Mit der BKK für Heilberufe geht Ende 2011 nach der City BKK die zweite Kasse über den Jordan. Wirklich nur ein Effekt der Zusatzbeiträge oder vielmehr ein Fehler im System? Und was sollen Kollegen betroffenen Patienten raten?
Reanimation gescheitert: Trotz diverser Versuche, die BKK für Heilberufe durch Finanzspritzen – sprich Zusatzbeiträge – oder Fusionen zu retten, ist das Aus jetzt unabwendbar. Die Rede ist von einem „hohen, dauerhaften Strukturdefizit, das ein Fusionspartner allein nicht tragen kann“, so eine offizielle Verlautbarung. Jetzt hat das Bundesversicherungsamt den 31. Dezember 2011 als Schließungstermin festgesetzt, und Mitglieder werden nervös.
Wer nimmt mich?
Patienten haben in diesem Fall aber ein gesetzlich verankertes Wahlrecht, zu welcher gesetzlichen Kasse sie umsatteln möchten. Dazu Heinz Kaltenbach, Geschäftsführer des BKK-Bundesverbands: „Unser Ratschlag an die Versicherten der BKK für Heilberufe: Kümmern Sie sich am besten gleich, nachdem Sie Post von Ihrer Kasse erhalten haben, um Ihren Versicherungsschutz!“ Schön und gut – praktisch gab es in der Vergangenheit allerdings immense Probleme: Nach der Pleite der City BKK legten vor allem in Berlin Institutionen wie AOK, Barmer GEK oder die Hanseatische Krankenkasse potenziellen Wechslern Steine in den Weg: durch begrenzte Öffnungszeiten, überflüssige Unterlagen oder auch durch lapidare Hinweise, sie wären in einer anderen BKK doch deutlich besser aufgehoben. Vor allem ältere, multimorbide und damit teure Patienten waren nicht gern gesehen.
Darauf hat die Politik reagiert: Sollte es wider Erwarten erneut Ärger geben, schwingt das Bundesversicherungsamt schon mal vorsorglich die Keule. Angedroht wurde sogar, im schlimmsten Falle Vorstände renitenter Institutionen haftbar zu machen. Jürgen Graalmann, Chef des AOK-Bundesverbands, kommentierte sarkastisch: „Ich bin dankbar, dass es inzwischen einen Wettbewerb gibt, wer die Versicherten der BKK für Heilberufe am herzlichsten Willkommen heißt.“ Man werde Betroffenen „das Wechseln zur AOK so einfach wie möglich zu machen“. Dünnes Eis – hatte sich auch die AOK nach der City BKK-Insolvenz nicht gerade von der rühmlichsten Seite gezeigt.
Last Minute-Leistungen
Noch ist aber etwas Zeit: Bis zum letzten Tag muss die BKK für Heilberufe nämlich Leistungen für ihre Versicherten erbringen. Und im Gegensatz zu Unternehmenspleiten aus der Privatwirtschaft bleiben Ärzte, Apotheker, Krankengymnasten beziehungsweise Kliniken auch danach nicht auf ihren Kosten sitzen. Rechnungen, die erst Anfang 2012 gestellt werden können, gehen an die eigens etablierte Abwicklungsstelle. Dann müssen Haftungsverbünde, in diesem Fall andere Betriebskrankenkassen, laut dem V. Sozialgesetzbuch bluten. Scheitert das Vorhaben ökonomisch, sind alle „Gesetzlichen“ in der Pflicht. Kein Pappenstiel: Die Rede ist von immerhin 53 Millionen Euro. Das wiederum erzürnt andere Krankenversicherer. Graalmann kritisiert, es könne nicht sein, dass „die Verursacher der Kassenschließungen aus der Verantwortung für die Folgen ihres Handelns entlassen werden und die Versorgerkassen für die Aufräumarbeiten zuständig sind“. Dass die Abwicklung nicht unbedingt reibungslos funktioniert, ist eine Lehre aus der City BKK-Pleite im Juni: Etliche Patienten hatten im dritten Quartal noch keine neue Kasse gefunden, wurden aber trotzdem ärztlich behandelt, und zwar ohne Privatliquidation – Chapeau an die Kollegen. Diese mussten ihren Patienten schließlich hinterher laufen, um Nachweise für die neue Versicherung einzufordern, ein immenser Mehraufwand.
Frühwarnsystem aktiviert
Das soll sich nicht wiederholen: „Wir haben ein mehrstufiges Erinnerungsverfahren vorgesehen“, sagte Christine Löb vom Vorstand der BKK für Heilberufe. Damit wolle man sicherstellen, Kontakt zu allen Versicherten zu bekommen und sie über den Wechsel zu informieren. Generell haben Betroffene ein Wahlrecht unter etlichen allgemein geöffneten Kassen. Doch rät die Stiftung Warentest, nicht nur Beiträge respektive Zusatzbeiträge im Auge zu haben. Die Leistungen der Grundversorgung gleichen sich zwar meist wie ein Ei dem anderen, Zusatzangebote von Reiseimpfungen über Bonusprogramme bis hin zu Vorsorgeuntersuchungen können aber interessant sein. Keine Sorge bei laufenden oder bereits bewilligten Leistungen: Der neue Versicherer ist verpflichtet, diese zu übernehmen.
Die Rache der Risiken
Trotz aller gesetzlichen Sicherungsmechanismen werfen die Kassenpleiten noch ganz andere Fragen auf: Braucht es mehr finanzielle Transparenz? Laut Bundesversicherungsamt verfügten von zirka 100 GKVen 25 nicht über ausreichende Rücklagen – die nächsten Wackelkandidaten? Als Maß gilt hier, ein Viertel der durchschnittlichen Monatsausgaben auf der hohen Kante zu haben. Darunter wird es kritisch, anfangs greifen noch wenig populäre Mechanismen: Die Verantwortlichen erheben Zusatzbeiträge und streichen freiwillige Leistungen. Doch kann dieser Schuss auch gewaltig nach hinten gehen, etwa im Falle der BKK für Heilberufe: Scharenweise verließen Mitglieder das sinkende Kassenschiff. Waren 2009 noch 240.000 Personen versichert, sank deren Zahl zwei Jahre später auf 113.000. Fusionsversuche mit anderen Institutionen und Personalkürzungen blieben als letzte Rettungsanker. Auch damit war kein Staat mehr zu machen, und das Bundesversicherungsamt griff ein – es kommt zur Schließung. Die Politik will künftig aber früher reagieren und fordert, betriebswirtschaftliche Kennzahlen verpflichtend publizieren lassen – dazu gehören Daten zur Mitgliederentwicklung, zu Ausgaben, Einnahmen und zum Vermögen der Einrichtung.
Sündenbock gesucht
Doch wie kam es zu der Misere? Dr. Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbands, ist sich sicher: Es müssen die Zusatzbeiträge gewesen sein, ein „Kassenkiller“. Und statt des viel zitierten Wettbewerbs um mehr Qualität rivalisierten Einrichtungen nur noch „um die billigste Versorgung“. Das rächt sich. Pfeiffer: „Vielmehr geraten Kassen in einen Teufelskreislauf: Vor allem gesunde Mitglieder wandern ab, in der Folge steigt der Zusatzbeitrag.“ Noch mehr Versicherte gingen, und am Ende könnte sich die Kasse aus eigenen Mitteln nicht mehr retten.
Das sieht Helmut Laschet, stellvertretender Chefredakteur der Ärzte Zeitung, etwas differenzierter. Seiner Meinung nach beschleunigen Zusatzbeiträge zwar den Sterbeprozess einer Kasse. „Aber weder bei der City BKK noch bei der BKK für Heilberufe ist das die Ursache.“ Vielmehr mussten sich alle BKKen seit der Öffnung für neue Mitglieder einem ungleichen Wettbewerb stellen. Arbeitgeber beteiligten sich an Verwaltungskosten, und Betriebskrankenkassen konnten mit günstigen Konditionen neue Mitglieder ködern. Vor allem junge, gesunde Versicherte wechselten häufig, eine Büchse der Pandora: Der im Nachhinein fällige Risikostrukturausgleich brach – zusammen mit Schwächen der Beitragskalkulation – der Institution das Kreuz. Laschets Fazit: „Expansive Geschäfte mit der Risikoselektion zu machen, lohnt kaum noch.“ Auch eine Möglichkeit, Stabilität im Gesundheitssystem zu schaffen – aber zu welchem Preis?