Krebs: eine Diagnose, die Patienten gänzlich aus dem Gleichgewicht bringt. Psychoonkologische Strategien helfen Betroffenen wieder auf den richtigen Weg und schützen vor Scharlatanen mit dubiosen Heilversprechen.
Steve Jobs, einstiges Superhirn von Apple, verhielt sich nicht gerade genial, als bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde: Er leugnete das Leiden schlicht und ergreifend. Therapeutisch wäre anfangs viel zu machen gewesen, handelte es sich bei seiner Krankheit um einen neuroendokrinen Tumor, für den mittlerweile etliche Therapiestrategien existieren. Anstatt aber ohne Umschweife mit der Behandlung zu beginnen, entschied sich Jobs für einen ganzheitlichen, makrobiotischen Ansatz – und verlor wertvolle Monate, in denen Onkologen viel hätten erreichen können.
Patienten in Schockstarre
Dabei begann es für den Apple-Guru nicht einmal so schlecht: Jobs´ Krebserkrankung wurde mehr oder minder zufällig entdeckt, aber dennoch in einem frühen Stadium. Als sich der Apple-Chef wegen Nierensteinen untersuchen ließ, fanden Kollegen entsprechende Hinweise auf einen neuroendokrinen Tumor. Ihre gute Nachricht: „Das ist eines von diesen langsam wachsenden Pankreaskarzinomen, die tatsächlich geheilt werden können.“ Jobs aber entschied sich gegen OP und Chemo. Vielmehr versuchte er, das Leiden mit Diäten zu behandeln, wandte sich an spirituelle Heiler und testete makrobiotische Ansätze. Neun Monate später hatte sich das Tumorgewebe stark ausgebreitet. „Wie konnte ein so kluger Mann nur derart dumm sein“, fragen jetzt etliche Journalisten.
Doch die Lüge war damit noch nicht zu Ende: Monatelang erzählte der Apple-Star in diversen Interviews, er sei geheilt worden – und machte anderen Patienten vermeintliche Hoffnung. Die Leute glaubten das – wollten das glauben, bis Jobs´ Leiden nicht mehr zu übersehen war. Charismatischer Marketing-Star auf der einen Seite und unfähig, öffentlich über seine Krankheit zu sprechen auf der anderen, so das Fazit der Presse. Dann gab es kein Zurück mehr: Eine Lebertransplantation, notwendig aufgrund zahlreicher Metastasen, galt als letzte Chancen. Steve Jobs stand auf Platz eins der Warteliste am Methodist University Hospital in Memphis, so schwer war seine Krankheit. Mittelfristig hatten seine Chirurgen Erfolg, dennoch starb er am 5. Oktober 2011.
Die Seele leidet, und die Therapie gleich mit
In weiten Zügen ist Steve Jobs´ Leidensgeschichte nicht ungewöhnlich: Kollegen berichten nach Krebsdiagnosen von existenziellen Bedrohungsängsten – Patienten verlieren den Boden unter den Füßen, verspüren Angst, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Wut. Andere wiederum verdrängen ihr Leiden komplett. Sicher haben sich Ärzte geirrt, wurden Proben oder Daten vertauscht, heißen landläufige Schutzbehauptungen. Und manch einer flüchtet in die Hände vermeintlicher Heilkundiger mit alternativen Therapieversprechen. Auch die Umwelt reagiert oft völlig falsch: „Selbst schuld“, lauten lapidare Sprüche bei Patienten mit Lungenkrebs („Das kommt vom vielen Rauchen“) oder Leberkarzinomen („Hätten Sie weniger getrunken“). Geholfen ist den Betroffenen damit reichlich wenig, versinken sie immer mehr in einem schwarzen Loch.
Profis im Gespräch
Psychoonkologen können hier viel ausrichten, sie befassen sich mit seelischen und sozialen Folgen von Krebserkrankungen. „Wichtige, häufig wiederkehrende Themen sind zum Beispiel das Überbringen schlechter Nachrichten in allen Phasen von Krebserkrankungen, die Angst der Patienten vor bestimmten Therapieformen oder der Umgang mit Sterben und Tod“, weiß Privatdozentin Dr. Monika Keller von der Uni Heidelberg. Das lässt sich gezielt trainieren, etwa im Rahmen des Projekts „Unterstützung und Optimierung der Arzt-Patient-Beziehung durch strukturierte Fortbildung und Training kommunikativer Kompetenz von onkologisch tätigen Ärzten“ (KoMPASS). Und der Bedarf wäre da: Mindestens jeder dritte Krebspatient bräuchte eine entsprechend Unterstützung. Geschulte Therapeuten können beispielsweise Diagnose und Therapie patientengerecht erklären, Hilfen bei Entscheidungen geben und natürlich individuelle Ressourcen aktivieren, um die seelische Widerstandskraft der Betroffenen erhöhen. Gute Erfolge zeigen auch etablierte Methoden wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson oder Techniken des autogenen Trainings. Auch heikle Themen – wie erkläre ich meine Krankheit den Kindern, wie ist der Umgang mit der Sexualität in einer Partnerschaft – kommen zur Sprache. Problematisch bleibt einzig und allein die Finanzierung – nicht alle Kostenträger erstatten entsprechende Leistungen. Dennoch wäre dies bei Diagnosen wie „reaktiver Depression“ oder „gravierender Anpassungsstörung“ durchaus möglich.
Therapietreue unter ferner Liefen
Selbst wenn Krebspatienten die Krankheit – und somit auch die Therapie – akzeptieren, kommt das nächste Problem. Viele nehmen ihre Medikamente nicht regelmäßig beziehungsweise nicht richtig ein, erinnert doch jede Tablette wieder an den Tumor im eigenen Körper. Auch lassen unerwünschte Wirkungen die Therapietreue sinken. „In Studien schauen wir immer nur nach Grad 3/4-Nebenwirkungen“, sagt der Onkologe Dr. Manfred Welslau aus Aschaffenburg – Grund genug für einen sofortigen Abbruch der Chemotherapie (Grad 3) bzw. für die stationäre Einweisung (Grad 4). „Aber gerade für die Dauertherapie spielen erst- und zweitgradige Nebenwirkungen ebenfalls eine entscheidende Rolle.“ Diese führen schnell zu den berüchtigten „Arzneimittelferien“. Auch fehlt das kurzfristige Erfolgserlebnis der Pharmakotherapie, wie es Patienten von Antibiotika oder Analgetika kennen. Deshalb suchen sie häufig alternativmedizinischen Rat, ohne den behandelnden Onkologen zu informieren. Bessere Kommunikation von Nutzen und unerwünschten Wirkungen der Pharmakotherapie kann helfen, will aber sorgsam dosiert sein: Beim Erstgespräch schalten Patienten bereits nach einer viertel Stunde ab, mehr bringt einfach nichts. Experten raten zu Folgeterminen, unter anderem auch mit speziell geschulten Krankenschwestern – hier scheinen für viele Betroffenen die Hemmungen, Fragen zu stellen, weitaus geringer zu sein. Das erhöht die Therapietreue, und Patienten greifen seltener nach vermeintlichen Strohhalmen aus Komplementär- oder Alternativmedizin.
Schulmedizin: alternativlos
Während die Komplementärmedizin sich als Ergänzung etablierter Therapieverfahren sieht, gehen alternativmedizinische Verfahren oft ganz eigene Wege. Gut ist die Studienlage aber auch bei der Komplementärmedizin nicht: Studien zur häufig eingesetzten Akupunktur gegen Übelkeit, Erbrechen und Tumorschmerzen überzeugen nicht alle. Und standardisierte Mistelpräparate scheinen zwar einen Nutzen bei Fatigue oder Schmerzen zu zeigen, auch hier fand eine Cochrane-Metaanalyse teilweise methodische Schwächen. Kontrovers werden in diesem Zusammenhang auch Mikronährstoffe diskutiert: Antioxidantien etwa haben je nach Studie keinen Einfluss auf die Zerstörung des Tumors oder schwächen die Wirkung der Chemo- und Strahlentherapie ab. Das Problem dahinter: Zulassungsbehörden untersuchen Nahrungsergänzungsmittel – anders als Arzneimittel – nicht auf ihre Wirkung hin, auch nicht bei Tumorerkrankungen. „Damit ist aber auch der Stellenwert solcher Produkte in der Krebsvorbeugung oder Krebsbehandlung eindeutig definiert – eine Rolle spielen Nahrungsergänzungsmittel hier auf keinen Fall“, schreibt der Krebsinformationsdienst. Für Steve Jobs kommt die Erkenntnis freilich zu spät.