Eine bewährte Methode, nur kostet die Vorbereitung Zeit und Geld. Wissenschaftler der Berliner Charité experimentierten bereits 2005 erfolgreich mit einer körperfremden Zellschicht, die sie genetisch modifizieren konnten, so dass keine Abwehrreaktion mehr auftraten.
Ersatzteile aus Polymer-Werkstoffen haben dennoch ihre Kehrseiten. „Das Ersetzen der Aorta gelingt recht gut“, sagt der Gefäßchirurg Professor Dr. Hans-Hinrich Sievers vom Uniklinikum Schleswig-Holstein. „Aber die bisher verwendeten Kunststoffe sind nicht elastisch genug.“ Vielmehr ließen sich Implantate mit starren Rohren vergleichen, die Herz und Aortenklappen unphysiologisch belasteten. Doch hängt der Erfolg nicht nur von den physikalischen Eigenschaften des Implantats ab: Als eine der schwersten Komplikationen gelten Entzündungen – Beschichtungen mit Antibiotika blieben ohne Erfolg. Forscher um Dr. Theodosios Bisdas von der Medizinischen Hochschule Hannover entwickelte zusammen mit Kollegen eine Vorbehandlung der Implantate mit Bakteriophagen: Viren, die gezielt gegen Stämme von Staphylococcus epidermidis sowie gegen Pseudomonas aeruginosa wirken. Bei anderen Spezies versagt die Methode momentan noch.
Umgehungsstraße – selbst gebaut
Aber muss es immer ein Implantat sein? Wie Angiologen beobachten, versucht der Körper bei Verschlusskrankheiten gelegentlich, ein verstopftes Gefäß selbst zu umgehen. Dieser als Kollateralwachstum bezeichnete Vorgang lässt neue Verbindungen zwischen großen Koronararterien sprießen, ein Versorgungssystem, das im Notfall trotz akuten Myokardinfarkts den Blutfluss aufrecht erhält. Das zeigt auch eine aktuelle Studie mit 6529 Herz-Kreislauf-Patienten: Je mehr Kollateralen sich gebildet hatten, desto geringer war auch das Sterberisiko – hochgradig Vernetzte hatten eine um 36 Prozent geringere Mortalität. Was liegt näher, als dieses Verfahren auch therapeutisch einzusetzen?
Ein Wunschtraum, dem Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, Bad Nauheim, bereits vor Jahren nachgingen. Als Auslöser des Kollateralwachstums fanden sie vor allem hohen Druck durch das gestaute Blut im verengten Gefäß und damit verbunden eine Aktivierung des Endothels. Chemokine, also spezielle Signalproteine, locken dann wiederum Monozyten an, die laut den Max Planck-Forschern eine zentrale Rolle bei diesem Prozess haben: Stützgewebe löst sich auf, und eine Vielzahl von Zellen, die zum Wachstum erforderlich sind, werden zur Teilung angeregt. Genau hier setzten die Arbeiten an, als besonders viel versprechend zur Steuerung der Vorgänge erwiesen sich der Gefäßwachstumsfaktor VEGF, der Fibroblasten-Wachstumsfaktor FGF-2 sowie das Chemokin MCP-1. Dann der Sprung vom Tierversuch zum Patienten: Alle Tests verliefen enttäuschend – der Effekt blieb auf Placebo-Niveau oder war zu gering, um wirklich die Lebensqualität von Patienten zu verbessern. Jetzt laufen neue Studien mit dem Granulozyten-Kolonie stimulierende Faktor (G-CSF), einem anderen Peptidhormon.
Kollagenschläuche vom Fließband
US-Forscher setzen eher auf die Ersatzteillager-Strategie: Sie produzieren mit einem neuen Verfahren Blutgefäße quasi auf Vorrat und geben die Haltbarkeit gleich mit an: Ein Jahr sollen die guten Stücke in Kochsalzlösung stabil bleiben. Die Herstellung ist denkbar einfach: Alles beginnt mit dem Kunststoff Polyglykolsäure, aus dem sich künstliche Minischläuche produzieren lassen. Darauf siedeln sich in vitro Muskelzellen an, die fleißig Kollagene und andere Eiweiße herstellen. Im Zuge des zellulären Wachstums löst sich das Stützgerüst langsam auf. Dann geht es den Zellen chemisch an den Kragen, und übrig blieben kleine Kollagenschläuche. Bei Hunden und Pavianen funktioniert die Methode bereits, Abstoßungsreaktionen unterblieben in Ermangelung von Antigenen. Denkbar wäre deshalb, mit eigenen Muskelzellen vor einer größeren OP ausreichend Gefäßmaterial herzustellen. Doch bis zum Menschen ist der Sprung bekanntlich groß. Auch der mögliche Preis gibt zu denken, ist momentan von mehr als 15.000 US-Dollar pro Stück die Rede. Komplexere Systeme lassen sich am Stützgerüst ebenfalls nicht herstellen.
Gefäße aus dem Tintenstrahldrucker
Gabor Forgacs von der University of Missouri-Columbia, USA, einer der Pioniere auf diesem Gebiet, setzt eher auf Druckverfahren. Er baute erstmals Zellen ohne vorgefertigte Gerüste auf. Dabei arbeitete Forgacs mit Druckern, die drei Düsen hatten: zwei mit Hydrogel-Tinten für die Zellen und eine mit Trenngel, das sich nach getaner Arbeit enzymatisch entfernen lässt. Doch vor allem Verzweigungen und Hohlräume wie bei feinsten Kapillaren machten auch ihm Probleme.
Das gelang jetzt Wissenschaftlern der Fraunhofer Gesellschaft: Sie kombinierten mit dem BioRap-Verfahren 3D-Werkstofftechnik und Polymerwissenschaften, um entsprechende Gebilde herzustellen. Ausgehend von Modellen, bekannt von anderen Prozessen der Fertigung, bauten sie ihr biologisches Werkstück Schicht für Schicht mit dem Tintenstrahldrucker auf. Auch entwickelten sie spezielle „Tinten-Baukästen“ – mit unterschiedlichen Eigenschaften, um die Elastizität zu kontrollieren. Allein für feinste Kapillaren reichte das nicht aus. Die Vernetzung kurzer Moleküle zu langen Kunststoffketten ließ sich aber via Laser punktgenau steuern.
Um die Röhren biokompatibel zu machen, mussten nur noch verschiedene Proteine wie Heparin oder VEGF verankert werden. „Die Auskleidung ist wichtig, damit die Bestandteile des Blutes nicht kleben bleiben, sondern weitertransportiert werden“, sagt Privatdozent Dr. Günter Tovar, Projektleiter am Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. Damit soll die Besiedlung mit Endothelzellen sicher gestellt werden. Hier arbeiten die Fraunhofer-Forscher momentan an einem speziellen Bioreaktor, um diese bereits in vitro aufzubringen. Tovar: „Die einzelnen Techniken funktionieren schon und arbeiten momentan in der Testphase; der Prototyp für die kombinierte Anlage ist im Aufbau.“ Potenzial sehen die Forscher, um künstliche Organe aus der Retorte an den Kreislauf anzubinden, etwa bei Tierversuchen. Auch den Einsatz des Materials im Zuge von Bypass-OPs halten sie für wahrscheinlich.