Im Rahmen des Themenschwerpunktes „Jugendmedizin“ der 49. Jahrestagung der ÖGKJ warnten Kinder- und Jugendfachärzte vor dem negativen Einfluss von Computerspielen auf die Gesundheit von Kindern. Sie fordern verstärkte Schutzmaßnahmen.
„Laut einer Deutschen Studie aus dem Jahr 2009 (Rehbein-Studie) zeigen über 4% der Mädchen und fast 16% der Jungen ein exzessives Spielverhalten mit mehr als 4,5 Stunden täglicher Computerspielnutzung“, berichtet ÖGKJ-Tagungspräsident Univ.-Prof. Dr. Robert Birnbacher. 3% der Jungen und 0,3% der Mädchen werden als computerspielabhängig und weitere knapp 5% der Jungen und 0,5% der Mädchen als gefährdet diagnostiziert. Diese Zahlen seien auch auf österreichische Kinder und Jugendliche übertragbar.
Wie entsteht Computerspielabhängigkeit?
Die Entstehungsbedingungen von Computerspielabhängigkeit sind vielfältig und müssen in einem Zusammenspiel von Persönlichkeitsmerkmalen des Kindes/Jugendlichen und integralen Eigenschaften des Computerspieles selbst gesehen werden. „Ich möchte jedoch davor warnen, dass auch Spiele, die vom Erzeuger als für Kinder unbedenklich eingestuft werden, in zunehmendem Ausmaß beim kindlichen oder jugendlichen Anwender psychische Probleme verursachen“, so Birnbacher, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde im Landeskrankenhaus Villach. Der Suchtproblematik im Zusammenhang mit Computerspielen liegt, ähnlich wie bei anderen Suchterkrankungen, ein multifaktorielles Ursachenmodell zugrunde. Von Seiten der Persönlichkeit des Anwenders spielen neben motivationalen Aspekten auch Traumatisierungserlebnisse, Belastungsfaktoren und Eigenschaften der Persönlichkeit eine Rolle. Mitbestimmend sei jedoch auch die Wahl der Computer- und Videospiele, da diese im Spielformat, Belohnungsmodell, Sanktion von Misserfolgen, Zusammenschluss mit Zwischenspielern und Bindung an den eigenen Spielcharakter unterscheiden und somit auch unabhängig von der Person des Spielers eine verhaltensverstärkende Wirkung aufweisen.
Besonders das Computerspiel „World of Warcraft“ zeige dabei das deutlich größte Abhängigkeitspotential. Die tägliche Spieldauer beträgt bei Jungen nahezu vier Stunden, wobei 36% mehr als 4,5 Stunden pro Tag spielen. „20% der Jungen sind bereits abhängigkeitsgefährdet oder bereits abhängig“, warnt Birnbacher. Eine weitere Gefahr geht vom so genannten Cyberbullying aus. Dabei werden die Betroffenen online durch intime Fotos, Unwahrheiten, Beleidigungen oder Veröffentlichung persönlich gedachter Botschaften bloßgestellt und gedemütigt. Laut einer US-Studie sind bereits die Hälfte der amerikanischen Jugendlichen zwischen 14-24 Jahren Opfer von Cyberbullying geworden.
So äußern sich Computerspielabhängigkeiten
Die bestehenden, nachweisbaren Zusammenhänge zwischen Computerspielabhängigkeiten und psychosozialen Belastungsindikatoren belegen den Störungsbildcharakter dieser Abhängigkeit und zeigen Parallelen zu anderen Abhängigkeitserkrankungen. „Jungen entwickeln häufiger eine zeitlich exzessive Nutzung als auch eine psychische Abhängigkeit von Computerspielen als Mädchen“, warnt Birnbacher. Dies dürfte nach Studien darauf zurückzuführen sein, dass Jungen eine höhere Impulsivität und erhöhte Gewaltakzeptanz aufweisen. Jugendliche, welche eine Computerabhängigkeit aufweisen, zeigen häufiger Leistungseinbrüche in der Schule, vermehrt Fehlstunden, Schulschwänzen, Schulangst, Defizite im Erleben ihrer Selbstwirksamkeit und eine unregelmäßige Freizeitbeschäftigung, welche auch durch Bewegungsmangel gekennzeichnet ist. Bei zahlreichen Jugendlichen sei – in Übereinstimmung mit anderen Suchterkrankungen – ein in der Vergangenheit zurückliegendes Traumatisierungserlebnis von ätiologischer Bedeutung. Weiter ist der kompensatorische Einsatz von Computerspielen bei tatsächlichen Problemen und Misserfolgen im Leben und im sozialen Kontext zu beachten, denn in diesen Phasen wird der Missbrauch der Computerspiele intensiviert.
Flächendeckende Beratungs- und Behandlungsangebote von Computerspielabhängigkeiten gäbe es derzeit nicht. Zudem bestehe die Gefahr, dass alternative Diagnosen wie „Anpassungsstörungen“, „Depression“ oder „Persönlichkeitsstörung“ vergeben werden, um die Patienten in eine Behandlung überführen zu können, was zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führt und das eigentliche Problem des Abhängigkeitspotentials von Computerspielen aus dem Blickfeld rückt. Die American Medical Association hat in diesem Zusammenhang bereits weltweit dazu aufgerufen, Computerspiel- und Internetabhängigkeiten genauer zu untersuchen, um zu entscheiden, ob das Krankheitsbild in der nächsten Revision des DSM (=Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) im Jahr 2012 berücksichtigt werden kann.
Forderung auf Abhängigkeitspotential hinzuweisen
„Zu fordern ist, dass beim Jugendmedienschutz auf das unterschiedliche Abhängigkeitspotential diverser Spiele im Rahmen der Prüfverfahren Rücksicht genommen werden muss und die entsprechenden Spiele erst ab 18 Jahren zugänglich sein sollten“, so Dirnbacher. Insbesondere müssen Merkmale der Gewaltlegitimation und Belohnung von Gewalt konsequent in die Abwägung der Alterseinstufung einbezogen werden, was derzeit nicht der Fall sei. Ziel müsse es sein, Hersteller, Spieler und Eltern für die Abhängigkeitsproblematik hinsichtlich der Spielformen zu sensibilisieren und dem Jugendmedienschutz zu verpflichten, künftig auch Spielmerkmale zu untersuchen, die das Risiko besonders hoher Spielzeiten und das Risiko der Entwicklung von Computerspielabhängigkeiten erhöhen.