Der uns schon vom letzten Fall bekannte Assistenzarzt Dr. Oliver P. muss heute allein die chirurgische Notaufnahme schmeißen. Gerade wird eine neue Patientin über Funk angekündigt: Eine 68-jährige Frau mit starken Schmerzen im Bein.
Anamnese:
Frau E. gibt an, beim Fernsehen auf der Couch gesessen zu haben und auf einmal habe sie „wie einen Krampf“ im Bein gespürt. Der Schmerz sei aber nicht mehr weggegangen und immer schlimmer geworden bis sie letzten Endes den Rettungswagen rief, da sich das Bein dann auch „ganz komisch“ anfühlte, wie taub. Sonst habe sie keine Beschwerden, es sei kein Trauma vorausgegangen. Seit Jahren sei eine arterielle Hypertonie bekannt sowie Herzrhythmusstörungen bei Vorhofflimmern. Vor ca. acht Jahren habe Sie einen Herzinfarkt erlitten, der aber schnell und ohne Folgeschäden behandelt werden konnte. Die Medikamentenanamnese fällt eher mager aus. Frau E. gehe ungern zum Arzt, sei „eigentlich ganz gesund“. Sie schlucke einen β-Blocker und nehme ab und an Aspirin gegen Kopfschmerzen. Allergien habe sie keine. Frau E. lebt alleine, hat keine Kinder und arbeitet immer noch ein paar Stunden die Woche als Sekretärin bei einem größeren Unternehmen. Sie hat ca. 35 Packyears und trinkt regelmäßig aber nach eignen Angaben in Maßen.
Körperliche Untersuchung:
Frau E. befindet sich bei der Aufnahme in mäßigem AZ sowie adipösem EZ (1,64 m; 87 kg), sie hat sichtlich Schmerzen ist jedoch wach und zu allen Qualitäten orientiert. T 36,4°C, RR 146/90, HF 76, Radialispuls arrhythmisch. Die Auskultation des Herzens erhärtet die Diagnose der absoluten Arrhythmie bei Vorhofflimmern. Lunge und Abdomen zeigen keinen pathologischen Befund. Die Atemgeräusche sind vesikulär, es bestehen keine Rasselgeräusche. Darmgeräusche regelrecht in allen vier Quadranten, ein Nierenlagerklopfschmerz besteht nicht, die Leber ist aufgrund des adipösen Zustandes der Patientin schwer beurteilbar. Schon bei der Inspektion stellt Dr. O.P. fest, dass der rechte Unterschenkel deutlich blasser erscheint als der linke. Wie erwartet, ist rechts peripher kein Pulsstatus erhebbar, der distale Unterschenkel stellt sich als extrem druckschmerzhaft dar. Dr. O.P. hat schon einen Verdacht weshalb er nun entscheidet, schnell zu reagieren.
NUN BIST DU DRAN - WAS WÄREN DEINE DIFFERENTIALDIAGNOSEN? Differentialdiagnosen
Dr. O.P. erhebt noch schnell den vollständigen Gefäßstatus an den unteren Extremitäten:
Danach geht er im Kopf noch die Zeichen durch, die auf einen arteriellen Verschluss der Extremitäten hinweisen, die 6 P: Pain – Pulselessness – Paleness – Paresthesia – Paralysis – Prostation. Ja, das müsste passen. Gut, dass die Symptomatik nur einseitig besteht. Sonst müsse Dr. O.P. an ein Leriche-Syndrom denken, eine akuten Aortenverschluss. So ist vermutlich zumindest nur ein arterieller Ast betroffen.
Zuletzt bleibt er bei seinem Entschluss und formuliert seine Arbeitsdiagnose: Arterieller Verschluss. Er überlegt kurz: Jetzt ist Eile angesagt. Für periphere arterielle Verschlüsse gilt ein Zeitfenster von ca. 6 Stunden, handelt es sich um einen Apoplex, sollte die Lyse innerhalb von 3 Stunden erfolgen. Beginn der Beschwerden war laut Frau E. vor ca. 3 Stunden. Zügig ordnet Dr. O.P. einige Untersuchungen an: Diagnostische Maßnahmen:
Jetzt aber schnell. WAS IST SOFORT ZU TUN? HILF DR. O.P. MAL KURZ AUF DIE SPRÜNGE.
Dr. O.P. legt natürlich sofort einen Zugang. CAVE: Das Bein wird – bei arteriellem Verschluss – TIEF (E wie Embolie) gelagert und gut gepolstert! So kann eine Perfusion über Kollateralen besser erfolgen. Bei der Thrombose gilt das umgekehrte, das Bein wird HOCH (O wie Thrombose) gelagert. Umgehend bekommt die Patientin 5000IE Heparin infundiert und noch ein Analgetikum angehängt.
Dr. O.P. denkt kurz nach und schallt dann noch schnell das Abdomen der Patientin um eine Aneurysmabildung auszuschließen. Zum Glück findet er keinen auffälligen Befund vor – der Ultraschall des Abdomens ist unauffällig.
Außerdem möchte er noch eine Digitale Subtraktionsangiografie (DSA) vornehmen lassen. Hier lassen sich die Arterien durch Punktion der A. femoralis und Kontrastmittelgabe nach digitaler Subtraktion von Weichteilen und Knochen sehr gut darstellen. CAVE: Speziell bei älteren Patienten vor Kontrastmittelgabe immer vorher Kreatinin- und Harnstoff checken, bei Frau E. gab es keine auffälligen Werte.
Wie erwartet, zeigt sich auch hier sehr gut der Verschluss – er befindet sich im poplitealen II-Segment. Die Embolie zeigt sich als kurzstreckiger, kuppelförmiger Verschluss. Dr. O.P. ist zufrieden, dass alle Untersuchungen noch im Zeitfenster erfolgen konnten. Er weiß, die einzige Behandlungsmöglichkeit ist eine Embolektomie. Er geht im Geiste die Schritte durch… Procedere:
Das Vorgehen der Wahl ist in diesem Fall die indirekte Fernembolektomie. Die OP läuft gut und die DSA-Kontrolle ergibt ein freies Gefäß das gut durchgängig ist. Frau E. bekommt postoperativ einen Heparinperfusor angehängt. CAVE: Der PTT sollte regelmäßig kontrolliert werden, es ist eine zweifache Erhöhung anzustreben. Die Patientin fühlt sich nach der OP gut und ist schmerzfrei. Dr. O.P. erinnert sich, dass Patienten postoperativ oft über starke Schmerzen klagen, die jedoch meist mit der Reperfusion des Gewebes zusammenhängen. Er freut sich, dass alles so komplikationslos gelaufen ist. Trotzdem lassen sich gewisse Risiken natürlich nie ausschließen. Komplikationen:
Neben den klassischen OP-Risiken muss hier vor allem auf das sogenannte „Tourniquet-“ oder Reperfusionssyndrom geachtet werden. Nach einer Ischämie ab ca. 8 Stunden akkumulieren Stoffwechselprodukte wie CK, LDH, K, etc. im minderperfundierten Gewebe, die bei Reperfusion in den Kreislauf gelangen und zu Nierenversagen bis hin zum Multiorganversagen führen können. Deshalb sollte immer regelmäßig auf die Blutwerte geachtet werden. Bei Eintreten kann eine Diurese bis hin zur Dialyse den schlimmsten Fall verhindern.
Außerdem ist durch ein postischämisches Ödem ein Kompartmentsyndrom denkbar.
Dr. Oliver P. besucht die Patientin vier Tage später und ist zufrieden mit dem guten Verlauf. Allerdings weiß er, dass es nun vor allem darum geht, die Emboliequelle auszuschalten und bespricht die Notwenigkeit einer Anticoagulationstherapie aufgrund des Vorhofflimmerns. Frau E. beginnt ihre Marcumartherapie einschleichend am 6. postoperativen Tag. Vier Tage später kann sie bereits entlassen werden. Dr. O.P. stellt noch sicher, dass die Patientin verstanden hat, wie wichtig die regelmäßige Einnahme der Medikamente sowie die Kontrolle des Quickwertes sind und verabschiedet sich von Frau E. Dann schlurft er wieder in seine Notaufnahme – dort wartet nämlich schon der nächste Fall auf ihn…
Bilder und Videos ähnlicher Fälle: