Nicht nur bei Angriffen von Viren kommt es vor, dass die Antwort des Immunsystems so stark ausfällt, dass sie den Wirt umbringt. Amerikanische Forscher haben jetzt entdeckt, wie der Auslöser eines „Zytokinsturms“ bei Grippeinfektionen funktioniert.
Die Viren selbst hätten es wohl nicht geschafft, mit ihrem Angriff kerngesunden jungen Menschen das Leben zu nehmen. Immer deutlicher stellt sich heraus, dass es die mächtigen Waffen des menschlichen Immunsystems sind, die bei den großen Influenza-Epidemien die hohe Sterblichkeit verursacht haben. 1918 forderte die Spanische Grippe mehr als 20 Millionen Opfer, die Schweinegrippe vor zwei Jahren immerhin auch mehr als 18.000.
Angriff gegen Viren führt nur zum Teilerfolg
Viele der Menschen starben 2009, bevor ein wirksamer Impfstoff sie vor dem Schweinegrippen-Erreger schützen konnte. Gegen antivirale Wirkstoffe wie etwa Oseltamivir (Tamiflu®) wurden einzelne Virusstämme bald resistent. Wo Ärzte in den Kliniken um das Leben der Infizierten kämpften, verursachte ein „Zytokinsturm“ die großen Schäden an Lunge und Atemwegen, eine massive Entzündungsreaktion, bei der die Immunabwehr Dutzende verschiedener Boten- und Lockstoffen für Entzündungszellen auswirft. Wer versucht, die Viren nur mit Neuraminidase-Hemmern zu vertreiben, zwingt die Angreifer, sich anzupassen und riskiert, dass solche Medikamente am Ende wirkungslos bleiben. Andererseits versagten aber auch Kortikosteroide und COX-2-Hemmer, weil sie zwar die Entzündungsreaktion dämpften, dabei aber die Immunabwehr im Kampf gegen die Viren schwächten.
Am Scripps Forschungsinstitut im kalifornischen La Jolla ist man einem Ausweg aus diesem Dilemma einen wohl entscheidenden Schritt näher gekommen. Zwei Publikationen von Kevin Walsh und John Teijaro in den Fachzeitschriften PNAS und Cell vor wenigen Wochen beschreiben, welche Partner an welchem Ort zusammenkommen müssen, damit nach einer Influenza-Infektion der zerstörerische Zytokinsturm entsteht.
Gefäßwände als Steuerzentrale für den Sturm
Das Schlüsselelement für die Kontrolle des immunologischen Wirbelwinds ist Sphingosin-1-phosphat (S1P), ein Lysophopholipid und sein Rezeptor. Schon seit längerem wusste man, dass genau dieses Molekül für die Entzündungs-Signalkette sehr wichtig ist. Bisher hatte man jedoch vor allem in den Lungenepithelzellen nach dem Auslöser gesucht, dort, wo der Zytokinsturm die meisten Schäden anrichtet. Die Forscher zeigten aber nun, dass die Steuerzentrale für die Reaktion des angeborenen Immunsystems in den Endothelzellen der Lungengefäße liegt. Mit einem synthetischen Molekül, dass an den S1P1-Rezeptor bindet, unterdrückten die Forscher den Auswurf von Botenstoffen sowohl in der Kulturschale als auch direkt in der Maus, die mit Influenza infiziert war. Im Lungensekret fanden sich danach auch weniger Monozyten, Makrophagen und NK-Zellen, Mitspieler bei der angeborenen Immunantwort.
Nach der Infektion mit H1N1, dem Schweinegrippenvirus von 2009, sank die Todesrate der vorbehandelten Mäuse von 80 auf 20 Prozent. In einem weiteren Experiment fanden die Wissenschaftler heraus, dass der Rezeptor der Endothelzellen auch bei Mäusen ohne funktionierende T- und B-Lymphozyten die Alarmsignale der Zyto- und Chemokine - unabhängig vom adaptiven Teil des Immunsystems - dämpft.
Kraftvolle Kombination: Virostatikum und Sphingosin-Antagonist
Dennoch bleiben noch einige Fragen offen: Der natürliche Ligand S1P kommt im Blut und in der Lymphe in großer Menge vor. Warum schafft er es nicht, die überschießende Reaktion bei einer Influenza-Infektion zu regulieren? Vermittelt der Rezeptor das Zurückfahren der Entzündung direkt oder aktiviert er zu diesem Zweck weitere Mediatoren?
Fest steht dagegen, dass sich mit den Ergebnissen aus Scripps neue Möglichkeiten zur Behandlung gefährlicher Grippeinfektionen auftun. In der PNAS-Veröffentlichung vom Juli dieses Jahres zeigen Walsh und Teijaro, dass Analoga zu S1P die Mäuse wesentlich besser als etwa Oseltamivir schützen. Das Virostatikum senkte die Mortalität bei einer H1N1-Infektion um die Hälfte, eine Kombination brachte es auf 96 Prozent.
Dass sich mit dem Angriff auf diesem Stoffwechsel-Knotenpunkt Autoimmunreaktionen eindämmen lassen, weiß man schon seit einiger Zeit. Der Hemmstoff, mit dem die Forscher arbeiteten, ist auch schon für die Behandlung von Multipler Sklerose (MS) zugelassen (Fingolimod®). Auch mehrere andere Firmen testen bereits S1P-Analoga für den klinischen Gebrauch.
Steuert Genausstattung das Zytokinsturm-Risiko?
Für die Behandlung von MS und anderen Autoimmunkrankheiten war auch der Antikörper TGN1412 gedacht. Der Zytokinsturm bei der ersten Erprobung am Menschen im Jahr 2006 kostete den sechs Teilnehmern fast das Leben. Noch heute sind die genauen Vorgänge nicht genau geklärt, die zu einer solch starken chronischen Entzündungsreaktion innerhalb weniger Minuten führten. Nach wenigen Stunden waren die aktivierten Immunzellen kaum mehr im Blut nachweisbar und hatten sich wieder in die Lymphknoten und die Milz zurückgezogen. Dazu passt auch die Eigenschaft von Sphingosin-1-Phosphat als Steuersignal für die Wanderung von Immunzellen.
Woran liegt es dann, dass Influenzaviren bei einigen Menschen so große Schäden anrichten, während andere Infizierte nicht mehr als ein leichtes Unwohlsein verspüren. Versuche von Forschern aus Hannover, Braunschweig und Berlin zeigen, dass zumindest bei Mäusen der genetische Hintergrund eine Rolle spielt, wie die Tiere auf den Angriff reagieren. Je nach Mäusestamm starben die Tiere nach einer Infektion mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1 am Zytokinsturm oder waren nach einigen Tagen wieder putzmunter. Möglicherweise spielt auch beim Menschen die Expression der S1P-Rezeptoren eine entscheidende Rolle, wie das Immunsystem reagiert.
Wenn diese Frage geklärt ist, könnte man Menschen mit hohem Entzündungsrisiko mit den inzwischen erprobten Hemmstoffen behandeln. In Kombination mit Impfstoffen oder antiviralen Agenzien würden große Grippeepidemien dann viel von ihrem Schrecken verlieren.