Mit etwa 1.200 Neuerkrankungen auf 10.000 Kinder pro Jahr ist der Befall mit Kopfläusen, die Pediculosis capitis, eine der häufigsten Infektionskrankheiten des Kindesalters. Doch welche Therapie hilft wirklich gegen die lästigen Plagegeister - und welche Mittel sind redundant?
Erwachsene Läuse legen während ihres zwei- bis vierwöchigen Lebens rund 300 Eier, die sie mit einer wasserunlöslichen Substanz in einem etwa 0,8 mm kleinen Chitingehäuse (Nisse) nahe der Kopfhaut an ein Haar haften. Ab diesem Zeitpunkt vergehen 17 bis 21 Tage, bis eine fortpflanzungsfähige Laus schlüpft. Nissen werden von der Laus mit einer klebrigen Substanz an die Haare geklebt. Sie können Wochen oder Monate nach dem Befall im Haar verbleiben.
Läuse haben keinen Flugschein
Läuse können weder springen noch fliegen. Auch Haustiere übertragen keine Kopfläuse. Wenn eine Übertragung erfolgt, so hauptsächlich direkt von Mensch zu Mensch bei engem Kontakt durch Überwandern der Parasiten durch „Haar-zu-Haar- Kontakt“. Gelegentlich ist die Übertragung aber auch indirekt möglich über Gegenstände, die mit dem Haupthaar in Berührung kommen und die innerhalb einer kurzen Zeitspanne gemeinsam benutzt werden. Kämme, Haarbürsten, Schals, Kopfbedeckungen und Fahrradhelme werden zum Läuseumschlagplatz.
Ein Kopflausbefall wird diagnostiziert, wenn mindestens eine lebende Kopflaus im Haar oder Nissen in Kopfhautnähe gefunden wird. Die Deutsche Kopflausgesellschaft e.V. empfiehlt entweder das Auskämmen mit einer Pflegespülung oder die Suche nach Nissen.
Mit dem Biss der Laus gelangt eine lokalanaesthetische Substanz in die Haut des Opfers, der Einstich wird nicht gespürt. Allerdings bilden viele Betroffene nach den ersten Stichen eine leichte Allergie gegen Substanzen im Läusespeichel. Die Stiche vergrößern sich und jucken stark.
Pharmakotherapie: Nervengifte sind out
Zur Therapie werden diverse Substanzen mit sehr unterschiedlichen Wirkmechanismen und Risiken eingesetzt. Pyrethrum, Pyrethroide und Lindan wirken als Neurotoxine. Dimethicon und Oxyphthirine ersticken die Laus physikalisch. Neemöl wirkt als Metamorphoseblocker. Außerdem existieren diverse Mittel, die sich nicht klar eingruppieren lassen.
Pyrethrum und Pyrethroide – die nerven
Bei dem Marktführer der Pyrethrumextrakte handelt es sich um gereinigten 25%igen Extrakt aus Pyrethrumpflanzen. Laut Fachinformation erfolgt eine Resorption über die Haut. Die Firmeninformation weist darauf hin, dass krebserzeugende oder erbgutschädigende Wirkungen beim natürlichen Pyrethrum nicht bekannt sind, und eine Anreicherung von Pyrethrum im Nervengewebe oder Gehirn nicht stattfindet. Pyrethroide sind dem natürlichen Chrysanthemengift Pyrethrum ähnlich. Sie blockieren die Natrium-Kanäle in den Nervenmembranen und verändern das elektrische Potenzial. Es werden eine Reihe sich ständig wiederholender Nervenimpulse hervorgerufen erzeugt. Diese veränderte Erregbarkeit der Nerven kann zu unterschiedlichen Symptomen und damit auch zu antagonistischen Effekten führen. So können sowohl Lähmungen als auch Übererregbarkeit – also Krämpfe – die Folge sein. Diskutiert wird eine cancerogene und mutagene Wirkung. Pyrethroide wirken nicht auf Läuseeier. Sie dürfen nicht von Asthmatikern angewendet werden und haben ein ausgeprägtes allergisches Potenzial. Außerdem nimmt die Resistenz der Läuse gegen Pyrethroiden erheblich zu. Die Ursache für den Wirkungsverlust liegt vermutlich im spannungsabhängigen Natriumkanal der Kopfläuse. Das knockdown resistance (kdr-)like Gen mutiert stetig. In Deutschland und in Europäischen Nachbarländern sind 93 Prozent der Läuse gegen Permethrin resistent. Der Hersteller vertritt die Meinung, dass trotz der Resistenzbildung die Wirksamkeit nicht leidet.
Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BGVV) warnt vor dem mit Pyrethroiden verwandten Permethrin: „Die Verwendung muß als kritisch angesehen werden, weil dieser persistente Wirkstoff über Monate bis Jahre in den Materialien verbleiben und somit eine potenzielle Exposition für den Menschen darstellen kann. Die Verwendung derartiger persistenter Stoffe kann heute nicht mehr als eine Verwendung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik angesehen werden.“
Dimeticone – gegen Blähungen und Läuse
Dimeticon ist der internationale Freiname (INN) linearer Polydimethylsiloxane. Sie sind farblos, geruchsfrei und hydrophob. Kurzkettige Dimeticone sind dünnflüssig, weisen eine sehr geringe Oberflächenspannung auf, haben hervorragende Kriech- und Spreiteigenschaften und sind daher in der Lage, auch feinstrukturierte Oberflächen zu benetzen. Sie verkleben die Tracheen der Kopfläuse, die dann ersticken. Einer der Marktführer (Nyda ®) setzt auf ein Dimeticongemisch. Das dünnflüssige Dimeticon verleiht dem Präparat eine extrem niedrige Oberflächenspannung und damit die notwendigen, optimalen Kriech- und Spreiteigenschaften. Im Labortest sind nach 5 Minuten alle Läuse erstickt. Oral werden Dimethicone gegen Meteorismus eingesetzt. Sie führen dazu, dass die Oberfläche der Gasblasen instabil wird und die Luft natürlich entweichen kann. Wenn ein externes Pharmakon auch oral angewendet werden kann, natürlich in geänderter Galenik, spricht dies schon mal für ein hohes Maß an Anwendungssicherheit.
In einer randomisierten Studie mit 145 Kindern im Alter von 5 bis 15 Jahren aus den Slums von Fortaleza wurde die Wirkung von Dimeticon mit Permethrin verglichen. An Tag 1 und 8 erhielten sie eine Behandlung mit Dimeticon oder einprozentigem Permethrin. Bereits am zweiten Tag waren mit Dimeticon 95 Prozent der Kinder die Läuse los, mit Permethrin lediglich 67 Prozent. Nach neun Tagen waren 97 Prozent der Kinder in der Dimeticon-Gruppe kopflausfrei, in der Permethrin-Gruppe galt das für 68 Prozent der Kinder. In vitro tötete das Präparat Kopfläuse nach fünf Minuten zu 100 Prozent und wirkte damit schneller und effektiver als Substanzen wie Permethrin, Pyrethrum oder Soja- und Kokosnussöl (Oliveira et al.). Neben der abtötenden Wirkung auf Läuse und Nymphen besitzt Dimeticon auch eine ovozide Wirkung.
Fön grillt Läuse und Wirt
Das BfArM wurde von der niederländischen Zulassungsbehörde informiert, dass bestimmte Antiläusemittel mit 4% Dimeticon und 96% Cyclomethicon (Silikonölderivate) leicht entflammbar sind. Bei Patienten sind dadurch schwere Verbrennungen der Haut und Haare aufgetreten.
Oxyphthirine – rasche Wirkung
Oxyphthirin besteht aus Lipidestern, die sich mit den Proteinen an den Atmungsöffnungen der Läuse verbinden. Das Substanzgemisch enthält ebenfalls Triglyceride, die einen rasch trocknenden Film bilden, der die Atmungsöffnungen (Tracheen) von Läusen und Eiern luftdicht verschließt. Einige Produkte enthalten zudem Essig, der das Auskämmen der Läuse/Nissen aus dem Haar erleichtert. Eine klinische Studie (Fortaleza Studie) hat gezeigt, dass bereits nach 15-minütiger Einwirkzeit alle Läuse ersticken. Nach acht Stunden leben auch keine Nymphen mehr. Daher trägt man die Lotion idealerweise abends auf und lässt sie über Nacht einwirken. Eine einmalige Behandlung genügt. Die Lotion kann bereits bei Babys ab sechs Monaten eingesetzt werden. Auf die physikalisch wirkenden Substanzen Oxyphthirine und Dimeticon sind keine Resistenzenwicklungen zu befürchten.
Lindan – giftig für Laus und Wirt
Hexachlorcyclohexan gehört wie DDT zu den chlorierten Kohlenwasserstoffen, Es beeinflusst ATPasen und wirkt so als Nervengift. Der seit 1996 verschreibungspflichtige Wirkstoff wird von der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde als wahrscheinliches Kanzerogen eingestuft und durfte nach europäischen Umweltrichtlinien nur noch bis Ende 2007 verwendet werden. In Kalifornien wurde die Anwendung bei Kopfläusen und Skabies wegen der potenziellen Schädigung des Nervensystems und negativer Auswirkungen auf die Umwelt bereits verboten
Kokosöl – gar nicht so bio
Die Kokosöl-haltige Haarwäsche hat laut Umweltbundesamt eine "auffallend schnell abtötende Wirkung auf alle Läusestadien". Aber: Wird hingegen nicht ausreichend Mittel aufgebracht und nicht gleichmäßig und intensiv verteilt, können sich Läuse wieder erholen. Ob der Effekt tatsächlich über ein Ersticken der Läuse zustande kommt, bleibt offen Kokosnussöl soll die Fettsäuren Hexansäure (Capronsäure) und Octansäure (Caprylsäure) enthalten, denen eine Insekten-abtötende Wirkung bereits in starker Verdünnung zugeschrieben wird
Neemöl – Finger weg
Neemöl wird aus den Samen des Neembaums gewonnen und dient in der traditionellen indischen Medizin als Allheilmittel. Wichtigster insektizider Bestandteil ist Azadirachtin, das in den Stoffwechsel der Parasiten eingebaut wird und verschiedene für die Fortpflanzung notwendige Schritte hemmen soll. Studien, die den Nutzen von Nehmöl belegen, gibt es nicht. Bei 13 Säuglingen und Kleinkindern, die Neemöl (5 ml bis 30 ml) per os gegen Fieber, Verstopfung und andere Beschwerden erhalten haben, sind schwere Vergiftungen mit Reye-Syndrom und Tod beschrieben
Therapieempfehlungen des RKI
„Nasses“ Auskämmen mit Haarpflegespülung und Läusekamm in 4 Sitzungen führte bei 57 Prozent der behandelten Kinder zur Entlausung (Hill et al., 2005). Diese Anwendungen müssen unbedingt nach 8 bis 10 Tagen wiederholt werden. Der optimale Zeitpunkt ist nach Angaben des Robert Koch Instituts (RKI) der 9. oder 10. Tag nach der Erstbehandlung.
Tag 1: Insektizidbehandlung mit anschließendem nassen Auskämmen Tag 5: nasses Auskämmen, um nachgeschlüpfte Larven zu entfernen Tag 8-10: Wiederholungsbehandlung mit Insektizid Tag 13: Kontrolluntersuchung durch nasses Auskämmen Tag 17: evtl. letzte Kontrolle durch nasses Auskämmen
Mögliche Fehler in der Behandlung, die das Überleben nicht nur von Eiern, sondern auch von Larven oder Läusen begünstigen:
Läuse im Gesetz
Es besteht keine ärztliche Meldepflicht gemäß § 6 IfSG. Jedoch sind Leiterinnen und Leiter von Kinder- krippen, -gärten, -tagesstätten, -horten, Schulen oder sonstigen Ausbildungseinrichtungen sowie von Heimen und Ferienlagern nach § 34 Abs. 6 IfSG verpflichtet, das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich über einen festgestellten Kopflausbefall zu benachrichtigen und personenbezogene Angaben zu machen.
Hygienemaßnahmen
Lousebuster – viel heiße Luft
Unsinnig wenn nicht sogar gefährlich ist der Lousebuster. Ein spezieller Fön der Läuse und Nymphen töten soll. „Die Behandlung mit einem Föhn sei so unzuverlässig, dass grundsätzlich davon abzuraten ist“, so das RKI. Auch wenn Betroffene sich vor Läusen teilweise ekeln, sind sie doch ein Indikator für Sozialkontakte. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen da die soziale Grenze enger und Körperkontakte häufiger sind.