Anfang Januar 2012 wird ein weiteres Erdbeben in Form des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) den Gesundheitssektor erschüttern. Diesmal ist der pharmazeutische Großhandel im Visier. Bleibt es auch künftig bei der Vollversorgung?
Alles begann mit der ersten Phase des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) im Januar 2011. Apotheken müssen seit diesem denkwürdigen Datum Zwangsrabatte entrichten, und auch der Großhandel wird zur Ader gelassen. Hier sieht das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als Übergangslösung einen Abschlag von 0,85 Prozent vor.
Den schwarzen Peter weitergereicht?
Einigen Grossisten war das zu viel. Deren Vertreter kündigten an, Belastungen an Apotheken weiterzureichen. Einkaufskonditionen verschlechterten sich drastisch – interessanterweise ebenfalls um bis zu 0,85 Prozentpunkte. Und neue Abgaben waren schnell erfunden, diese sollen zusätzlich Geld in die Kassen spülen, etwa bei Telefonanfragen. Auch Liefergebühren bzw. Mindestbestellmengen belasten Apotheken zusätzlich. Die Apothekerschaft ist erzürnt, und Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands (DAV), sprach bereits vor Einführung des AMNOG von einem „maßlosen Auftritt des Großhandels“ sowie von „Zahlenspielen des Phagro“. Dem widerspricht der so gescholtene Großhandelsverband und führte eine um 67 Millionen Euro gesunkene Marge an.
Großhandel großräumig umgangen
Doch die Apothekerschaft schlägt zurück: Laut einer Umfrage wären 62 Prozent nicht abgeneigt, vor allem umsatzstarke Präparate ohne Umweg beim Hersteller zu beziehen – vorausgesetzt, dass die Konditionen stimmen. Noch sind vor allem hochpreisige Medikamente attraktiv im Direktbezug, können sich Pharmafirmen und Apotheker die Großhandelsmarge quasi aufteilen. Bereits im nächsten Jahr könnte es aber zum Erdrutsch kommen: Vorgesehen ist ein nicht rabattfähiger Fixzuschlag von 0,70 Euro pro Packung. Hinzu kommen 3,15 Prozent als prozentuale Vergütung, hier gäbe es Spielraum für alle Beteiligten. Und plötzlich entpuppen sich auch preisgünstige, aber umsatzstarke „Schnelldreher“ als interessant für den Einkauf ab Fabrik.
Vollversorgung war gestern
Aus dieser „Rosinenpickerei“ könnte sich schnell eine handfeste Katastrophe entwickeln, sollten Großhändler ihrer Rolle als bundesweite Vollversorger nicht mehr nachkommen – profitieren werden davon letztlich alle öffentlichen Apotheken: Im Gegensatz zum Versandhandel können sie nahezu jedes Präparat innerhalb weniger Stunden über Grossisten besorgen. Deren Branchenverband lamentiert: „Seit der Halbierung der Großhandelsspanne im Jahr 2004, der Einführung des Großhandelsabschlags 2011 und der Änderung der Arzneimittelpreisverordnung zum 1. Januar 2012 ist die Großhandelsmarge im verschreibungspflichtigen Bereich stetig gesunken“, so Phagro-Chef Dr. Thomas Trümper. Sparmaßnahmen, die der Großhandel leisten müsse, belasteten zwangsläufig auch die Apotheken.
Eine Runde Monopoly
Immer mehr kleine Unternehmen werfen das Handtuch. Kapferer etwa wurde 2008 von NOWEDA geschluckt, wohlgemerkt mit Zustimmung des Bundeskartellamts. Ein Jahr später hatte Sanacorp den Großhändler von der Linde übernommen, und damit seine Vormachtstellung in Nordrhein-Westfalen weiter festigen können. Wiederum gaben Behörden grünes Licht, dieses Mal sogar die EU-Kommission. Ulrich von der Linde, einer der ehemaligen Inhaber, sprach enthusiastisch von „bundesweiter Präsenz“. Kunden hätten „neben neuen Leistungsangeboten auch die Möglichkeit, sich an einem der größten Pharmagroßhändler Deutschlands zu beteiligen.“ Apotheker sehen das anders, gerade in NRW: Die Rede ist von Monopolisierung, von Marktbeherrschung durch die „big five“ Andreae-Noris Zahn, Celesio/Gehe, NOWEDA, Phoenix und Sanacorp. Doch regional gibt es noch Konkurrenz: Lutz Geilenkirchen etwa, Chef des privaten Großhändlers Otto Geilenkirchen, hält an seiner Selbstständigkeit fest. „Keine Form der Monopolisierung ist kundenorientiert“, sagt er. „Wir haben bereits ein Oligopol, eine weitere Konzentration ist sicher für die Apotheken alles andere als positiv.“ Allerdings kann er lediglich Gebiete um Aachen und Mönchengladbach versorgen, ein Problem, das viele kleinere Firmen haben. Wie lange sie damit noch durchhalten, ist eine andere Frage.
Keine Extrawürste
Umso lauter wird deren Forderung, großhandelsfeindliche Passagen des AMNOG zu überarbeiten. Das Regelwerk verbietet etwa nicht, Rabatte aus dem Fixzuschlag zu geben, sollten Apotheken direkt bei pharmazeutischen Firmen einkaufen. Jens Spahn (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der Union, stellte sich jetzt klar hinter die Großhändler: „Wir wollen, dass das Rabattverbot für den Fixzuschlag von 70 Cent auch im Direktvertrieb durch die Hersteller gilt.“ Preisnachlässe wären nur beim variablen Teil, sprich besagten 3,15 Prozent, möglich. Dennoch sträubt sich das BMG, Regelungen in das Arzneimittelgesetz oder die Arzneimittelpreisverordnung aufzunehmen – laut Ministerium sei dies ohnehin nicht erforderlich: Als Großhändler werde schon tätig, wer gewerbemäßig in großem Stil Arzneimittel beschaffe, lagere oder ausführe – also pharmazeutische Hersteller oder auch Apotheken. „Daher gelten der Großhandelszuschlag einschließlich des Rabattverbots nach Paragraph 2 Arzneimittelpreisverordnung für alle Unternehmen, die Großhandelsfunktionen ausüben.“
Darin sehen Experten aber keineswegs den Todesstoß für jegliche Form des Direktgeschäfts. Vor allem Generikahersteller könnten, trotz des Fixzuschlags von 70 Cent, künftig ihre Marge durchaus verbessern. Und OTCs seien laut dem Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) ohnehin nicht betroffen, selbst wenn diese ausnahmsweise auf Kassenrezept abgegeben würden. Bei deren Abrechnung gelte die neue Arzneimittelpreisverordnung nicht, und „schon gar nicht die neue Großhandelshonorierung“, so der BAH.
Währungsreform im Warenlager
Mittlerweile sind die Tage bis zur Umstellung des Großhandelsabschlags gezählt. In der Silvesternacht wird es dann im wahrsten Sinne des Wortes knallen: Wer sein Lager noch gefüllt hat, muss ab 1. Januar alle Medikamente nach den neuen Vorgaben veräußern. Davon profitieren Kollegen, die größere Bestände an „Schnelldrehern“ vorrätig haben, winken immerhin 70 Cent Pauschale pro Packung. Anders sieht es bei hochpreisigen Präparaten aus: Hier drohen Verluste, ist die Höchstgrenze des Großhandelshonorars künftig bei 38,50 Euro statt bei 72 Euro. Laut Experten können quasi über Nacht bis zu vierstellige Eurobeträge über den Jordan gehen. Viele Apotheker kündigten bereits an, ihre Vorräte zu bereinigen sowie Möglichkeiten der direkten Bestellung für 2012 auszuloten.