Es gibt nicht "den typischen Patieten"? Falsch! Hier in den Campus News stellen wir Euch von heute an regelmäßig typische chirurgische Fälle mitsamt Differentialdiagnosen, möglichen Komplikationen und Nachsorge vor. Was würdet Ihr machen - testet Euer Wissen!
Fall 1: Es ist Montag Morgen. Der junge Assistenzarzt Dr. Oliver P. weckt in der Notaufnahme einen Partygänger mit Kopfplatzwunde von letzter Nacht. Da bringt ihm der Rettungswagen einen neuen Patienten: Leo N., 19 Jahre alt.
Anamnese:
Leo klagt über starke, zunehmende Unterbauchschmerzen, die am Vortag begannen. Seit gestern Abend kamen Übelkeit und Erbrechen dazu. Fieber gibt er nicht an. Er habe keine chronischen Erkrankungen, nehme auch keine Medikamente ein. Mit 12 Jahren habe er sich einmal den Arm gebrochen. Allergien seien nur auf Pollen bekannt. Leo hat dieses Jahr seine Abiturprüfungen bestanden und ist gerade von einem dreimonatigen Urlaub in Indien zurück nach Deutschland gekommen – darauf führt er auch seine momentanen Beschwerden zurück. Er raucht nicht, trinkt aber ganz gerne mal das ein oder andere Bierchen.
Körperliche Untersuchung: Da Leo eine Schonhaltung einnimmt, gestaltet sich die Untersuchung schwierig. Er ist ein ca. 1,80m großer, sportlicher junger Mann in gutem EZ – vermutlich um die 70kg, momentan in eindeutig reduziertem AZ vor sich (der Patient krümmt sich, hält sich den Bauch und hat sichtbar Schmerzen).
Leo hat eine Temperatur von 38,3°C, RR 120/80 bei einer HF von 88. Die AF ist erhöht. Herz und Lunge zeigen beide keinen pathologischen Befund – dann konzentriert sich Dr. O.P. auf Leos Abdomen. Die Auskultation zeigt verminderte Darmgeräusche – wobei Leo auch schon länger nichts gegessen hat. Es ist gleich eine starke Abwehrspannung bei der Palpation zu spüren und es besteht starke Druckschmerzhaftigkeit. Ein Nierenlagerklopfschmerz besteht nicht, die Leber ist aufgrund der Abwehrspannung nicht beurteilbar. Dr. O.P. lässt bald von der Untersuchung ab, da er Leo nicht unnötig Schmerzen zufügen will.
NUN BIST DU DRAN - WAS WÄREN DEINE DIFFERENTIALDIAGNOSEN? Dr. Oliver P. geht im Geiste schnell sein Wissen durch und schlägt dabei gleich den Bogen zu seinem Patienten – das könnte dann ungefähr so aussehen:
Differentialdiagnosen
Nachdem Dr. O.P. Leo doch nochmal ein bisschen quälen musste und mit ihm die wichtigsten Diagnosepunkte bei Appendizitis durchgegangen ist…
… entschließt er sich letztlich für die akute Appendizitis als Arbeitsdiagnose. Trotzdem, um auf Nummer sicher zu gehen, möchte er den nächsten Stuhlgang des Patienten noch ins Tropeninstitut schicken, um ihn auf Würmer testen zu lassen.
Als nächstes ordnet Dr. Oliver P. weitere diagnostische Maßnahmen an.
Diagnostische Maßnahmen:
Dr. O.P. geht vor der Aufklärung des Patienten kurz die anatomischen Verhältnisse und das Procedere mit seinen möglichen Komplikationen durch:
Anatomie: Das Ceacum liegt retroperitoneal. An dessen Ende liegt die Appendix vermiformis. Sie misst zwischen 2 und 20 cm bei einem Durchmesser von ca. 7 mm und endet blind. Die Tunica mucosa enthält viele Lymphfollikel.
Procedere: Eine Appendektomie wird entweder im Frühstadium (48h) oder im freien Intervall durchgeführt – das heißt für den Patienten zunächst Nahrungskarenz, Bettruhe, Antibiose. Bei Leo kann der Eingriff daher bald erfolgen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten:
Mal sehen, für was sich die Kollegen Leo entscheiden denkt sich Dr. O.P. – und tippt auf die Laparoskopie, da es ein junger Patient ist und man von einem komplikationslosen Eingriff ausgehen kann. Trotzdem können natürlich immer Komplikationen auftreten.
Komplikationen: Ein Risiko stellt eine Perforation da, die dann zur Peritonitis führen kann. Abszessbildung ist eine weitere Komplikation. Außerdem kann es zur Darmparalyse und zum Ileus kommen und natürlich wie immer zu Entzündungen. Das wären wohl die wichtigsten Risiken, denkt er.
Postoperative Versorgung: Leo wird nach der OP noch eine 3l Ringerlösung angehängt bekommen, dann darf er wieder vorsichtig essen (Zwieback, Tee, Haferschleim), nach einer Woche gibt’s wieder Schonkost – lecker... Am 10. Tag postoperativ können dann auch schon die Fäden raus.
Nachdem Dr. Oliver P. mit Leo gesprochen hat, verlegt er ihn auf Station. Als er drei Tage später nach ihm fragt, berichtet die Schwester, er sei wohlauf, um einen Wurmfortsatz ärmer und halte schon wieder die ganze Station auf Trab (tatsächlich wurde er laparoskopisch behandelt – ein Vorteil ist hier nämlich auch eine wesentlich schnellere Regenerationszeit). Dr. O.P. ist zufrieden und ein bisschen stolz auf seine schnelle Diagnose. Die parasitologische Diagnostik im Tropeninstitut war übrigens auch negativ. Mal sehen, welchen Fall Dr. O.P. als nächstes löst.