Weg von der Fließband-Abfertigung hin zum hotelgleichen Aufenthalt: Das bieten moderne Luxus-Krankenhäuser. Sie werben mit Behandlungen in angenehmer Atmosphäre und individueller Betreuung – zumindest für Patienten, die es sich leisten können.
„Alte Kreißsäle hatten oft einen Waschküchen-Charakter: mit kleinen Fließen an der Wand, ganz ohne Fenster“, sagt Dr. Sabine Keim. Sie ist Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Helios Klinikum München West. Wie viele Einrichtungen bundesweit hat sich ihr Haus grundlegend gewandelt. Es gibt helle Räume, viel Platz, Familienzimmer und ein Doppelbett mit Platz für den Vater. Die Zimmer gleichen mehr einem Hotel als einem Krankenhaus. Sie stehen auch gesetzlich Versicherten mit Zuzahlungen von 150 bis 200 Euro pro Tag, je nach Stadt und Träger, zur Verfügung. Moderne Zimmer in der Gynäkologie © Helios Klinikum München West, Screenshot: DocCheck Doch Patientinnen wechseln nicht vorranging aufgrund äußerer Werte. DocCheck sprach im Wartezimmer eines Kölner Gynäkologen mit Anne K. (28). Sie kritisiert die „Fließband-Abfertigung“ bei ihrer ersten Geburt in einem großen Klinikum. „Deshalb habe ich mich jetzt gezielt nach einem kleinen Krankenhaus mit persönlicher Betreuung umgesehen.“ Was Anne K. erzählt, ist kein Einzelfall. Während Ärzte hohe Fallzahlen als Qualitätsindikator sehen, legen werdende Mütter andere Kriterien an den Tag. Laut Picker Institute Europe berichteten neun Prozent aller Mütter, die in einer Klinik mit mehr als 2.000 Geburten pro Jahr entbunden hatten, von schlechten oder mittelmäßigen Erfahrungen. In Häusern mit weniger als 1.000 Geburten pro Jahr waren es nur fünf Prozent. Zu wenig Kontakte mit Hebammen oder Ärzten kritisierten 34 versus 19 Prozent. Grund genug für werdende Mütter, nach kleinen, persönlichen Häusern zu suchen.
Auch bei Patienten im höheren Alter setzt sich dieser Trend fort: Auf Mehrbettzimmer, unterbesetzte Stationen und Kantinenfraß wollen sie dabei gern verzichten. Deshalb entwickeln Klinikbetreiber in großem Umfang Servicekonzepte, wie sie Ärzte seit Jahrzehnten aus Dänemark und Schweden kennen. Dazu ein paar Beispiele: Die Hotelklinik am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach wirbt mit „individueller Behandlung und sensibler Gastlichkeit“, während Klinik und Hotel St. Wolfgang in Bad Griesbach „eine renommierte Privatklinik und ein charmantes 5-Sterne Hotel“ vereinen. Und die Privita-Komfortstation der Asklepios-Kliniken Altona wirbt mit „medizinischer Spitzenversorgung in anspruchsvollem Ambiente“. Klinik und Hotel St. Wolfgang © St. Wolfgang, Screenshot: DocCheck Als Hauptzielgruppen für Kombinationen aus Hotels und Kliniken sieht Statista vor allem ambulante Patienten und überraschenderweise ebenso die Besucher stationärer Patienten (je 21,6 %). Interessant sei es auch für stationäre Patienten (13,6 %) und Patienten in den Bereichen Wellness oder Vorsorge (insgesamt 13,5 %). Hinter Klinik-Hotels steckt mehr, als man auf den ersten Blick erkennen mag. Das beginnt schon beim Bau: Wie DocCheck berichtete, setzen Experten dabei auf die „Healing Architecture“. Sie schreiben modernen, hellen Formen indirekt positive Effekte bei der Heilung zu: ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet mit vielen offenen Fragen. Außerdem entstehen durch diese Konzepte neue Berufe wie Patienten-Concierges oder Gesundheitshotelfachkräfte. Manche der Tätigkeiten fallen nicht mehr im Bereich von Pflegekräften, sondern von Servicekräften des Hotels. Das hält das Geld zusammen und sichert höhere Renditen. Auch spart es Budgets bei gesetzlichen Krankenkassen. Gerade ältere Menschen können nach leichten ambulanten Eingriffen oft nicht entlassen werden, weil sie zu Hause die ersten 24 Stunden niemand beaufsichtigen kann. Im Zweifelsfall ist die Überwachung im Klinik-Hotel preisgünstiger als im Klinikbett. Solche Angebote sind nicht nur für einheimische Patienten, sondern auch für Medizintouristen attraktiv. Laut Analysen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg ließen sich in 2016 mehr als 253.000 Patienten aus 181 Ländern stationär oder ambulant in Deutschland behandeln. Das Gesamtvolumen für alle Leistungen lag bei mehr als 1,2 Milliarden Euro. Danach ging es steil bergab. Die größten Einbußen zeigten sich bei Patienten aus Russland (−13 %), Kasachstan (−32 %), den Vereinigten Arabischen Emiraten (−8 %), Saudi-Arabien (−20 %), Katar (−13 %) und dem Oman (−36 %). Experten erklären dies mit wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten. Beispielsweise gibt es in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten plötzlich eine Mehrwertsteuer. Und staatliche Zuschüsse für Auslandsbehandlungen wurden gekürzt. In Kuwait verschwanden mehrere hundert Millionen Euro für Behandlungen im Ausland. Eine Untersuchungskommission empfahl anschließend, Behandlungsreisen zu begrenzen. Doch die Hochschule rechnet mit einer Trendumkehr. Als Grund gibt sie die Visafreiheit für Reisende aus der Ukraine an. Das hat zu 8 % mehr Patienten geführt. Speziell mit arabischen Ländern soll die Zusammenarbeit zwischen Ministerien, Konsulaten und Dienstleistern verbessert werden. Möglicherweise tragen die Maßnahmen schon jetzt Früchte. „Rückmeldungen aus einzelnen Krankenhäusern deuten auf eine Stabilisierung der Nachfrage hin“, so Jens Juszczak von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
Neben Medizintouristen haben Planer Senioren als weitere Zielgruppe für besondere Leistungen identifiziert. Wer das niederländische Dorf „De Hogeweyk“ besucht und liest, dass demenzkranke Menschen betreut werden, wundert sich zunächst. Bewohner unterhalten sich im Café, kaufen ein, gehen zum Friseur oder ins Pub. Sie leben, soweit es ihre körperlichen oder geistigen Kräfte erlauben, mehr oder minder normal, trotz ihrer Demenz. Dass Helga Z. (84) gerade vergessen hat, ihre Einkäufe zu bezahlen, stört hier niemanden. Sie lebt zusammen mit anderen Senioren in einer Hausgemeinschaft. Da Helga Z. lange Jahre in Amsterdam verbrachte, entschied sie sich zusammen mit der Leitung für „stadse“, einen urbanen Lebensstil. In "De Hogeweyk“ gibt es unterschiedliche Wohnbereiche, um das frühere Leben von Bewohnern abzubilden. Dazu gehören neben einem urbanen Ambiente auch „goois“ (aristokratisch-niederländische Hausgemeinschaften), „ambachtelijk“ (für frühere Handwerker), „indisch“ (für Menschen aus früheren Kolonialgebieten und deren Nachfahren), „huiselijk“ (für frühere Hausfrauen), „culturel“ (für Freunde von Theater, Kino oder Konzert) und „christelijk“ (für religiös geprägte Menschen, aber nicht nur Christen). Pflegekräfte tragen normale Tageskleidung statt klinischer Kleidung und halten auch die Illusion, Tochter oder Sohn von Bewohnern zu sein, aufrecht. Bei ehrlichen Fragen sollen Angestellte jedoch wahrheitsgemäß informieren. Als Budget geben Planer 5.800 Euro pro Person und Monat an: eine Leistung des niederländischen Sozialsystems. Das Projekt wurde mehrfach nach dem gleichnamigen Film als „Truman Show“ kritisiert, da es nicht vorhandene Realitäten aufbaut. Ob wenig stimulierende Pflegeheime für Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz zwangsläufig besser sind, sei dahingestellt. Mittlerweile gibt es im dänischen Svendborg ein Projekt für 125 Bewohner. In Deutschland orientieren sich Tönebön am See bei Hameln (Niedersachsen) oder das AWO-Seniorenzentrum Süssendell bei Stolberg (Rheinland) am niederländischen Modell. Die Kosten liegen monatlich in etwa 200 Euro über den Sätzen normaler Heime.
Für Investoren bieten Geburtshäuser, Hotel-Kliniken oder Demenzdörfer gute Renditen – und solvente Patienten schätzen solche Angebote. Experten kritisieren weniger die Projekte selbst - aber umso mehr die Gedanken dahinter: Auf Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen lastet der Druck, Gewinne zu erwirtschaften. „Die Politik hat seit Anfang der 90er-Jahre den Preiswettbewerb in unserem Gesundheitswesen forciert. Die Folgen sind für Ärzte tagtäglich spürbar, etwa wenn sie von Klinik- und Kostenträgern dazu angehalten werden, primär in ökonomischen Dimensionen zu denken und nach rein betriebswirtschaftlichen Vorgaben zu handeln“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach spricht von einer „Zwei-Klassen-Medizin“ in Deutschland. Den Vorwurf weist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zurück: „Natürlich können sich manche das Einzelzimmer leisten. Entscheidend ist aber, dass niemand eine Behandlung ‚zweiter Klasse‘ bekommt.“ Sein geplantes Versorgungsgesetz könnte die Unterschiede noch vergrößern. Mit der Öffnung der Pflege für reine Betreuungsdienste bestehe die Gefahr, dass Pflegeleistungen künftig auch von an- oder gar ungelerntem Hilfspersonal erbracht werden, so Kordula Schulz-Asche von den Grünen. „Betreuung ist zwar bereits jetzt als Ergänzung zur Fachpflege vorgesehen“, so die Grünen-Politikerin. „In der jetzt vorgeschlagenen Form ist es allerdings ein fatales Signal für pflegebedürftige Menschen, die eine hohe Qualität erwarten.“ Das heißt: Wer Fachpflege möchte, bekommt diese je nach Pflegestufe vielelicht nur noch als kostenpflichtige Wahlleistung.