Immer öfter trifft man auf Mediziner, die den altbekannten weißen Kittel ablegen und sich für normale und farbige Kleidung entscheiden. Aber warum wird die Medizin immer bunter? Kratzt die bunte Farbe auch am Status der hochangesehenen Mediziner?
Für den etwas älteren Mediziner gehört der weiße Kittel immer noch dazu wie der Blaumann zum Handwerker. Doch was uns immer öfter in amerikanischen Arztserien begegnet, setzt sich mittlerweile auch hier in Deutschland durch. Wie DocCheck bereits im September berichtete, hat es der weiße Kittel vielerorts nicht leicht. Viele Mediziner verzichten mittlerweile auf das Statussymbol, das die meisten Patienten mit ihnen verbinden. Stattdessen begegnet man vor allem in den Praxen öfter mal farbigen Poloshirts. Die Kleidung eines Mediziners hat sich somit einem gewaltigen Wandel unterzogen und der weiße Kittel hat mittlerweile nicht mehr den gleichen Stellenwert wie noch vor einigen Jahren.
Ein Kittel mit Vergangenheit
Der weiße Kittel ist eigentlich eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts und war ein sicheres Zeichen für einwandfreie Hygiene, denn weiße Kittel standen vor allem für Sauberkeit. Es hatte zwei Gründe, weswegen ein Arzt einen weißen Kittel trug, zum einen, weil man auf dem weißen Kittel sehr schnell Verschmutzungen erkannte und zum anderen ließen sich weiße Kleidung früher am besten heiß waschen, um Infektionen zu vermeiden.
Im Laufe der Zeit wurde der weiße Kittel zum Statussymbol der Mediziner. Auch heute noch hat der weiße Kittel vor allem in Kliniken nicht an Wichtigkeit verloren. Am weißen Kittel kann man erkennen, wer der behandelnde Arzt ist und ihn vom restlichen Personal abgrenzen. Außerdem dient er dazu, Instrumente und andere Dinge darin verstauen zu können und zudem die Kleidung darunter vor Blutspritzern zu schützen.
Die Medizin wird bunt
Trotz allem wird der weiße Kittel immer weniger getragen und immer mehr Mediziner greifen auf freizeitorientierte Berufskleidung zurück. Zum einen, weil die bei der Arbeit getragenen Klamotten immer weniger Strenge ausstrahlen sollen und zum anderen, um die Distanz zwischen Arzt und Patient aufzuheben. Viele Patienten fühlen sich eingeschüchtert, wenn ihnen ein Arzt im weißen Kittel begegnet. Dies könnte dazu führen, dass sich ein Patient in seinen Antworten während eines Anamnesegespräches sehr zurücknimmt, was bei einer Diagnose nicht gerade sehr förderlich sein kann. Außerdem soll eine Beziehung auf Augenhöhe zwischen Arzt und Patient geschaffen werden. Dies ist sehr wichtig, gerade bei chronisch kranken Patienten, denn diese Patienten werden über eine längere Zeit behandelt und da müssen Patient und Arzt Hand in Hand miteinander arbeiten. Ein distanziertes und nicht ein auf Gleichberechtigung basierendes Verhältnis wäre hier fehl am Platz.
Generell hat sich die bunte Arztkleidung in vielen Fachbereichen mittlerweile durchgesetzt. Vor allem in psychiatrischen oder kinderärztlichen Praxen ist es von Vorteil, ein angenehmes Arzt-Patient-Verhältnis zu schaffen. Ein weißer Kittel vor allem könnte die kleinen, aber auch die labilen Patienten einschüchtern, was natürlich sehr kontraproduktiv ist.
Ein mittlerweile verstaubtes Statussymbol?
Einen weißen Kittel könnte man mittlerweile auch als ein verstaubtes Statussymbol ansehen. Der Beruf „Arzt“ an sich hatte in der damaligen Zeit in der Gesellschaft eine ganz andere Stellung als heute. Dadurch, dass sich die Arztposition in der heutigen Gesellschaft gewandelt hat, hat sich auch die Bedeutung des weißen Kittels gewandelt. Die Medizin an sich ist moderner geworden, nicht zuletzt, da mittlerweile der Frauenanteil im Arztberuf enorm gestiegen ist und auch immer mehr Frauen sehr hohe Positionen einnehmen. Es macht daher den Eindruck, als würde der weiße Kittel zusammen mit den damaligen Zuständen im Arztberuf verschwinden. Die Medizin ist nun nicht nur den Männern in weißen Kitteln vorbehalten, sondern ist für alle zugänglich und oft darf jeder anziehen, was er möchte.
Vor allem in Praxen verzichtet man mittlerweile fast gänzlich auf den weißen Kittel. Viele moderne Praxen legen Wert auf legere Kleidung, eine helle Hose kombiniert mit einem farbigen Poloshirt, auf dem Hemd wird noch oft das Logo der Praxis eingestickt. Dadurch wirken die Praxis und vor allem der behandelnde Arzt freundlicher, zugänglicher und weniger distanziert.
Und was meinen die Studenten und Ärzte?
Hört man sich bei den Studenten um, sind deren Meinungen sehr verschieden. Einige halten immer noch an dem weißen Kittel und an dem Statussymbol des Arztes fest. Sie legen auch sehr viel Wert darauf, dass eine gewisse Distanz zu Patienten gewahrt wird und dass das Verhältnis zu Patienten nicht allzu persönlich wird. Andere Studenten wiederum mögen die neue und moderne Kleidung in der Medizin und die Annäherung an ihre Patienten. Für viele bedeutet diese legere Kleidung auch Selbstverwirklichung, da sie selbst bestimmen können, was sie anziehen. Einige Studenten finden es toll, dass man heutzutage in der Hinsicht so viele Möglichkeiten hat und sich jeder durch die Kleidung so präsentieren kann, wie er es möchte. Für die Studenten steht eine individuelle Kleidung auch für eine eigene Marke, die jeder für sich selbst erfinden kann.
Der gleichen Meinung sind auch viele Ärzte, vor allem in privaten Praxen. Viele Praxen haben individuelle Kleidung eingeführt, jeder Angestellte einer Praxis trägt das gleiche Hemd, das individuelle Logo der Praxis ist zusätzlich auf die Kleidung gestickt. Was man in der freien Wirtschaft „Corporate identity“ nennt, bedeutet für die einzelne Praxis Selbstverwirklichung und vor allem Selbstdarstellung. Man möchte sich aus der grauen beziehungsweise weißen Masse hervorheben und dadurch auf sich aufmerksam machen. So erfindet man sich auch als Arzt auf seine eigene Art und Weise selbst und bleibt dadurch in den Köpfen der Patienten.
Auch heute noch ist der weiße Kittel das Statussymbol der Mediziner. Aber anstatt, dass der weiße Kittel die Standardkleidung in Praxen und Krankenhäusern ist, verschwindet er immer mehr im Schrank und bunte, offenere Kleidung gewinnt an Bedeutung für die heutigen Mediziner. Mit der Zeit wird auch der weiße Kittel immer mehr an Bedeutung verlieren, immer weniger in Praxen und auch in Krankenhäusern getragen werden und irgendwann bei uns nicht mehr sein als es der Doktorhut in Amerika ist: Ein Symbol.