Weil das Glas Wein nur sehr begrenzt gegen frühzeitiges Ableben hilft, wollte man das Gen finden, das beim Anschalten Gesundheit und ein langes Leben verleiht. Doch Sirtuin-Gene scheinen weder das vermutete Ziel von Wein-Inhaltsstoffen zu sein, noch das Altern aufhalten zu können.
Wer seinen Teller nicht immer leer isst und aufhört, bevor er satt ist, hat beste Chancen, alt zu werden. Die „Kalorienbremse“ ist Forschungsgegenstand vieler Gruppen, die Langlebigkeit auf Stoffwechselebene untersuchen. Dazu kommen Beobachtungen verschiedener Völker, wie etwa der Einwohner der japanischen Insel Okinawa. Dort leben weltweit am meisten Menschen mehr als hundert Jahre. Zu ihrer Kultur gehört gemässigtes Essen.
Pharma statt Fasten
Weil der Zusammenhang zwischen kalorienarmer Nahrung und langem Leben bei Hefen, Fadenwürmern, Fliegen und auch Mäusen und Hunden eindeutig belegt ist, möchten viele allzu gern wissen, welche Signale der Körper beim gemässigten Hungern ausschickt, die den zunehmenden Verfall auch auf zellulärer Ebene bremsen. Könnte man das nicht auch erreichen, wenn man diese Signalkette an geeigneter Stelle mit einem Mittel aus der Apotheke beeinflusst?
Und es schien so, als wären die Anti-Aging Forscher tatsächlich auf eine ganz heiße Spur gestossen. Nur zu schön, dass darin auch die Erzählungen der Großeltern Platz hatten. Sie wussten, dass sie das tägliche Glas Rotwein so rüstig erhalten hatte. Resveratrol, so fanden die Biochemiker heraus, war der magische Stoff im Rotwein. Und der reagierte mit Sirtuinen, der Name für eine Gruppe „NAD-abhängiger Protein-Deacetylasen“.
Länger leben ohne Leiden
Die Sirtuine sind wahre Alleskönner. Werden sie aktiviert, wenn möglich, über das normale Maß hinaus, wirken sie in Mäusen gegen Kolon- und Mammakarzinome, regulieren den Fettstoffwechsel so, dass das Risiko von Kreislauferkrankungen abnimmt - auch dann, wenn die Maus mit kalorienreicher Kost gemästet wird. Schließlich zeigten Studien, dass reichlich Sirtuin auch die Ablagerung von ß-Amyloid im Gehirn bekämpft und so typische Alterskrankheiten wie Alzheimer aufhalten kann.
Eine Gruppe aus Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge fand schließlich heraus, dass Sirtuine das Leben des Fadenwurms Caenorhabditis elegans um rund die Hälfte verlängern können, wenn sie künstlich überexprimiert werden. Kurz darauf verhalf eine andere Gruppe mit einer Überdosis Sirtuin auch Drosophila, Labor-Fruchtfliegen, zu mehr als ein paar Tagen Lebenszeit.
Unreproduzierbare Experimente
Aber seit den ersten erfolgreichen Experimenten zu diesem Thema vor zehn Jahren schlichen sich in der Forschergemeinde immer wieder Zweifel ein, ob Sirtuine wirklich die lang-gesuchten Anti-Aging-Gene sind. Vielfach schafften es andere Arbeitsgruppen nicht, Leonard Guarentes Experimente mit den Fadenwürmern erfolgreich zu wiederholen. Wenn sie den überexprimierenden Fadenwurm-Stamm mit normalen Artgenossen kreuzten, war von einer Lebensverlängerung nichts mehr zu sehen. Aber auch Resveratrol schien bei Fruchtfliegen weniger Effekt auf die Lebensspanne zu haben als gedacht.
Vor einigen Wochen publizierten schließlich David Gems und seine Kollegen vom University College und anderen Mitarbeitern neue Befunde in Nature. Kreuzungen von langlebigen Fadenwürmern mit dem gemeinen Laborwurm führten zu Nachkommen, die zwar noch Sirtuine im Überfluss hatten, aber genauso schnell wie ihre Kontroll-Eltern starben. Weitere Kreuzungs-Experimente ergaben, dass das lange Leben zusammen mit einem anderen Gen vererbt wurde, das für die Entwicklung von Nervenzellen zuständig ist. Auch bei den Fruchtfliegen bestätigten sich die Zweifel gegenüber früheren Befunden. Im Vergleich zu Kontrollen mit Steuerelementen zur Sirtuin-Überexpression, aber ohne das Gen selber lebten die entsprechenden Insekten nicht länger. Bei entsprechender Diät erreichten aber auch normale Fliegen ein höheres Alter, ohne dass sich Unterschiede im Sirtuin-Level zeigten.
Nur ein Faktor unter vielen
So attackiert, wiederholte auch Guarente seine Experimente - mit anderen Kontrollen. Sein Team registrierte zwar noch ein längeres Leben bei Caenorhabditis, aber anstatt um knapp die Hälfte, lebten sie Würmer nur etwa 10-14 Prozent länger. Sein Kollege Stephen Helfand bestätigte jedoch in seinen Experimenten mit einem anderen System zur Überexpression bei Drosophila die Verbindung von Sirtuinen und Langlebigkeit.
Dass Sirtuine eine bedeutende Rolle bei der Kontrolle des Stoffwechsels besonders bei Diäten hat, bestreitet kaum mehr jemand der Experten. Möglicherweise ist es beim Altern aber nur eines unter vielen Elementen, wie etwa Johan Auwerx von der ETH Lausanne sowie David Lombard und Scott Pletcher von der Universität Michigan in begleitenden Kommentaren in Nature schrieben.
Altern - eine heilbare Krankheit
Hilft das Glas Rotwein auf dem Weg zu einem längeren Leben? Selbst Leonard Guarente zieht in einem Übersichtsartikel im New England Journal die Rolle von Resveratrol in Zweifel. Möglicherweise reagiert der Polyphenol-Wirkstoff der Weintrauben mit einem Nachweis-Gen, das die Forscher bei ihren Experimenten eingesetzt hatten. Tomas Prolla und seine Kollegen aus dem amerikanischen Madison beschreiben in ihrer Veröffentlichung zu langlebigen Labormäusen allerdings die vielfältigen Effekte von Resveratrol auf Herz und Skelettmuskeln sowie Gehirn, besonders im Zusammenhang mit kalorienarmen Essen.
Aus vielen Tierversuchen bis hinauf zum Hund ist klar, dass kalorienarmes Essen sowohl Tod als auch altersbedingte Krankheiten hinausschiebt. Eine Studie mit Rhesusaffen läuft seit einigen Jahren. Auf die Ergebnisse müssen die Forscher bei rund 25 Jahren eines Makakenlebens noch etwas warten. Große Studien am Menschen gibt es bisher nicht.
Ernährung hat wohl eng mit dem Altern zu tun. Sirtuine und andere Stoffwechselwege, die sich etwa auch durch Rapamycin beeinflussen lassen, haben eng mit der Verarbeitung unseres Essens zu tun. Veränderungen im Kaloriengehalt wirken sich dann nicht nur auf die Lebensspanne, sondern ebenso auf Herz, Muskeln oder auch Gehirn aus. Bei den Tests an Labortieren verlängern oder verkürzen sie nicht nur die Lebensspanne, sondern betreffen auch den Untergang von Nervenzellen im Kopf, die Glukoseaufnahme von Muskeln und die die Entstehung von Plaques in den Gefäßen. In vielen Veröffentlichungen sprechen Altersforscher schon von einer „Krankheit Altern“. Bis auf Weiteres wird es aber wohl keinen Wirkstoff geben, der zum gleichen Ergebnis wie kalorienarme Ernährung führt.