Die HIV-Bekämpfung in Afrika ist auch ein Wettstreit um den besten Einsatz von Fördermitteln. Von Big Pharma bis Big Gates sind alle vor Ort und verteilen Geld in großen Mengen. Erfolge stellen sich dort ein, wo jeder seine Nische findet – und vor allem die Machthaber mitziehen.
Die Meldung ist brandaktuell: Um 21 Prozent hat die globale Rate an HIV-Neuinfektionen seit 1997 abgenommen, berichtet UNAIDS im Vorfeld des diesjährigen Welt-AIDS-Tags am 1. Dezember. Selbst in Afrika südlich der Sahara, wo 68 Prozent aller HIV-Infizierten leben und 70 Prozent aller Neuinfektionen auftreten, sind die Infektionsraten seit 1997 um 26 Prozent zurückgegangen. Dass diese wichtige erste Hürde beim globalen Kampf gegen HIV genommen werden konnte, verdankt sich einer Reihe von Faktoren. Genannt werden an erster Stelle meist die erheblichen Fördermittel, die seit einigen Jahren in die AIDS-Bekämpfung speziell in Afrika fließen. Nicht unterschätzt werden darf aber auch die Bedeutung der nationalen Regierungen.
Kampf gegen HIV: Medikamente sind nicht alles
Gut studieren lässt sich das in Tansania. Das Land hat, rein numerisch, die vierthöchste Zahl an HIV-Infizierten weltweit. Weil es ein großes Land ist, spiegelt sich das allerdings nicht so sehr in der durchschnittlichen Prävalenz wider, die für die Gesamtbevölkerung mit drei bis vier Prozent und für die Erwachsenen mit rund sechs Prozent angegeben wird. Da liegen andere, kleine Länder in Afrika weit höher. Das wirklich brennende Problem in Tansania sind Regionen wie jene ganz im Norden um den Victoriasee herum oder auch einige arme Provinzen in der Nähe der Metropole Dar-es-Salaam, wo die Quoten teilweise deutlich zweistellig sind.
Tansania versuchte die HIV-Epidemie lange Zeit auszusitzen: Erst im Jahr 2007, ein Vierteljahrhundert nach der Entdeckung des Virus, hat die Regierung eine nationale Anti-HIV-Strategie ausgerufen. Zuvor waren antiretrovirale Medikamente oft nur schwer zu bekommen. Und selbst für die HIV-Tests mussten Betroffene häufig zumindest anteilig selbst bezahlen. Seit 2007 ist das anders: „Es gibt allein am westlichen Victoriasee über 50 Care-and-Treatment-Center“, sagt Dr. Jonathan Stephen von der in dem Dorf Bukoba am Westufer des Victoriasees agierenden, tansanischen Nichtregierungsorganisation TADEPA, die mit mobilen Diagnose- und Beratungsteams durch die Fischerdörfer der Region zieht und dort HIV-Infizierte identifiziert und Präventionsarbeit leistet.
Die Care-and-Treatment-Center überziehen das ganze Land. Sie bilden das Rückgrat der nationalen Therapieinfrastruktur. Dort erhält jeder HIV-Infizierte antiretrovirale Kombinationstherapien kostenlos. Auch die diversen HIV-Schnelltests sind im ganzen Land kostenfrei verfügbar. Möglich wird das durch die ganz großen Fische der Förderlandschaft. Organisationen wie die Gates Foundation und der Global Fund geben nicht nur Geld für Medikamente, sondern gehen teilweise selbst Partnerschaften mit „Big Pharma“ oder „Big Diagnostikindustrie“ ein, oder sie verhandeln direkt unter Einbeziehung der jeweiligen Regierungen regionale Budgets. Die Konsequenz: „Medikamente sind heute nicht mehr das Problem“, so Stephen.
Empower your granny!
Ein Problem bekamen dagegen vor einigen Jahren zahlreiche kleinere Förderinitiativen, die sich plötzlich neu orientieren mussten. Die Initiative Secure-the-Future der Bristol-Myers-Squibb Foundation beispielsweise startete in Afrika schon in den 90er Jahren mit Anti-AIDS-Projekten. Ausgestattet mit einem Basiskapital von 150 Millionen Euro rutschte man in eine Art Identitätskrise, als Bill Gates und Global Fund plötzlich zig Milliarden ins südliche Afrika schippten. „Wir mussten uns neu orientieren“, sagt Phangi Mtshali Manciya, Direktorin der Stiftung. Aussichtslos war das nicht. Denn mit Geld allein lässt sich das HIV-Problem in Afrika nicht lösen. Wie einige andere Förderorganisationen konzentriert sich die BMSF seit einigen Jahren schwerpunktmäßig auf soziale, gemeindenahe Projekte, sei es bei der Versorgung von Kindern, die durch HIV ihre Eltern verloren haben, oder bei der Organisation von mobilen Diagnose- und Beratungsnetzwerken wie TADEPA.
Wie das konkret aussieht, lässt sich in der Region Kibaha studieren, anderthalb Autostunden nordwestlich der Küstenmetropole Dar-es-Salaam. Wer dort umher fährt, der findet teilweise Dörfer, in denen die Hälfte der Kinder durch HIV ihre Eltern verloren hat. Auf den Dorfplätzen geht es lebhaft und fröhlich zu wie so oft in Afrika. Erst bei etwas genauerem Hinsehen wird klar, dass die mittlere Generation weitgehend fehlt oder zumindest stark ausgedünnt ist.
Kampf gegen HIV bedeutet in so einer Konstellation zweierlei. Zum einen müssen die verbliebenen Erwachsenen dabei unterstützt werden, für den Lebensunterhalt von sich und den Kindern zu sorgen, unabhängig davon, ob es ihre eigenen sind oder nicht. Im Rahmen des Secure-the-Future-Programms wurden deswegen allein in der Region Kibaha 45 Großmuttergruppen mit über 700 Großmüttern aufgebaut, denen handwerkliche und landwirtschaftliche Fertigkeiten vermittelt werden und die von der Stiftung auch anderweitig, beispielsweise mit Traktoren, unterstützt werden.
Mikrokredite für HIV-Waisen
Zum anderen müssen die Kinder sehr viel früher sehr viel selbständiger werden als „normal“. Nicht irgendwie selbständig, sondern so, dass sie möglichst ihre Schulausbildung durchziehen. Auch in diesem Punkt geht man in Kibaha innovative Wege: Aufgebaut werden Mikrokreditprogramme, die die Kinder und Jugendlichen selbst organisieren. Das sieht so aus: Einmal die Woche treffen sich Anteilseigner, ausschließlich Kinder, und zahlen den Wochenbeitrag von 200 tansanischen Schilling, etwa 10 Euro-Cent, ein. Durch den regelmäßigen Beitrag erwerben die Anteilseigner das Recht, bei Bedarf Mikrokredite zu beantragen, die von dem dreiköpfigen „Direktorium“ – drei Mädchen im Teenager-Alter – vergeben werden. Die Kredite werden in aller Regel für Schulmaterialien beantragt und haben eine Pauschalverzinsung von zwei Prozent. Wer also 10.000 Schilling braucht, bekommt 9.800 ausgehändigt.
Wird in einer Sitzung einmal nicht das gesamte eingesammelte Kapital in Form von Mikrokrediten wieder ausgegeben, kommt der Rest in eine Kasse mit drei Schlössern. Nur wenn alle drei „Bankdirektorinnen“ ihr jeweiliges Schloss öffnen, ist das Geld zugänglich. Das Ziel ist klar: Es wird ein Kapitalpool geschaffen, der dem Zugriff der Erwachsenen komplett entzogen ist. Das Geld erlaubt es den Kindern, sich gegenseitig zu unterstützen, um eine einigermaßen reibungslose Schullaufbahn zu absolvieren. Die ersten derartigen Projekte waren so erfolgreich, dass es mittlerweile allein in der Region Kibaha über 100 solcher kindergesteuerter Mikrokredit-Genossenschaften gibt. Quasi nebenbei können solche Strukturen dann auch genutzt werden, um Aufklärungsarbeit in Sachen HIV zu leisten und damit zu verhindern, dass dieser Generation dasselbe Schicksal widerfährt wie ihren Eltern.