Epigenetische Veränderungen der DNA gehen einem Typ 1 Diabetes Jahre voraus. Doch was bedeutet das für die Praxis und für Personen mit erhöhtem Risiko? Das epigenetische Muster lässt sich durch Ernährung beeinflussen, doch Prävention ist derzeit noch nicht möglich.
In Deutschland leiden zwischen sechs und acht Millionen Menschen an Diabetes, 12% der 20- bis 79-Jährigen. Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass der Entwicklung einer Typ 1 Diabetes mellitus epigenetische Veränderungen der DNA vorausgehen, die nach Vermutung der Forscher bereits im Mutterleib etabliert werden. Prof. Dr. Bernhard Böhm von der Universität Ulm, der seit 20 Jahren mit Biomaterialien eine Biodatenbank aufgebaut hat und damit nun solche breit angelegten Untersuchungen durchführen kann erklärt: „Wir haben jetzt krankheitsspezifische Muster erkannt und wissen genau, was in den Zellen passiert. In unserem Fall heißt das: Ist ein bestimmtes Methylierungsmuster vorhanden, folgt in zehn bis 15 Jahren der Diabetes“.
Daher, so folgert er, müsste die Prävention bereits in einer viel früheren Phase beginnen, sinnvollerweise bereits im Mutterleib. Präventivmaßnahmen bei Schwangeren durchzuführen erscheint auch deshalb sinnvoll, weil nach neueren Schätzungen künftig etwa 20% aller Schwangeren einen Gestationsdiabetes entwickeln werden. Der erstmals in der Schwangerschaft auftretende Diabetes bleibt häufig unerkannt, da der orale Glucosetoleranztest (oGTT) zur Feststellung einer gestörten Glukoseverwertung nicht Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien ist und daher von den meisten gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen wird. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Die Folgen für die Mutter und das Kind können jedoch weitreichend sein. Totgeburten und Geburtskomplikationen durch große Kinder sind nur die augenscheinlichsten. Doch haben Kinder von Müttern mit Diabetes mellitus in der Schwangerschaft später ein erhöhtes Risiko, Übergewicht bis hin zu Adipositas sowie Störungen des Glukosestoffwechsels zu entwickeln. Nach Ergebnissen der KIGGS-Studie sind etwa 15% der 3- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen übergewichtig, 6,3% adipös. Ob darunter besonders häufig Kinder sind, deren Mütter einen Gestationsdiabetes hatten, ist nicht bekannt. Für die Mutter selbst steigt das Risiko, an einem Typ 2 Diabetes zu erkranken an, wenn ein Diabetes in der Schwangerschaft nicht erkannt und behandelt wurde.
Doch selbst wenn eine engmaschige Prävention bei Schwangeren oder Kindern durchgeführt würde, um epigenetische Veränderungen als Vorboten eines Typ 1 Diabetes zu entdecken, bleibt der Wehrmutstropfen, dass das Auftreten der Krankheit bisher nicht gezielt verhindert werden kann: die Methylierungsmuster der DNA können zwar verändert werden, doch unter welchen Umständen der Körper das macht, und ob das Problem damit behoben ist, ist derzeit noch unklar.
Zwillingsforschung und Epigenetik: eine interessante Kombination
Epigenetik wird heute meist definiert als „Studium der erblichen Veränderungen in der Genomfunktion, die ohne eine Änderung der DNA-Sequenz auftreten“. Diese Modifikationen erfolgen einerseits durch Methylierungen von Basen der DNA und andererseits durch Veränderungen von Histonen durch Azetylierung, Phosphorylierung, Ubiquitinierung und Methylierung. Das Chromatin wird dadurch teilweise umstrukturiert und die Zugänglichkeit der DNA-Abschnitte bzw. einzelner Gene beeinflusst.
Die Transkription der Gene wird verstärkt oder abgeschwächt, so dass sich zwangsläufig Folgen für den Phänotyp ergeben. Interessanterweise können diese Modifikationen in einigen Fällen an die Tochtergeneration vererbt werden, obwohl die Basenfolge der DNA nicht verändert wurde. Zu den wichtigsten und bekanntesten Formen der epigenetischen Genregulation zählen die X-Inaktivierung und das genomische Imprinting. Bei der X-Inaktivierung wird in weiblichen Säugern eines der beiden vorhandenen X-Chromosomen nach der Befruchtung durch epigenetische Modifikationen so verpackt, dass die Gene darauf praktisch nicht mehr abgelesen werden können. Beim genomischen Imprinting werden Gene abhängig von der elterlichen Herkunft stillgelegt. Die X-Inaktivierung, das genomische Imprinting sowie alle weiteren epigenetischen Prozesse sind reversibel. Eine genomweite Demethylierung findet während der Gametogenese statt; vor der Konzeption erfolgt eine Methylierung. Während der frühen Embryonalentwicklung erfolgt eine zweite Demethylierung; nach der Implantation der Blastozyste in die Gebärmutter eine erneute Methylierung.
In den letzten Jahren konnten Forscher vermehrt zeigen, dass bestimmte Krankheiten nicht (ausschließlich) durch Mutationen der DNA entstehen, sondern dass oftmals epigenetische Prozesse eine entscheidende Rolle spielen. So können Störungen im Imprinting zu Erkrankungen wie dem Beckwith-Wiedemann-Syndrom, dem Angelmann-Syndrom und dem Prader-Willi-Syndrom führen. Für die Aufklärung epigenetischer Wirkweisen und Einflussfaktoren in Bezug auf Krankheiten, sind Studien an monozygoten Zwillingen für Forscher sehr interessant. Da eineiige Zwillingspärchen die exakt gleiche genetische Zusammenstellung haben, sind unterschiedliche Ausprägungen von Merkmalen, beispielsweise Krankheiten, von besonderem Interesse. So wurde festgestellt, dass sich monozygote Zwillinge im Laufe ihres Lebens immer mehr im Methylierungsmuster unterscheiden. Für rheumatoide Arthritis, Schizophrenie, die bipolare Störung oder das bereits erwähnte Beckwith-Wiedemann-Syndrom konnten anhand ähnlicher Vergleiche epigenetische Faktoren identifiziert werden, die zur Ausprägung dieser Krankheiten beitragen.
Die Ernährung beeinflusst die DNA-Methylierung
Die größte Schwierigkeit der Untersuchung epigenetischer Zusammenhänge besteht darin, dass die epigenetischen Modifikationen über die Zeit oder durch bestimmte Umwelteinflüsse geändert werden können. Methylierungsprozesse sind beispielsweise stark abhängig von der Verfügbarkeit der Methylgruppen und Kofaktoren. Methylgruppendonatoren für den menschlichen Stoffwechsel sind vor allem Vitamin B12, Folsäure und die Aminosäure Methionin. Daher ist die Ernährung ein großer Einflussfaktor, der sich jedoch relativ schnell verändern kann. Die Steuerung der Transkriptionsprozesse ist folglich äußerst dynamisch und man kann oftmals nicht feststellen, ob eine epigenetische Modifikation das Auftreten einer Krankheit begünstigt hat oder nicht, ganz einfach darum, weil sie vielleicht vorher noch nicht vorhanden war oder inzwischen schon wieder verschwunden ist. Die möglichen Ursachen für die Entstehung vieler Krankheiten sind demnach wesentlich größer, als bisher gedacht.
Um die Vorgänge dennoch möglichst umfassend zu verstehen und zukünftig für die Prävention, Diagnose oder Therapie von Erkrankungen nutzen zu können, wurde das „International Human Epigenome Consortium“ mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Epigenome aller menschlichen Zellen zu ermitteln. Anfang Oktober ist das erste europäische Projekt innerhalb des Consortiums gestartet worden. Mit 30 Millionen Euro fördert die europäische Kommission das Blueprint-Projekt. Es soll der Fragestellung nachgehen, welche Rolle die epigenetischen Modifikationen bei der Entstehung von Krankheiten wie Leukämie und Typ-1 Diabetes haben und wie sich daraus neue Targets für Medikamente entwickeln lassen. „Das Blueprint-Projekt verfolgt das Ziel, genetische Informationen in funktionelle Biologie zu übersetzen“, erklärt Professor Jörn Walter von der Universität des Saarlandes. Dieses Ziel gab es schon früher: nach der Entschlüsselung des gesamten menschlichen Erbguts Anfang dieses Jahrtausends. Man dachte, nun wo die Sequenz bekannt sei, könne jedem Gen „ganz einfach“ eine Funktion zugeordnet werden.
Heute sind die persönlichen Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Epigenom noch ungewiss, und voraussichtlich wird es noch Jahre dauern, bis die Erkenntnisse in Klinik und Alltag nutzbar sein werden. Dennoch scheint es nicht verkehrt zu sein, auf eine ausreichende Aufnahme von Vitamin B12 und Folsäure mit der Nahrung zu achten. Unserem Epigenom zuliebe.