Das Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), das der Bundestag demnächst beschließen wird, will neue Therapiemethoden auch ohne umfangreichen Wirksamkeitsnachweis erstatten. Dadurch sollen Medizin-Innovationen gefördert werden. Doch wie viel bringt das den Patienten?
Fortschritt braucht Innovationen. Das ist in der Wirtschaft so und auch in der Medizin. Ohne innovative Ideen, gäbe es keine neuen Medizinprodukte, Operationsmethoden und auch keine neuen Therapieangebote. Das Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), das der Bundestag demnächst beschließen will, soll neue Methoden fördern. Gesundheitsminister Daniel Bahr sagte dazu: „Die Patienten in Deutschland vertrauen darauf, dass alles medizinisch Mögliche für ihre Gesundheit getan wird und sinnvolle Innovationen schnell Eingang in die Praxis finden."
Hilfreich oder besser als ihre Vorgänger
Nun sind Gesetzentwürfe so eine Sache. Oft sind sie so kompliziert, dass die Konsequenzen des Vorschlags nicht final absehbar sind. Ein wenig genauer hinzuschauen, lohnt sich in diesem Fall jedoch. Denn Innovationen sind vor allem dann eine gute Sache, wenn erwiesen ist, dass sie hilfreich sind oder besser als ihre Vorgänger. Deutsche Kliniken können sie jedoch sofort anwenden, ohne die Ergebnisse klinischer Studien abwarten zu müssen. Und solange sie zumindest das Potential für einen Behandlungserfolg haben, sollen die Krankenkassen dafür bezahlen. Verfahren aus dem Markt zu nehmen wird dagegen fast unmöglich.
So heißt es in dem Paragraph 137c und e in einer Erklärungs-Passage: „dass der unmittelbare Ausschluss einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode aus der Krankenhausversorgung grundsätzlich nur dann erfolgen kann, wenn nach Feststellung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Nutzen nicht hinreichend belegt ist und darüber hinaus die überprüfte Methode kein Potential als erforderliche Behandlungsmethode in der stationären Versorgung bietet." Das heißt: Erst wenn sich beweisen lässt, dass eine Methode nichts nützt oder schädlich ist, soll die Methode aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen werden und nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden. Das zu zeigen, wird jedoch nicht einfach. Die Regelung könnte in nächster Konsequenz Ärzten und Wissenschaftlern den Anreiz nehmen, zusätzliche Studien durchzuführen, da die neue Behandlungsmethode ohnehin angewandt und abgerechnet werden kann.
Bevor ein neues Auto millionenfach vom Fließband in die deutschen Garagen geliefert wird, muss es sich erst in aufwendigen Tests beweisen. Auch Medikamente müssen Studien durchlaufen, um zu zeigen, dass ein neuer Wirkstoff hält, was er verspricht und die Nebenwirkungen vertretbar sind. Nach dem neuen Prinzip jedoch würden Studien dem Zweck dienen, den Nutzen einer Therapie auszuschließen, die schon angewendet wird. Diese Umkehr der Beweislast wirft dabei ethische Bedenken auf: Ist es vertretbar Menschen an einem Versuch teilnehmen zu lassen, der zeigen soll, dass eine Methode mehr schadet als nutzt?
Patienten unkontrollierten Experimenten ausgesetzt
Das Risiko der Methoden trägt allein der Patient. Denn wenn sich viele Operationen oder Behandlungen später herausstellt, dass die neue Methode oder das neue Produkt den Erwartungen nicht entspricht oder vielleicht sogar schädlichist, wären im schlimmsten Fall schon Tausende Menschen zu Schaden gekommen.
Das Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) und der Verein zur Förderung der Technologiebewertung im Gesundheitswesen (HTA.de) kritisierten daher in einer öffentlichen Stellungnahme das Vorhaben: „Das neue Gesetz eine Fortschrittsgläubigkeit, die in vielen Fällen dazu führen wird, dass weiterhin Patienten unkontrollierten Experimenten mit unnützen oder schädlichen Behandlungen ausgesetzt werden.“
„Es besteht die Gefahr, dass wir zahllose Patienten mit einer neuen Methode behandeln, und dann nach zwei oder drei Jahren genauso wenig über die neue Methode wissen wie vorher“, sagt Monika Lelgemann, Vorsitzende des DNEbM. „Der Gesetzgeber sollte festlegen, dass nur Kliniken, die an Erprobungsstudien teilnehmen, neue Methoden auch anwenden dürfen. Nur wenn Studien einen Nutzen zeigen, sollte die Einführung in die breite Versorgung folgen“, fordert Lelgemann.