Lange von der Forschung ignoriert, gelten die beiden Hippocampi des Menschen heute als zentrale Schaltstellen von neuronaler Plastizität und Lernvorgängen. Die moderne Volumenbildgebung kann das mittlerweile eindrucksvoll sichtbar machen.
Sie denken, Ihr medizinisches Staatsexamen sei schwer gewesen? Da haben Sie wohl noch nicht in London die Taxilizenz erworben. Wer in London ein lizenzierter Taxifahrer werden möchte, muss nämlich ganz schön büffeln. 25.000 Straßen in ihrer ganzen geographischen Komplexität und immerhin weitere 20.000 Hotels, Sehenswürdigkeiten und andere Anlaufpunkte sind Teil einer Prüfung, die zu den schwersten ihrer Art weltweit zählt. Lernen müssen angehende Taxifahrer dafür im Schnitt drei bis vier Jahre. Danach gibt es nicht ein Examen, sondern gleich mehrere. Rund die Hälfte der Bewerber segelt durch.
Mehr Schmalz im Seepferdchen
Professor Eleanor Maguire vom Wellcome Trust Centre for Neuroimaging am University College London findet das so faszinierend, dass sie Londons Taxifahrern bereits mehrere Studien zur neuronalen Bildgebung gewidmet hat. In einer älteren Arbeit hat sie beispielsweise in einem relativ simplen Ansatz die Hirnvolumina von Londons Taxifahrern verglichen mit jenen bei Nicht-Taxifahrern ähnlichen Alters. Diese Arbeiten zeigten, dass die Taxifahrer speziell im hinteren Teil des Hippocampus, jenem wegen seiner Optik nach einem Seepferdchen benannten Teil des Hirns, mehr graue Substanz aufweisen als Nicht-Taxfahrer. Das passte zu damals neuen Erkenntnissen der Neurophysiologie, die dem Hippocampus nicht nur beim allgemeinen Lernen, sondern speziell bei Lernvorgängen, die die räumliche Orientierung betreffen, eine Schlüsselrolle zuweisen.
In einer neuen Untersuchung, die demnächst in der Zeitschrift Current Biology publiziert wird, hat es sich Maguire jetzt etwas schwerer gemacht. Immerhin wäre ja prinzipiell denkbar, dass Menschen, die von Natur aus einen dicken hinteren Hippocampus haben, gewissermaßen ihrer Berufung folgen und zum Taxifahren hingezogen werden. Dem scheint allerdings nicht so zu sein. Denn Maguire und ihre Kollegen begleiteten diesmal eine Gruppe von angehenden Londoner Taxifahrern über mehrere Jahre im Vorfeld der Megaprüfung. Sie machten in dieser Zeit diverse hübsche MRT-Aufnahmen und unterzogen die Probanden auch noch Gedächtnistests.
Wie im Fitnessstudio: Nur ein dicker Hippocampus stemmt die Prüfung
Und jetzt wird es spannend: Am Anfang des Lernmarathons lagen die Probanden bei den Gedächtnistests und auch bei der Hirnstruktur mehr oder weniger alle gleich auf. Drei bis vier Jahre später allerdings war alles anders. Bei jenen Taxifahreraspiranten, die die Prüfung bestanden hatten, konnte die Forscherin eine deutliche Zunahme des hinteren Hippocampusvolumens nachweisen, nicht aber bei jenen, die durchgefallen waren. Richtig lernen vergrößert den Hippocampus, und das wiederum verbessert die Erfolgschancen beim Stadtplanlernen, so sieht die postulierte Kausalkette nun aus. „Das menschliche Gehirn bleibt auch im Erwachsenenalter formbar“, so Maguire. „Wir haben direkt innerhalb einzelner Individuen gesehen, wie die Hippocampus-Struktur sich durch externe Stimulation verändert.“ Ob die beobachteten Veränderungen auf eine Zunahme der Nervenzellen oder „nur“ auf eine Zunahme der Verknüpfungen zurückzuführen ist, ist bisher noch nicht klar. Tatsache ist aber, dass der Hippocampus zu jenen Hirnarealen gehört, von denen bekannt ist, dass ganz neue Nervenzellen dort tatsächlich entstehen können.
Nicht auf das Volumen, sondern auf die Form kommt es an
Nun ist, wo Licht ist, stets auch Schatten. Der Hippocampus wächst, aber er schrumpft auch oder kann seine Form anderweitig ändern. Das kann in bestimmten Situationen diagnostisch hilfreich sein. Bei der Jahrestagung der US-Radiologen (RSNA 2011) in Chicago hat der niederländische Wissenschaftler Hakim Achterberg von der Abteilung für Radiologie am Erasmus Medical Center in Rotterdam die Ergebnisse einer Subpopulation der Rotterdam Scan Study vorgestellt. Achterberg berichtete über 511 Probanden, die initial eine MRT-Untersuchung erhalten hatten und dann im Hinblick auf die Entstehung einer Demenz über zehn Jahre begleitet wurden, und zwar mit Hilfe kognitiver Tests und einer Auswertung der allgemeinen Patientenakten. Jeder zehnte dieser Probanden entwickelte im Laufe der zehn Jahre eine klinische Demenz. Um zu sehen, inwieweit der Hippocampus die Entstehung der Demenz vorhersagen kann, haben Achterberg und Kollegen diese Hirnregion penibel segmentiert und insgesamt 1024 „Wegmarken“ definiert, die bestimmte Hirnsegmente aufspannen. Aus der Form der jeweils volumenidentischen Segmente ließ sich ein komplexer, multidimensionaler Summenvektor berechnen. Und auf Basis dieses Vektors wurde dann ein Algorithmus trainiert, um die Demenzentstehung vorherzusagen.
Im Endeffekt konnten die Wissenschaftler zeigen, dass allein anhand der Form des Hippocampus eine Demenzentstehung etwa drei bis vier Jahre vor der klinischen Diagnose vorhergesagt werden kann. Die Vorhersage anhand der Form sei damit präziser als bisher diskutierte Vorhersagemodelle, die sich allein am Hippocampus-Volumen orientieren. Weiter in der Vergangenheit verwischt der Effekt dann. Interessant ist, dass es nicht die eine Formveränderung gibt, die typisch für eine Demenzentstehung wäre. Das menschliche Auge würde hier nicht weiterhelfen. Erst wenn die Form-Daten mathematisch integriert werden, ist eine Abgrenzung möglich.