Männer erkranken seltener an entzündlichen Krankheiten als Frauen. Über die Gründe konnte nur spekuliert werden. Forscher haben entdeckt, auf welche Weise das männliche Sexualhormon die Botenstoff-Produktion hemmt und so vor Entzündungen schützen könnte.
Das männliche Sexualhormon Testosteron macht den Unterschied: Männer sind in der Regel muskulöser als Frauen, haben eine tiefere Stimme und stärkere Körperbehaarung. Und Männer leiden deutlich seltener an entzündlichen und allergischen Erkrankungen als Frauen. “Rheumatoide Arthritis, Schuppenflechte oder Asthma trifft mehrheitlich Frauen“, sagt Professor Oliver Werz von der Universität Jena. Obwohl dies bereits seit längerem bekannt ist, waren die Ursachen dafür bisher unklar. Wie der Jenaer Lehrstuhlinhaber für Pharmazeutische und Medizinische Chemie und sein Team in einer Studie zeigen konnten, spielt Testosteron dabei anscheinend eine wichtige Rolle. Das berichten die Forscher in der Fachzeitschrift FASEB Journal.
In ihren Experimenten untersuchte das Team um Werz das Blut von weiblichen und männlichen gesunden Probanden. Genauer unter die Lupe nahmen sie dabei Monozyten, die bei Infektionen die Fähigkeit besitzen, in das betroffene Gewebe einzuwandern. Ebenso sind diese Blutzellen in der Lage, Botenstoffe freizusetzen, die dazu dienen, Entzündungen zu fördern. Die Forscher stellten dabei fest, dass Monozyten aus dem Blut von weiblichen Testpersonen deutlich größere Mengen an Entzündungsmediatoren aus der Klasse der Leukotriene produzierten als ihre Pendants aus dem Blut der männlichen Probanden. “Monozyten, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Entzündungen spielen, reagieren bei Männern und Frau sehr unterschiedlich”, erklärt Werz.
Testosteron hemmt Enzym
Um den molekularen Ursachen dieser Unterschiede auf den Grund zu gehen, testeten Werz und seine Mitarbeiter im Reagenzglas die Aktivität von Enzymen, die in den Monozyten für die Produktion der entzündungsfördernden Substanzen verantwortlich sind. Dabei entdeckten sie, dass in Zellen von männlichen Testpersonen das Enzym Phospolipase D weitaus weniger aktiv war als in den weiblichen Monozyten. “Wir hatten die Idee, dass die geschlechtspezifischen Differenzen vielleicht durch das männliche Sexualhormon Testosteron verursacht werden”, sagt Werz. Als er und sein Team anschließend Monozyten von weiblichen Studienteilnehmern mit Testosteron behandelten, konnten die Forscher beobachten, dass die Aktivität von Phospholipase D abnahm und infolgedessen auch weniger Leukotriene hergestellt wurden.
Momentan gehen die Forscher einen Schritt weiter und schauen nach, ob sich im lebenden Organismus der gleiche Mechanismus findet wie im Reagenzglas. Sie konnten bereits zeigen, dass weibliche Ratten bei einer Entzündung wesentlich mehr Leukotriene herstellten als männliche Tiere. Als Werz und seine Mitarbeiter den Weibchen Testosteron verabreichten, ging die Produktion des Entzündungsmediators wie erwartet deutlich zurück. Einen ähnlichen Effekt vermutet Werz bei Männern mit Testosteronmangel, die nach einer Behandlung mit dem männlichen Sexualhormon seltener an chronischen Entzündungen leiden.
Substanz ohne androgene Wirkungen gesucht
Noch sind nicht alle molekularen Details bekannt, wie es Testosteron gelingt, die Produktion von Leukotrienen zu drosseln. Zwar weiß man, dass Phospholipase D von einem Enzym namens ERK inaktiviert werden kann und ERK von Testosteron dafür stimuliert wird. Allerdings ist noch unklar, auf welche Weise Testosteron zur Aktivierung von ERK führt. Werz und sein Team versuchen zurzeit herauszufinden, welche Moleküle daran beteiligt sind. Erst dann, findet Werz, sei es möglich, Substanzen zu entwickeln, die genau diesen Mechanismus unterbinden und dadurch die Leukotrien-Synthese verhindern könnten, ohne jedoch die androgenen Nebenwirkungen von Testosteron aufzuweisen. Um die Suche nach solchen Wirkstoffen voranzutreiben, steht Werz in intensiven Gesprächen mit möglichen Kooperationspartnern.
Auch andere Wissenschaftler überzeugt die Veröffentlichung von Werz und seinen Mitarbeitern: “Das sind interessante Ergebnisse, die belegen, dass Geschlechtshormone die Produktion von Entzündungsmediatoren regulieren”, sagt Professor Hartmut Kühn, stellvertretender Direktor des Instituts für Biochemie an der Berliner Charité. “Allerdings müssten die mechanistischen Einzelheiten noch genauer entschlüsselt werden, ehe man Medikamente entwickeln könnte, die in diesen Signalweg gezielt eingreifen.” Auch, so Kühn, sei die Entzündung ein komplexes Krankheitsbild, bei dem neben den Leukotrienen auch andere Mediatoren bedeutsam seien. Deshalb sollte man noch genauer erforschen, bei welchen entzündlichen Krankheiten Leukotriene eine dominierende Rolle spielen.
Zu wenig Frauen in klinischen Studien
Die Ergebnisse der Jenaer Wissenschaftler könnten nicht nur die Entwicklung von neuen Medikamente gegen Entzündungskrankheiten ermöglichen, sondern auch das Design von klinischen Studien beeinflussen. „Nach wie vor ist es in aller Regel so, dass in klinischen Studien Wirkstoffe vor allem an männlichen Probanden getestet werden”, sagt Werz. “Insbesondere bei entzündlichen Erkrankungen lassen sich die an männlichen Versuchspersonen gewonnenen Ergebnisse nicht direkt auf Frauen übertragen.” Wichtig, so Werz, wäre deswegen eine jeweils maßgeschneiderte Therapie für Männer und Frauen. Das setze jedoch voraus, dass neue Arzneimittel schon frühzeitig an weiblichen Studienobjekten erprobt würden.