Das Pharmaziestudium steht hoch im Kurs. Aber: Weniger als ein Drittel aller Approbierten möchte in öffentlichen Apotheken arbeiten. Daran sind nicht nur Gesundheitspolitiker schuld, setzt die „Alma Mater“ immer noch zu stark auf Forschungsinhalte.
Die Pharmazie boomt wie schon lange nicht mehr: Zum Wintersemester 2011/2012 haben fast 1.900 Abiturienten mit diesem Studium begonnen, statistisch gesehen 250 mehr als noch vor einem Jahr. Auch die Zahl der Bewerber ist von 3.900 auf 4.500 angewachsen. Damit kommen auf jeden Studienplatz durchschnittlich 2,4 Interessierte, berichtet die Stiftung für Hochschulzulassung, älteren Semestern noch als „Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen“ (ZVS) bekannt. Das Fach wird an 22 Unis angeboten, derzeit sind 12.700 Studierende immatrikuliert.
An sich eine erfreuliche Entwicklung, doch können die Approbierten von morgen alle Lücken füllen? Dazu Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer: „Wir erwarten, dass der Bedarf an gut ausgebildeten Apothekern in Zukunft weiter ansteigen wird.“ In der Tat sind die Berufsaussichten hervorragend, gehen in den nächsten Jahren etliche Apotheker in den wohl verdienten Ruhestand. Doch nur rund 28 Prozent von 451 befragten Pharmaziestudierenden geben als Traumziel die öffentliche Apotheke an – aber 84 Prozent werden laut den Zahlen der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände später wohl oder übel dort arbeiten. Über die Gründe lässt sich spekulieren, in zahlreichen Foren und Leserbriefen bemängeln Studierende aber neben branchenüblichen Zukunftssorgen den mangelnden Praxisbezug der Unis.
Patienten – die unbekannten Wesen
An Inhalten mangelt es keineswegs – zwischen Hörsaal, Seminarraum und Labor sind die Tage mehr als reichlich gefüllt. Totalsynthesen von Heterozyklen, Bruchfestigkeit von Tabletten oder Taxonomie von Arzneipflanzen – war da nicht noch etwas? Sämtliche Inhalte seien zu stark naturwissenschaftlich und pharmakologisch orientiert, kritisieren Experten. Laut Professor Dr. Hartmut Derendorf von der University of Florida aus Gainesville, USA, fehle in Deutschland die patientenorientierte Sichtweise. Und Peter Ditzel, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung, konkretisiert: „Es hapert am Kommunikationsverhalten. Warum also gehört das Fach Kommunikation nicht zur Ausbildung? Warum ist im Curriculum kein Kommunikationstraining vorgesehen?“ Besonders zu Beginn des dritten Abschnitts wäre ein maßgeschneidertes Training sicher sinnvoll. Nächstes Manko: die Selbstmedikation. Ohne Ärzten in das Handwerk pfuschen zu wollen, entspricht es einfach Tatsachen, dass Patienten sich mit kleineren Wehwehchen zuallererst in der Apotheke melden. Auch hier täten Kurse Not.
Praktisch wenig vorhanden
Keine neue Erkenntnis: Bereits 2009 empfahl der Deutsche Apothekertag, mehr Praxisbezug in das Studium zu integrieren. Ein wichtiges Thema: Die Grundlagen freiberuflicher Tätigkeit zu erlernen, streben viele Approbierte die eigene Apotheke nach wie vor an. Kenntnisse dazu wären heute noch brandaktueller, nimmt die Zahl an Apothekenfilialen ständig zu. Filialleiter an sich haben ein noch schwereres Los, sind sie in ihrem Handlungsspielraum je nach Vertragsmuster mehr oder minder eingeschränkt. Andererseits sehen Arbeitsverträge teilweise umsatzabhängige Boni vor.
Auch die viel zitierte Klinische Pharmazie, seit gut zehn Jahren Pflichtgegenstand, steckt mancherorts noch in den Kinderschuhen. Um die aktuelle Situation zu analysieren, startete der Bundesverband der Pharmaziestudierenden (BPhD) eine bundesweite Online-Umfrage unter allen 22 Fachschaften, Rückläufe kamen von 20 Vertretungen. Das Ergebnis: An 13 Universitäten sind die Studierenden mit der Umsetzung des Themengebiets zufrieden oder sehr zufrieden, jedoch besteht an sieben Hochschulen noch Verbesserungsbedarf. Immerhin existiert an 14 Einrichtungen eine Professur für Klinische Pharmazie, an einer weiteren ist sie in Planung.
Vielen der Befragten fehlt zudem eine Trainingsapotheke, nur fünf Standorte haben diese in ihre Ausbildung integriert. „Man kann feststellen, dass die Studierenden umso zufriedener sind, je umfassender die Themen Kommunikation Apotheker-Patient, pharmazeutische Betreuung spezieller Patientengruppen, zum Beispiel Diabetiker oder Schwangere, und Selbstmedikation gelehrt werden“, resümiert Daniel Mädler, Präsident des BPhD. Spätestens für Pharmazeuten im Praktikum (PhiPs) zahlt sich dieses Wissen aus – momentan sieht nur einer von fünf Befragten das Studium als praxisorientierte Vorbereitung für den dritten Abschnitt.
Sprung in´s Haifischbecken
Und so beginnt das praktische Jahr für viele Approbierte in spe mehr oder minder stressig. Erste Kontakte mit Patienten – wie lässt sich ein Beratungsgespräch zielorientiert führen? Haben Kunden alle wichtigen Ratschläge auch verstanden? Systematisch ausgebildet werden PhiPs in Apotheken nicht immer, Verbesserungen sind aber in Arbeit: Beim Deutschen Apothekertag (DAT) 2011 brachte der BPhD über die Apothekerkammer Westfalen-Lippe eine möglicherweise bahnbrechende Änderung ein: In der Resolution fordern die Studierenden alle Landesapothekerkammern auf, an einem Akkreditierungssystem für Ausbildungsapotheken zu arbeiten. „Famulanten dürfen die Apotheke nicht nur von hinten sehen“, so die ehemalige BPhD-Präsidentin Maria-Christina Scherzberg. Gleich bleibende, verbindlichen Standards als Ziel? Zustimmung signalisierten die Delegierten am DAT, trotz der Vorbehalte mancher Kollegen, ein bürokratisches Ungetüm zu schaffen. Jetzt soll eine Arbeitsgruppe das Projekt weiter verfolgen.
Bestes aus Baden-Württemberg
Dass es funktionieren kann, zeigte Baden-Württemberg: Seit rund einem Jahr gibt es hier akademische Ausbildungsapotheken, die ein Akkreditierungsverfahren der Landesapothekerkammer durchlaufen müssen. Dazu Dr. Günther Hanke, Präsident der LAK BW: „Die Kriterien sind bewusst streng gehalten.“ Ausbilden darf PhiPs, wer Fachapotheker für allgemeine oder klinische Pharmazie ist. Auch das Fortbildungszertifikat sowie ein spezieller Kurs sind Pflicht. Wichtig ist der LAK, dass alle Bereiche vertreten sind: HV inklusive Qualitätssicherung durch Pseudocustomer und Labor inklusive Teilnahme an ZL-Ringversuchen – besonders wichtig, um akademischem Nachwuchs die öffentlichen Apotheken schmackhaft zu machen. Sinnvolle Ausbildungsinhalte bewegten eben so manchen Pharmaziestudenten dazu, Industriepläne fallen zu lassen und doch in der Offizin zu bleiben. Davon profitieren nicht nur Studierende im dritten Abschnitt – entsprechend zertifizierte Apotheken finden leichter PhiPs beziehungsweise später qualifiziertes Personal. In der Pflicht sind aber auch die Hochschulen.
Master of Desaster
An Reformbestrebungen der Unis mangelt es nicht: Momentan sind pharmazeutische Bachelor- und Master-Studiengänge in Freiburg und München möglich – laut BPhD aber keine Alternative zum klassischen Pharmaziestudium. Vielmehr solle man sich auf mehr Qualität für die künftigen Approbierten besinnen. Auch politisch birgt die Situation Sprengstoff, könnte der Gesetzgeber bei Fachkräftemangel die Regelungen lockern und Master-Absolventen die Pforten öffentlicher Apotheken öffnen. Denen wiederum fehlen teilweise essentielle Inhalte im Curriculum. Einzelne Master-Absolventen besinnen sich bereits eines Besseren und erwerben durch nachträgliche Kurse, Klausuren und Kolloquien doch noch ihre Approbation.
Nach dem Studium ist vor dem Studium
Pharmazeuten in den USA hatten ähnliche Probleme mit dem Praxisbezug – und konnten sich bereits vor Jahren zu grundlegenden Reformen durchringen. Kurse im Labor wurden zu Gunsten von mehr Praxisnähe gestrichen, dafür stehen jetzt medizinische und klinisch-pharmazeutische Inhalte weitaus höher im Kurs. Dieses System hat aber auch seinen Preis, dauert die Ausbildung sechs Jahre, schließt aber immerhin mit dem „Doctor of Pharmacy“ (PharmD) ab. Für Deutschland könnten zumindest in einzelnen Bereichen Aufbaustudiengänge wie der „praktische Betriebswirt für Pharmazie“ (Wirtschaftsakademie Deutscher Apotheker) oder der Apotheken-Betriebswirt (Fachhochschule Schmalkalden) Lücken schließen.