Was passiert mit in Großbritannien lebenden EU-Bürgern nach dem Brexit? Diese Frage betrifft auch die Gesundheitsversorgung auf der Insel. Der National Health Service soll stärker mit britischen Ärzten besetzt werden. Allein durch sie lässt sich die Lücke aber nicht schließen.
Seit der vorgezogenen Unterhauswahl im Juni ist klar, dass Großbritanniens Wähler keinen „harten Brexit“ befürworten. Vielmehr wünschen sie sich einen „weichen“ Austritt, um Europas Vorteile nicht ganz zu verlieren. Großbritanniens Premierministerin Theresa May versucht nach ihrer Niederlage, in vielerlei Hinsicht zurückzurudern.
Bislang sah ihr Kurs vor, dass Großbritannien aus dem Binnenmarkt und der Zollunion verschwindet. Gesundheitsminister Jeremy Hunt ging noch einen Schritt weiter. Im letzten Jahr machte Hunt deutlich, er wolle den „britischen National Health Services stärken“. Das hätte 1.500 weitere Studienplätze für Briten, aber keinen Zuzug von Ärzten aus anderen Nationen bedeutet. Rund 55.000 aller 1,2 Millionen NHS-Mitarbeiter kommen aus anderen EU-Ländern. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Laut Umfragen der British Medical Association (BMA) überlegten 42 Prozent aller ausländischen Ärzte, die Insel früher oder später zu verlassen. Interviewt wurden knapp 1200 Mediziner, die ihren Abschluss in der EU, aber nicht im Vereinigten Königreich gemacht hatten. Weitere 23 Prozent wollten noch abwarten, wiesen den Gedanken wegzuziehen aber nicht von der Hand. BMA-Chef Mark Porter sprach angesichts der Zahlen von „einem Desaster und einer Bedrohung für die qualitative Patientenversorgung“. „Jegliche weitere Begrenzung der Zahl an Ärzten, die in Großbritannien arbeiten können, wird nur dazu dienen, die Personalmängel beim NHS weiter zu verschärfen.“ Porter sah bereits Gefahren für britische Kollegen aufgrund von Personalknappheit: „Da der Druck weiter wächst, ist es wichtig, dass die derzeitigen EU-Regelungen, die Ärzte vor Überarbeitung und Patienten vor überlasteten Ärzten schützen, bewahrt und in keiner Weise aufgehoben oder eingeschränkt werden.“ Doch es kam anders.
Viele Bürger Großbritanniens lehnen den „harten Austritt“ mittleweile ab. Ein „weicher“ Kurs hätte den Charme, Zugang zu Teilen des EU-Binnenmarkts zu behalten. Gleichzeitig müsste man weder in den ungeliebten EU-Haushalt einzahlen, noch Vorgaben der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) befolgen. Ohne Zugeständnisse an die EU, handelt es sich aber nur um Wunschträume. May hat deshalb beim EU-Gipfel in Brüssel angekündigt, dass EU-Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen weiter auf der Insel bleiben und arbeiten dürfen. Sie kann sich eine Stichtagsregelung vorstellen. Der Termin solle zwischen dem 29. März 2017 als Datum des Austrittsantrags und dem 29. März 2019 als Vollzugsdatum des Brexits liegen. Wer bis zum Stichtag noch keine fünf Jahre im Land gelebt habe, soll laut May Anspruch auf einen geregelten Rechtsstatus haben. Die EU-Ausländer bekämen die Gelegenheit, die fünf Jahre in Großbritannien zu bleiben und sich dann ebenfalls um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bewerben. Viele Ärzte atmen auf, wollen sich auf fromme Worte jedoch nicht verlassen. Politikern aus anderen europäischen Nationen ist der Kompromiss zu vage und zudem unbefriedigend. „Alleine die Tatsache, dass man dort nicht rausgeschmissen wird, halte ich jetzt noch nicht für einen überragenden Durchbruch“, kommentierte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen.