Ob Emergency Room, Dr. House, Grey's Anatomy oder die gute alte Schwarzwaldklinik: Wenn Ärzteserien über den Bildschirm flimmern, werden die Zuschauer von einer Dramatik gefesselt, die sich all zu leicht auf ihr eigenes Leben übertragen lässt. Oder?
Im März 2009 titelte die Süddeutsche Zeitung „Machen Arztserien krank?“ und bezog sich dabei auf eine deutsche Studie, welche gezeigt hat, dass Patienten mit regelmäßiger Soaperfahrung aus dem Genre der Krankenhausserie vermehrt Angst (5 auf einer VAS von 0 bis 10, im Gegensatz zu 3,3) vor routinierten chirurgischen Eingriffen, wie Cholezystektomie, Leistenhernien, etc. haben. Dies wurde auf den realitätsverrückten Inhalt der Arztserien zurückgeführt, welcher bevorzugt die Dramatik des Ärztealltags propagiert. Ja, eine derartige Serie ohne mindestens eine Entscheidungsfindung auf Leben und Tod befriedigte auf lange Sicht offensichtlich nicht das Sensationsbedürfnis des hospitalen Seifenoperliebhabers. Diese Erfahrung ist umgesetzt und perfektioniert in dem gekonnten Verhältnis aus Laien – unverständlichen Fachtermini und crescendo – artiger Dramatik wie „House M.D.“ (Dr. House) oder „Emergency Room“.
Was in diesen Serien aber absolut fehlt beschreibt der langweilige und für 45minuten Serien absolut überflüssige Begriff der Routine. Der Mittelweg. Serien bewegen sich in Extremen, Tod oder Heilung, Action und Drama. Dies kommt sicherlich auch mal im Krankenhaus vor, ist aber natürlich nicht die Regel. Dies ist bisweilen auch verständlich, niemand möchte sehen, wie Chirurg Prof. Brinkmann in der Visite bei 15 Patienten Redon-Drainagen begutachtet oder nachmittags Arztbriefe der Privatpatienten korrigiert. Das dem unwissenden aber potentiellen Patienten aufgedrängte ärztliche Bild ist damit geprägt von Extremen. Dies schürt Ängste wie oben beschrieben, entwickelt aber auch ein stereotypisches und idealisiertes Arztbild: Neben aufwühlender Dramatik erwartet der Zuschauer auch die von Hollywood adaptierte Happy–End bedingte Katharsis, was im Klartext bedeutet, der Serienarzt heilt jeden.
Frustrierende Revision
Die Rate erfolgreicher Reanimation ist in Serien beispielsweise signifikant höher als die in der Literatur (ca. 80% vs. 40%), vom Outcome erst gar nicht zu reden. Diese sorgenfreie Einstellung muss zwangsläufig im Alltag frustrierend revidiert werden, wenn das medial – idealisierte Arztbild in der Realität nicht aufrechterhalten werden kann. Allerdings, und das muss man als (angehender) Arzt den Serien löblich anerkennen: Auch wenn das Ärztebild im Verlauf des Krankenhausaufenthaltes bei Serienerfahrenen dadurch nach unten korrigiert wird, so ist es bei den „Vielsehern“ trotzdem immer noch positiver als bei „Wenigsehern“.
Welche konkreten Folgen diese Diskrepanz neben der Erwartungshaltung des Patienten und die Gesprächsführung des Arztes für die aktuelle oder zukünftige therapeutische Beziehung bedeutet, bleibt schwer abzuschätzen. Wesentliches Problem ist der Anspruch des Patienten auf eine informierte Einwilligung zu einer therapeutischen Strategie, wobei wohlmöglich unrealistische Hoffnungen oder Erwartungen analog zur Serienerfahrung die realistischen Möglichkeiten überlagern. Vielleicht ist es daher ohne Rücksicht auf die Filmindustrie gut zu heißen, dass die Euphorie der Bevölkerung für Arztserien seit den 90ern kontinuierlich abnimmt, weshalb der Einfluss generell in Zukunft wohlmöglich zu schwinden scheint.