Der Wettkampf unter den Spermien auf den Weg zur Eizelle ist hart. Urologen fanden heraus, dass die Samenzellen sich nicht nur nach dem Samenerguss behaupten müssen, sondern bereits davor selektiert werden. Die eigenen Fresszellen sortieren die erste Auswahl nämlich selbst.
Von Millionen männlicher Samenzellen im Sperma, die sich zur Befruchtung auf den Weg zur Eizelle machen, wird nur eine einzige ihr Ziel erreichen und mit ihr verschmelzen. Dabei gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Gut, wenn unliebsame Konkurrenz dabei auf der Strecke bleibt. Wissenschaftler der Universität Ulm und der University of California San Francisco (UCSF) haben herausgefunden, dass klebrige Eiweiß-Fäden unbrauchbare und beschädigte Spermien „einfangen“ und damit deren Entsorgung durch die weibliche Immunabwehr erleichtern. Dies verschafft der gesunden Konkurrenz möglicherweise einen entscheidenden Vorteil im Kampf um die biologische Pole-Position beim Sperma-Rennen zur weiblichen Eizelle.
Diese „Spermien-Fallen“ bestehen aus so genannten Amyloid-Fibrillen. Das sind faserartige Gebilde aus fehlgefalteten Proteinen, die sich zu „klebrigen“, unlöslichen Eiweiß-Aggregaten verbinden. „Bisher war von diesen klebrigen Eiweißstäbchen im Sperma nur bekannt, dass sie als HIV-Verstärker wirken, indem sie die Anheftung der AIDS-Erreger an die Zielzellen erleichtern“, erklärt Professor Jan Münch vom Ulmer Institut für Molekulare Virologie, der gemeinsam mit Institutsleiter Professor Frank Kirchhoff die AIDS-fördernde Wirkung dieser Amyloid-Fibrillen im Sperma vor 10 Jahren aufgedeckt hat. „Weil Amyloid-Fibrillen aber auf natürliche Weise im Sperma vorhanden sind, haben wir schon damit gerechnet, dass sie eine gewisse Rolle bei der Fortpflanzung spielen könnten. Das konkrete Ergebnis hat uns dann allerdings doch sehr überrascht“, sind sich die Wissenschaftler einig. Gemeinsam mit seinen kalifornischen Forschungskollegen ist Münch nun einer natürlichen biologischen Funktion dieser Eiweiß-Fäden auf die Spur gekommen. „Wir konnten mit unserer Forschung nachweisen, dass im Sperma vorkommende Amyloid-Fibrillen beschädigte und überflüssige Spermien an der Fortbewegung hindern. Die unbrauchbaren Samenzellen werden festgehalten und schließlich von den Makrophagen, den Fresszellen des Immunsystems, verzehrt und somit beseitigt“, erklärt Nathallie Sandi-Monroy.
Des Weiteren sorgen die Amyloid-Fibrillen wohl auch dafür, dass überschüssiges Sperma, das für die Fortpflanzung nicht geeignet ist, oder nicht mehr gebraucht wird, schneller abgebaut werden kann. Denn für den weiblichen Organismus sind männliche Samenzellen vor allem eines: Fremdkörper und Eindringlinge mit hohem Antigen-Potential, die das Immunsystem herausfordern und daher nach dem Befruchtungsakt so schnell wie möglich zu beseitigen sind.
„Mit unseren Ergebnissen konnten wir außerdem nachweisen, dass Amyloid-Fibrillen, die bislang nur als Auslöser von Krankheiten bekannt sind, auch wichtige biologische Funktionen im Organismus erfüllen können“, betont Professor Warner C. Greene und weist in diesem Zusammenhang auf Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder sogenannte Amyloidosen hin. Der Direktor des Gladstone Instituts für Virologie und Immunologie an der University of California San Francisco (UCSF) ist gemeinsam mit dem Ulmer Professor Jan Münch für die wissenschaftliche Leitung der Studie verantwortlich. Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm. Quelle: Semen amyloids participate in spermatozoa selection and clearance Nadia R Roan et al.; eLife, doi: 10.7554/eLife.24888; 2017